Artikel erschienen am 22.06.2023
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Der Weg zur Nachhaltigkeit: ESG-Kriterien und SFDR als Chance und Risiko für Immobilienprojekte

Vom Greenwashing zu echten Zukunftsinvestitionen

Von Dr. Steffen Helbing, LL.M., MBA, Braunschweig | Anika Hormig, Braunschweig | Dr. Marvin Barnecki B.Sc., Braunschweig

Nachhaltige Immobilien – Investitionsfokus und Zukunftsmarkt

Nachhaltige Immobilien rücken zunehmend in den Fokus von Immobilienanlegern und Projektentwicklern. Ein wachsender Pool von Investoren investiert ausschließlich in Immobilieninvestitionen, die finanzielle Renditen mit Nachhaltigkeitsstandards in Einklang bringen. In der aktuellen Krisensituation sind häufig nur Projekte überhaupt umsetzbar und finanzierbar, die ausdrücklich mit dem Ziel der Nachhaltigkeit entwickelt werden.

Neubauten und Bestandsobjekte: Build for ESG und Manage-to-ESG

Die Bewertung der Nachhaltigkeit erfolgt in der Regel über den Abgleich zu den ESG-Zielen. ESG – die Abkürzung für Umwelt, Soziales und Governance (Environmental, Social, and Governance) – steht für drei Schlüsselfaktoren, die bei der Bewertung der Nachhaltigkeit und ethischen Auswirkungen eines Immobilienprojekts berücksichtigt werden.

Der Umweltaspekt bezieht sich auf die Auswirkungen eines Immobilienprojekts auf die natürliche Umgebung, einschließlich seiner Energieeffizienz, des Ressourcenverbrauchs und der Einhaltung umweltbezogener Bestimmungen. Der soziale Aspekt betrachtet die Auswirkungen des Projekts auf die Gemeinschaft, einschließlich der Berücksichtigung der Bedürfnisse der Bewohner und der lokalen Gemeinschaft. Der Governance-Faktor analysiert, wie das Projekt umgesetzt und verwaltet wird, einschließlich der Transparenz der Entscheidungsfindung, der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und der Beziehungen zu Stakeholdern.

Bereits seit längerem beachten Projektentwickler bei Neuprojekten die ESG-Ziele und vor allem die Umweltziele („Built for ESG“). Hier stehen verschiedene Nachweisstandards wie das Zertifizierungssystem der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) zur Verfügung. Zunehmend werden auch Revitalisierungsprojekte mit dem Ziel, Bestandsgebäude nachhaltig aufzustellen, von Projektentwicklern und Investoren umgesetzt („Manage-to-ESG“). Die Transformation von Immobilienportfolios mit hohem ökologischem Fußabdruck in energieeffiziente, grüne Gebäude kann erheblich zur Verringerung des CO2-Ausstoßes beitragen. Dies ist oft auch wirtschaftlich lohnend: Vor allem größere Büromieter zeigen sich bereit, für nachhaltige Konzepte höhere Mieten zu zahlen.

Nachweis der Erfüllung der ESG-Standards

Die Einordnung einer Immobilie als „grün“ oder „sozial“ erfordert die Erfüllung spezifischer Kriterien, darunter hohe Energieeffizienzstandards, die Verwendung nachhaltiger Baumaterialien und die Nutzung von erneuerbaren Energien. Kritiker werfen der Immobilienbranche vor, dass zahlreiche, vermeintlich den ESG-Kriterien entsprechende, Projekte diese Kriterien in Wahrheit nicht erfüllen. Vor allem im Umweltbereich sprechen diese Kritiker von „Greenwashing“. Greenwashing in der Immobilienbranche bezeichnet die Praxis, ein Bauprojekt oder eine Immobilie als umweltfreundlicher oder nachhaltiger darzustellen, als sie tatsächlich ist. Dies kann geschehen, indem der Entwickler oder Eigentümer übermäßig betont, dass bestimmte ökologische Kriterien erfüllt sind, während andere wichtige Aspekte der Nachhaltigkeit vernachlässigt werden, oder indem man die tatsächlichen Umweltauswirkungen des Projekts herunterspielt oder verschleiert.

