Artikel erschienen am 10.05.2013
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Wozu dient die Vorsorgeuntersuchung „grüner Star“?

Von PD Dr. med. Tobias Hudde, Wolfsburg-Fallersleben

Ziel der Vorsorgeuntersuchung „grüner Star“ – medizinisch „Glaukom“ genannt – ist es, möglichst früh charakteristische Veränderungen der Sehnerven festzustellen, um ggf. mit einer frühzeitigen Behandlung störende Einschränkungen des Gesichtsfeldes und der Sehschärfe zu verhindern. Eine Früherkennung ist sinnvoll, weil die Erkrankung ernst, im Alter häufig und heute behandelbar ist. Weil es anders als bei einigen Krebsarten kein Vorsorgeprogramm der gesetzlichen Krankenkassen gibt, werden augenärztliche Vorsorgeuntersuchungen als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) angeboten.

Charakteristisch für das Glaukom (eigentlich die Glaukome, weil es sich um eine Gruppe von Erkrankungen handelt) ist ein Schwund der Sehnervenfasern. Dieser Schwund ist unumkehrbar und wird erst spät vom Patienten bemerkt. Noch bevor die Sehschärfe schlecht wird, treten meist Ausfälle im Gesichtsfeld auf. Diese führen zu Unsicherheit z. B. beim nächtlichen Autofahren. In Deutschland sind ca. 500 000 Menschen an einem Glaukom erkrankt. Die Dunkelziffer ist hoch.

Augenärztliche Untersuchung

Neben der Vorgeschichte (Anamnese), der Messung der Sehschärfe und evtl. des Gesichtsfeldes ist eine binokulare mikroskopische Untersuchung des Auges Standard. Bei der Betrachtung der Sehnervenscheibe, der Papilla nervi optici, am Augenhintergrund durch die Spiegelung achtet Ihr Augenarzt auf die Färbung und die Dicke der Nervenfaserschicht und die sogenannte Cup-Disc-Ratio, das Verhältnis zwischen Aushöhlung und Gesamtdurchmesser der Sehnervenscheibe in vertikaler Ausrichtung. Weiter wird auf Phänomene wie eine Papillenrandblutung und Kerben im Randsaum geachtet. Mit der Spaltlampe kann u. a. der Vorderkammerwinkel, über den Kammerwasser abfließt, beurteilt werden. Besonderheiten wie eine Pseudoexfoliation oder Pigmentdispersion (beides Risikokfaktoren für ein Glaukom) werden erkannt.

Augeninnendruckmessung

Der Augeninnendruck ist der wichtigste, jedoch nicht der einzige Risikofaktor einer Glaukomerkrankung. Durchschnittlich beträgt der Augeninnendruck 15,5 mmHg (Quecksilbersäule). Der Normbereich wird durch die doppelte Standardabweichung auf 10 bis 21 mmHg definiert. Es gibt jedoch Menschen mit Augeninnendruckwerten im Normbereich, die trotzdem an einem Glaukom erkrankt sind. Umgekehrt kann ein Augeninnendruck bis 25 mmHg vereinzelt auch bei Gesunden vorkommen. Oft ist die Hornhaut bei den Letztgenannten dicker und die Messwerte haben eine falsche Höhe. Deshalb empfehlen Augenärzte bei Verdacht auf eine Glaukomerkrankung immer eine Messung der Hornhautdicke, die eine Korrektur des gemessenen Wertes erlaubt. Einigkeit besteht darin, dass ab einem korrigierten Augeninnendruck über 25 mmHg behandelt werden sollte.

Weitere Risikofaktoren

Weitere Risikofaktoren sind z. B. das Alter ab ca. 40 Lebensjahren und eine positive Familienanam­nese. Wenn Eltern oder Geschwister an grünem Star erkrankt oder gar erblindet sind, besteht ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Höhere Kurz- oder Weitsichtigkeit, ethnische Herkunft, z. B. aus manchen Gebieten Afrikas oder der Karibik, und ein Zustand nach Verletzungen sind weitere Risikofaktoren. Gerade stumpfe Verletzungen wie Prellungen des Auges bei Spiel oder Sport können auch nach Jahrzehnten zu einer Glaukomerkrankung führen und dürfen daher nicht vergessen werden.

Bildgebende Verfahren

Die wertvollen Informationen aus einer Anamnese, Augeninnendruckmessung und einer binokularen augenärztlichen Untersuchung können den Ist-Zustand gut erfassen. Sie ermöglichen auch eine grobe Risikoabschätzung und Verlaufsbeurteilung. Ein wertvolles Hilfsmittel sind jedoch bildgebende Verfahren, die dreidimensional die Nervenfaserschicht vermessen. Diese Befunde sind detailreicher und objektiver. Zum Vergleich sind im Gerät Normalwerte von Gesunden aller Altersgruppen gespeichert. Weil die Geräte alle Messungen speichern, können auch nach Jahren selbst kleine Veränderungen festgestellt und beurteilt werden. Eine Pupillenerweiterung ist in der Regel nicht notwendig, sodass die aktive Teilnahme am Straßenverkehr nicht beeinträchtigt wird.

