Artikel erschienen am 29.10.2018
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Schwerhörigkeit verstehen

Die Beziehung zwischen Schwerhörigen und ihrem Umfeld

Von Christian Pogan, Braunschweig

Bei Gesprächen in Gesellschaft nicht mehr alles verstehen können, die Fragen der Enkelkinder beim Autofahren nicht richtig hören oder den Fernseher so laut stellen, dass sich bereits der Partner beschwert – das sind Hinweise auf eine Schwerhörigkeit.

Hörgeräte können helfen und den Alltag erleichtern

Nun ist normalerweise der Weg zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt oder zum Hörakustiker der nächste Schritt. Viele Betroffene können sich allerdings noch nicht davon überzeugen lassen, Hörsysteme zu tragen. Vorurteile, wie „die sind zu auffällig“, „die Technik ist zu kompliziert“ und „überhaupt wirkt man damit doch richtig alt“, sind die Bedenken. Daher wird eine Hörschwäche nach wie vor häufig tabuisiert und von den Betroffenen verschwiegen. Angehörige und Bekannte ignorieren oft die Einschränkung, entsprechend erfahren Schwerhörige nur wenig Rück­sichtnahme. Die Begleiterscheinungen, die eine Hörminderung mit sich bringt, sind den Mitmenschen und auch den Leidtragenden oftmals nicht bewusst.
Hörende unterscheiden Sprache und Geräusche. Schwerhörige hingegen können dies nicht differenzieren, für sie ist es einfach nur ein lauter Mix aus Schall.

Auf den Alltag bezogen bedeutet es, dass Hörgeschädigte ständig Probleme haben, für sie wichtige Informationen wie Sprache von unwichtigen Nebengeräuschen zu unterscheiden. Dabei ist es sogar wichtig, Umgebungsgeräusche zu hören und einordnen zu können, beispielsweise diverse Warn- und Signaltöne im Straßenverkehr.

Nicht genau zu erkennen, wer was gesagt hat, verursacht Anstrengung und Stress. Gespräche inhaltlich zu verstehen, das Gehörte passend zu verarbeiten und adäquat darauf zu reagieren, erfordert höchste Konzentration.

Es ist eine permanente Herausforderung, sich dem Alltäglichen, am Arbeitsplatz, bei Arztbesuchen, bei Behördengängen, beim Familienbesuch, beim Sport oder im Restaurant zu stellen und den Menschen nicht skeptisch zu begegnen. Vertrauen ist ein wichtiger Faktor im Leben. Ist es vorhanden, entlastet es von vielen Befürchtungen oder Ängsten. Es macht das Leben einfacher und sicherer. Ist ein normales Umweltvertrauen aber nicht gegeben, dann drohen mancherlei seelische, psychosoziale und sogar körperliche Konsequenzen.

Manche Verhaltensweisen sorgen für Irritationen

Dass Schwerhörige misstrauisch sind, laut und ohne Unterbrechung reden, nicht immer direkt reagieren oder antworten, sind durchaus typische Verhaltensweisen. Hierfür ist aber nicht der jeweilige Charakter verantwortlich, sondern es sind Auswirkungen des Hörverlustes. Dieser beeinflusst das Verhalten eines Hörgeschädigten und auch die eigene persönliche Entwicklung während des gesamten Lebens.

Einige Verhaltensweisen von Schwerhörigen wie ständiges auf den Mund schauen, stark auf Gestik und Mimik achten, sorgen bei den Normalhörenden für Irritationen. Ihnen fällt es auch schwer, sich ständig zu wiederholen, langsamer, klar und deutlich zu sprechen. Eine einfache Erklärung für dieses Verhalten ist, dass fehlendes und unzureichen­des Hören die Kommunikation einschränkt. Ein normales „Plaudern“ ist oft schon schwierig. Nicht nur aufgrund des schlechten Hörens, auch weil das, was heutzutage multimedial auf uns einprasselt, die Menschen mit einem Hörverlust seltener erreicht und so aktuelle Themen nicht besprochen werden können. Kommunikation ist ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens. Wie wichtig diese ist, fällt erst auf, wenn sie nicht mehr richtig möglich ist.

Durch die eingeschränkte Verständigung entstehen Interpretationsfehler oder Missverständnisse. Die Folgen sind Verlust des Selbstvertrauens, Verunsicherung in vielen Lebenssituationen, gesellschaftliche Isolation, Einsamkeit und im schlimmsten Fall Lebenskrisen. Die ständige Anstrengung, seine Umgebung trotz eingeschränkten Hörvermögens wahrnehmen zu wollen, führt zu Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Schwindel, Nervosität, Reizbarkeit, Erschöpfungserscheinungen, Konzentrationsschwächen, Vergesslichkeit oder depressiven Stimmungen.

Auch normal Hörende vermeiden den Kontakt, gehen Situationen aus dem Weg, um den Schwerhörigen peinliche Situationen zu ersparen.

Hörgeräte erleichtern das Leben deutlich

Um nicht komplett auf Lebensqualität verzichten zu müssen, sind Hörgeräte empfehlenswert. Das Hören wird natürlich nicht wieder wie das eines normal hörenden Menschen, aber das Tragen eines Hörgerätes erleichtert das Leben deutlich. Wichtig ist, dass auch den Mitmenschen bewusst wird, dass es mit den Hörsystemen weiterhin Situationen geben kann, in denen nicht alles verstanden wird. Gründe liegen in der Art der Schwerhörigkeit, in der Dauer des unversorgten Hörverlustes und im Alter des Hörgeräteträgers. Der psychologische Leidensdruck, der durch einen Hörverlust entsteht, wirkt sich bei jedem Betroffenen unterschiedlich aus und ist davon abhängig, wie gut der Ausgleich der Hörstörung mit Hilfe von Hörsystemen gelingt.

Ein soziales Umfeld, das die Umstände akzeptiert und damit gut umzugehen versteht, entspannt die gesamte Lebenssituation deutlich. Selbst aktiv zu werden ist ganz entscheidend. Man darf sich nicht zurückziehen und sollte sein Leben mit den bekannten Einschränkungen positiv gestalten.

Bild: Fotolia/Blackboard1965

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