Offenlegungsverordnung der EU für Fondsprodukte

Wesentliche Investitionsquelle als langfristige Bestandshalter für Immobilienprojekte sind Immobilienfonds. Mit der Einführung der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) der EU im März 2021 sind für diese Fonds neue Anforderungen für die Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen im Finanzsektor, einschließlich ESG-Informationen (Umwelt, Soziales, Governance), in Kraft getreten. Diese Offenlegungsverordnung hat direkte Auswirkungen auf Immobilienfonds und Immobilienportfolios.

In diesem regulatorischen Rahmen sind Fonds nach Artikel 8 und Artikel 9 der SFDR zu wichtigen Instrumenten geworden. Zahlreiche Beobachter gehen davon aus, dass diese nachhaltigen Fonds langfristig Investitionsformen, die keine Nachhaltigkeitsziele erfüllen, ablösen werden. Artikel 8 Fonds verfolgen einen nachhaltigen Investitionsansatz, der jedoch keine spezifische Nachhaltigkeitszielsetzung hat. Sie müssen bestimmte Offenlegungsanforderungen erfüllen, darunter Informationen zur Nachhaltigkeitsstrategie und wie Nachhaltigkeitsrisiken den Wert der Immobilien beeinflussen können.

Artikel 9 Fonds hingegen verfolgen eine spezifische Nachhaltigkeitszielsetzung, beispielsweise Investitionen in erneuerbare Energien, sozialen Wohnungsbau oder andere nachhaltige Projekte. Sie unterliegen strengeren Offenlegungsanforderungen, einschließlich einer detaillierten Darstellung der Nachhaltigkeitsziele, der Methoden zur Messung und Überwachung dieser Ziele und der Berichterstattung über Fortschritte bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele.

Herausforderung Daten und Datenanalyse

Die Auflegung von Artikel 8 und 9 Fonds erfordert die nachhaltige Dokumentation der Erfüllung der Nachhaltigkeitskriterien. Aussagekräftige Daten sind ein zentraler Aspekt bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit von Immobilienfonds und -portfolios. Anbieter müssen in der Lage sein, aussagekräftige und zuverlässige Daten bereitzustellen, um zu gewährleisten, dass ihre Fonds und Portfolios tatsächlich nachhaltig sind und den Erwartungen der Anleger gerecht werden. Dies beinhaltet sowohl quantitative als auch qualitative Daten, die Einblicke in die Nachhaltigkeitspraktiken der Unternehmen und ihren Investitionen geben.

Um die Anforderungen von Artikel 8 und 9 Fonds zu erfüllen, müssen Fondsanbieter in der Lage sein, Daten aus verschiedenen Quellen zu sammeln, zu verarbeiten und zu analysieren. Durch die Offenlegung dieser Daten können Anleger die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten besser beurteilen und bewusste Entscheidungen für grüne Investitionen treffen. Die Voraussetzungen hierfür sollten schon im Rahmen der Projektentwicklung geschaffen werden.

Zusammenfassung

Die Immobilienbranche steht vor einer fundamentalen Neuausrichtung hin zu mehr Nachhaltigkeit, angetrieben durch die wachsende Bedeutung von ESG-Zielen und Veränderungen bei den Endinvestoren, vor allem durch Artikel 8 und 9 Fonds. Es ist entscheidend, dass Projektentwickler und Investoren den wirklichen Wert der Einhaltung und Dokumentation von ESG-Kriterien erkennen. Aus Sicht von Fondsanbietern bietet die Auflegung von Artikel 8 und 9 Fonds eine hervorragende Möglichkeit, sich von Wettbewerbern abzuheben und das Vertrauen der Anleger zu stärken. Projektentwickler sollten bei der Ausrichtung von Projekten die umfassende Erfüllung und Dokumentation der ESG-Kriterien beachten. Das gleiche gilt für Finanzierer bei der Beurteilung der langfristigen Risiken der Immobilien.

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