Artikel erschienen am 08.08.2023
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Neurologische Rehabilitation nach Schlaganfall

Von Dr. med. Thomas Hölzer, Bad Harzburg

Die häufigste Ursache eines Schlaganfalls ist der Verschluss einer Schlagader (80–85 %), die einen Teil des Gehirns mit Blut versorgt. Dauert diese örtliche Mangeldurchblutung zu lange an, kommt es zu einem Absterben von Gehirnzellen, dem Hirninfarkt. Die andere Ursache des Schlaganfalls ist eine Hirnblutung (15–20 %) durch eine „geplatzte“ Schlagader im Gehirn.

Die Behandlung des Hirninfarktes und der Hirnblutung ist besonders in den ersten Stunden unterschiedlich. In den ersten Stunden nach dem Auftreten der neurologischen Ausfälle kann die Größe der Hirnschädigung, besonders beim Hirninfarkt, oft verringert werden. Die notwendige Diagnostik und die Akutbehandlung erfolgen wegen der zeitnah benötigten Untersuchungen und Therapie durch Spezialisten auf einer Schlaganfallstation (Stroke-Unit).

Der akute Hirninfarkt ist ein Notfall (112). Wichtig ist schnell das Akutkrankenhaus mit Stroke-Unit zu erreichen, jede Minute zählt. Sind trotz der Akutbehandlung alltags- oder berufsrelevante Schlaganfallfolgen eingetreten, benötigen Patienten eine Rehabilitationsbehandlung. Eine ausreichende Diagnostik vor oder zu Beginn der Rehabilitation ist wichtig. Auf bereits vorliegende Befundergebnisse der Patienten – z. B. aus dem Akutkrankenhaus – wird daher immer zurückgegriffen, auch um Mehrfachuntersuchungen zu vermeiden und eine gute Nachsorgebehandlung abzusprechen.

Je nachdem, an welcher Stelle die Hirnverletzung durch den Schlaganfall aufgetreten ist, kommt es zu unterschiedlichsten Störungen der Gehirnfunktion. In der neurologischen Rehabilitationsklinik sehen wir Hirnfunktionsstörungen als Folge des Schlaganfalls, die von Patient zu Patient in sehr unterschiedlicher Weise und Schwere kombiniert sind. So zeigen sich z. B. Beeinträchtigungen der Muskelkraft, der Koordination, des Fühlens, des Sehens, der Sprache und häufig zusätzlich auch komplexer kognitiver Funktionen.

Durch diese Hirnfunktionsstörungen resultieren Einschränkungen für den individuellen Schlaganfallpatienten, z. B. im Bereich der Selbstversorgung und der Alltagsaktivitäten, der Fortbewegung, der Kommunikation, des Lernens und der Wissensanwendung. Eine wirksame Rehabilitation ist daher ausschlaggebend für die Lebensqualität und die gute Lebensperspektive der betroffenen Menschen.

Häufig bestehen zusätzliche Begleiterkrankungen, wie z. B. Depressionen, Gelenkerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schmerzen, Rückenerkrankungen oder eine Zuckerkrankheit, und auch diese Begleiterkrankungen erfordern spezielle Beachtung. Daher benötigt jeder Patient eine individuell auf ihn abgestimmte Behandlung.

Die meist in der Akutklinik schon durchgeführte diagnostische Zuordnung zu einer bestimmten Erkrankungsursache oder einem bestimmten Erkrankungsmechanismus (ICD) wird in der Rehabilitationsneurologie ergänzt durch eine individuelle aktivitätsfördernde und therapiezielgesteuerte Sicht (ICF). Die Aufnahme des Patienten in eine Rehabilitationsklinik erfolgt häufig aus dem Akutkrankenhaus, seltener auch von zu Hause. Die Behandlung bzw. Weiterbehandlung von Nebenerkrankungen (z. B. Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Infektionen etc.) erfolgt begleitend während der Rehabilitation. Hier soll auch alles getan werden, um einen erneuten Schlaganfall zu vermeiden. In der Folge ist es daher wichtig, auch die veränderbaren Gefäßrisikofaktoren, die unsere Schlagadern krank machen können, zu behandeln. Die wichtigsten Gefäßrisikofaktoren sind: zu hoher Blutdruck, Vorhofflimmern, Rauchen, Übergewicht, zu wenig körperliche Bewegung, eine schlecht eingestellte Zuckerkrankheit, Blutfettstoffwechselstörungen und nicht angemessen verarbeiteter Stress.

Die erfolgreiche Wiedereingliederung des Patienten in den Alltag oder in das Berufsleben ist auch von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Die Rehabilitation ist daher Therapie bestimmt. Vordringliches Ziel in der Rehabilitation ist es, eine größtmögliche Selbstständigkeit im Alltag zu erzielen oder eine Rückkehr an einen Arbeitsplatz zu ermöglichen.

Rehabilitation nutzt die Neuroplastizität und Kompensationsfähigkeit erhalten gebliebener Nervenzellen, um eine effektive Reorganisation unseres menschlichen Körpers einzuleiten und durch Lernen und Üben umzusetzen. Basis der Rehabilitation ist ein Krankheitsfolgenmodell, das den Patienten als Partner begreift. Alle beteiligten Berufsgruppen arbeiten in einer Teamstruktur in eng abgestimmter Kooperation zusammen. Auf den regelmäßigen patientenbezogenen Teamkonferenzen werden Rehabilitationsziele entsprechend dem Behandlungsverlauf und den sich einstellenden Fortschritten erörtert und wenn sinnvoll angepasst. Die Stationsatmosphäre und die Begegnung mit Gleichbetroffenen sowie die anleitende Unterstützung durch Therapeuten, Psychologen, Pflegekräfte und Ärzte fördern die Selbstständigkeit im Alltag und dienen dem Erwerb zusätzlicher auch sozialer Kompetenzen.
Hilfen bei der Krankheitsverarbeitung und im Umgang mit Problemen im sozialen Umfeld sind ebenso wichtig wie die Entwicklung einer ausreichenden Motivation gegenüber den therapeutischen Angeboten und die Vermittlung der patienteneigenen Rolle für den weiteren Rehabilitationsfortschritt.

Dazu nötig ist häufig die Wiederherstellung relevanter Hirnfunktionen wie Orientierung, Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis, Kommunikationsfähigkeit und die Fähigkeit zu planvollem Handeln. Hinzu kommt die Verbesserung motorischer Leistungen wie Stehen, Gehen, Arm- und Handfunktion.

Durch diese Maßnahmen soll die Wiedereingliederung in den neuen Alltag oder in das Erwerbsleben bestmöglich vorbereitet werden, ergänzt durch den Einsatz notwendiger technischer Hilfsmittel und durch die Absprache der nötigen und gewünschten Nachsorgemaßnahmen. Zusammenfassend hat die Rehabilitationsmedizin in den letzten beiden Jahrzehnten eine rasante Entwicklung erlebt. Folgen von Erkrankungen oder Verletzungen des Gehirns, des Rückenmarks oder der peripheren Nerven können heute durch gezielte Rehabilitationsmaßnahmen erheblich verbessert werden. Das menschliche Gehirn ist lern- und umstellungsfähig. Die Mechanismen, mit denen sich die Neuorganisation von Nervengewebe anregen und beschleunigen lassen, bilden die Grundlage moderner neurologischer Rehabilitation.

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