Die Abb. zeigt beispielhaft Ergebnisse einer Vorsorgeuntersuchung mit einem Gerät, das dem Stand des medizinischen Fortschrittes entspricht (hier Cirrus HD-OCT-Gerät, Fa. Zeiss). Die seitlichen Spalten zeigen die Sehnervenscheiben mit den Netzhautgefäßen in der Aufsicht und in Schnittbildern. In der mittleren Spalte ist jeweils die dazugehörige Analyse mit einem Vergleich zu Durchschnittswerten altersgleicher Gesunder abgebildet. Oben ist farbcodiert die Dicke und Verteilung der Nervenfaserschicht zu sehen. Im Bild darunter sind die Linien für die Schnittbilder eingezeichnet. Diese Schnittbilder durch das Relief der Papillen in horizontaler und vertikaler Richtung und kreisförmig um die Papille sind unten angeordnet. Die Messergebnisse sind „im grünen Bereich“, also als gesund einzustufen. Verlaufskontrollen über viele Jahre sind möglich, sodass auch kleine krankhafte Veränderungen im Bereich des Sehnerven oder auch der Makula lutea festgestellt werden können.

Optische Kohärenztomografie

Die optische Kohärenztomografie (OCT, verschiedene Hersteller) funktioniert ähnlich wie die Ul­traschalluntersuchung. Es werden jedoch keine Schallwellen, sondern Laserlicht verwendet. Schnittbilder durch die Netzhaut und Sehnervenscheibe werden erzeugt. Unterschiedliches Reflexionsverhalten – z. B. der Nervenfaserschicht, der Sinneszellen (Zapfen und Stäbchen) oder der Pigmentschicht unter der Netzhaut – erlauben eine Quantifizierung der Schichtdicken. Moderne Geräte können die zweidimensionalen Schnittbilder zu dreidimensionalen Bildern zusammenfassen und ermöglichen Volumenberechnungen. Auch ein geringer Schwund der Nervenfaserschicht kann über lange Zeiträume erkannt werden. Die OCT wird auch in der Makuladiagnostik häufig eingesetzt.

Laserscanning-Tomografie

Die Laserscanning-Tomografie (z. B. HRT der Fa. Heidelberg Engineering) ist in der Glaukomdia-gnostik etabliert. Ein Laserstrahl tastet die Netzhaut und den Sehnerv ab. Mit mehreren zehntausend Messpunkten wird ein dreidimensionales Höhenrelief erzeugt, welches eine Beurteilung wichtiger Strukturen erlaubt. So wird beispielsweise die Aushöhlung des Sehnervenkopfes (Papillenexkavation) oder die Dicke der Nervenfaserschicht um die Sehnervenscheibe berechnet.

Nervenfaserpolarimetrie

Bei der Nervenfaserpolarimetrie (z. B. GDxVCC, Fa. Humphrey Zeiss) werden die doppelbrechenden Eigenschaften der Nervenfaserschicht um den Sehnerven ausgenutzt. Der Augenhintergrund wird mit polarisiertem Licht beleuchtet. Im Bereich der Nervenfasern wird die Polarisationsebene verändert. Die Änderung der Polarisationsrichtung ist proportional zur Dicke der Nervenfaserschicht.

Es ist nicht so entscheidend, welches Gerät genutzt wird. Jedes der zugrunde liegenden Verfahren bietet erhebliche Vorteile gegenüber der Bleistiftskizze, wie sie früher üblich war, oder der Beschreibung mit Worten. Auch Farbfotografien der Sehnervenscheibe bieten weniger Informationen. Die Ergebnisse müssen jedoch fachärztlich interpretiert werden. Deshalb macht eine Aufstellung solcher Hightech-Geräte im Einkaufszentrum keinen Sinn. Ihr Augenarzt verfügt entweder in seiner Praxis oder durch Beteiligung an einem augenärztlichen Diagnostikzentrum (ADC, z. B. in Braunschweig, Celle, Helmstedt oder Fallersleben) über mindestens eines der Geräte. Durch zahlreiche große Studien wurde der Nutzen einer Vorsorgeuntersuchung „grüner Star“ und auch der Einsatz der geschilderten Geräte nachgewiesen. Spätere Erkrankungsstadien werden beim Augenarzt auch ohne Vorsorgeuntersuchung erkannt. Deshalb ist ein Augenarztbesuch selbst ohne Vorsorgeuntersuchung auf jeden Fall sinnvoll. Als weitere Lektüre empfehlen wir die Homepage der augen-
ärztlichen Fachgesellschaften (www.dog.org und
www.augeninfo.de) oder de.wikipedia.org.

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