Artikel erschienen am 29.05.2015
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Sterbekultur im Krankenhaus

Von Dr. med. Rainer Prönneke, Braunschweig

Interview mit Dr. med. Rainer Prönneke, Chefarzt der Medizinischen Klinik und Palliativmediziner im Krankenhaus Marienstift gGmbH in Braunschweig, der davon überzeugt ist, dass Hospiz und Palliativ als eine gemeinsame Grundhaltung auch im Krankenhaus zusammengehören.

Was hat Sie dazu bewogen, sich der Hospiz- und Palliativversorgung im Krankenhaus so intensiv zuzuwenden?
Dr. Prönneke: In Deutschland hatte sich seit den 1960er-Jahren ein zunehmendes und im Rückblick dramatisches Defizit von Erfahrungen im Umgang mit Sterbenden und Verstorbenen entwickelt: So hat mein Onkel in den 1970er-Jahren qualvoll unter Tumorschmerzen gelitten. Er bekam keine Schmerztherapie und hatte vor Schmerzen keine Chance, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Meine Großmutter ist 1980 wie selbstverständlich zum Sterben in das Badezimmer eines Krankenhauses geschoben worden. In meiner ersten Arztstelle, Mitte der 1980er-Jahre, war es dann das letzte Zimmer am Ende des Flurs, wo Patienten, meist ohne menschlichen Beistand, verstorben sind. Daraus hat sich der Wunsch entwickelt, zu verhindern, dass Menschen einen qualvollen oder auch einsamen Tod sterben müssen.

Welche Ängste haben Schwerkranke und Sterbende? Und wie helfen Sie ihnen aus dieser Angst heraus?
Dr. Prönneke: Viele Betroffene haben große Sorgen vor nicht aushaltbaren Beschwerden, aber auch davor, sich fallen zu lassen und sich anderen zuzumuten. Hinzu kommen Trennungsschmerzen von nahestehenden Menschen. Und es stehen Fragen nach dem Lebenssinn und dem Endgültigen und Unfassbaren des Todes im Raum. Das fordert uns in besonderem Maße. Als Palliativarzt stehen mir Methoden zur Leidenslinderung zur Verfügung, die von Medikamenten bis Drainagen und begleitenden Gesprächen reichen. Selbst bei unerträglichen Beschwerden können wir durch palliative Sedierung helfen, indem wir medikamentös einen tiefen Schlafzustand bewirken. Wenn wir im Vorfeld mit den Menschen über diese Möglichkeit reden, gewinnen viele Kranke ein leidlinderndes Kontrollgefühl zurück.

Welche Inhalte gehören, Ihrer Meinung nach, zu einer modernen Palliativmedizin?
Dr. Prönneke: Zum Ersten benötigt man die Bereitschaft, sich systematisch strukturell, organisatorisch und menschlich auf die Versorgung von Schwerkranken, Sterbenden und ihren Angehörigen vorzubereiten. Zweitens sind Investitionen erforderlich, wie die Bereitstellung und Ausstattung von Räumen mit Übernachtungsmöglichkeiten für Angehörige. Drittens bedarf es Qualifizierungsmaßnahmen für Mitarbeiter der Palliativmedizin. Viertens soll der Betroffene möglichst ganzheitlich entsprechend seinen körperlichen, seelischen, sozialen und spirituellen Bedürfnissen umsorgt werden. Und fünftens arbeiten wir nach dem ethischen Grundverständnis, die Lebenszeit eines Menschen nicht aktiv verkürzen, die Leidens- und Sterbezeit aber auch nicht künstlich verlängern zu wollen – natürlich unter Einbezug der Vorstellungen des Betroffenen.

Was ist die große Herausforderung bei der Umsetzung eines Konzepts zur Integration von Hospizidee und Palliativmedizin im Krankenhaus?
Dr. Prönneke: Es sind tatsächlich große Aufgaben. Uns hilft eine nachhaltige Reflexion über Möglichkeiten und Grenzen der Medizin in Bezug auf das Leid eines je einzigartig betroffenen Menschen. Bescheidenheit und Demut sind dann Eckpfeiler einer angemessenen Versorgung. Durch die Einrichtung von speziell gestalteten Räumen wird die Hinwendung zur schwächsten Patientengruppe im Krankenhaus deutlich gemacht. Die Atmosphäre im Palliativzimmer fördert die Ausbildung einer entsprechenden Haltung, die sich wiederum auf den Umgang mit allen anderen Patienten und ihren Angehörigen auswirkt.

Wird das auch Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Umgang mit Sterbenden haben?
Dr. Prönneke: Die Einrichtung einer Palliativstation bei uns im Krankenhaus Marienstift im Jahr 2005 ist ein notwendiger Schritt gewesen, um die Sterbekultur aktiv mitzugestalten und neue Maßstäbe zu setzen. Dies ist unser Beitrag für eine Verbesserung der Sterbekultur in unserer Gesellschaft.

Foto: Panthermedia/Sebastian Szemplinski

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