Artikel erschienen am 15.12.2023
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Pflanzliche Therapie

Neue Lösungen für die Medizin!

Von Dr. Andreas Biller, Stelle

Im Mittelpunkt meiner Dissertation stand die Frage, warum Pflanzen mit hohem Energieaufwand Sekundärstoffe produzieren, die sie eigentlich nicht direkt zum Leben brauchen. Uns Menschen freut es, wir würzen damit unsere Speisen und Getränke, machen Parfüms daraus oder heilen damit Krankheiten. Inzwischen weiß man, dass Pflanzen das tun, um Fressfeinden den Appetit zu verderben, schließlich können die Pflanzen nicht einfach wegrennen. Sie schützen sich mechanisch mit Stacheln und Dornen oder chemisch mit Bitterstoffen oder giftigen Substanzen. Daran angepasste Insekten nehmen die Giftstoffe auf, bauen sie um und nutzen sie ihrerseits wieder zu ihrer eigenen Verteidigung.

Foto: Adobe Stock/ Istvan

 

Das Potenzial der Pflanzenstoffe ist riesig und bei der Entwicklung von chemisch definierten Arzneimitteln dienten sie der pharmazeutischen Industrie schon oft als Vorbild für die Synthese wirksamer Arzneimittel. Ein berühmtes Beispiel eines schon über 100 Jahre alten erfolgreichen Schmerzmittels ist die Acetylsalicylsäure, besser bekannt unter dem Markennamen Aspirin, das den Bayer-Konzern berühmt gemacht hat. Die Forscher haben zunächst den Stoff aus der Weidenrinde isoliert und dann dessen Struktur aufgeklärt. In Tests stellte sich heraus, dass nur geringe Mengen der natürlichen Substanz vom Körper aufgenommen werden. Um die Bioverfügbarkeit des Wirkstoffs zu erhöhen, wurde im Labor ein Essigsäuremolekül an die Salycylsäure geheftet und fertig war die Acetylsaliyclsäure, die sich immer noch gut verkauft und außer zur Schmerzstillung auch zur Blutverdünnung in der Prophylaxe von Herzinfarkten eingesetzt.

Aus dem in den jungen Zweigen der europäischen Eibe (Taxus baccata) vorkommenden Paclitaxel wird im Labor Taxol zur Behandlung von Eierstock- oder Brustkrebs hergestellt. Auch für die millionenfach eingesetzten Arzneimittel zur Cholesterinsenkung, die Statine, gab es schon lange ein Vorbild in der Natur: Monacholine aus dem Roten Reis. Hierbei handelt es sich allerdings um einen Pilz, der dem Reis seine rote Farbe gibt.

Die systematische Erforschung der Pilze hat erst begonnen. Vielleicht wird man in der Zukunft aus Pilzen neue Antibiotika gewinnen, die die zum ernsthaften Problem gewordenen Multi-Resistenzen überwinden. Neu wäre das nicht, denn das erste Antibiotikum stammt ja bekanntlich aus Schimmelpilzen: Penicillin.

Trotz dieser berühmten Beispiele war das Ansehen der Phytotherapie in der strengen Schulmedizin jahrzehntelang nicht besonders hoch. Pflanzliche Arzneimittel galten als schwach wirksame Medikamente und wurden als Blümchenmedizin betitelt, die vom Menschen erst zum Wirken gebracht werden mussten und bestenfalls als Ideengeber fungierten. Erst die Bestimmung des Wirkstoffs und Isolation aus dem Pflanzenextrakt und eine verbesserte Verfügbarkeit durch chemische Veränderungen wurde als echte Pharmazie erkannt.

Ich habe mir immer gewünscht, dass es zu einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen der Schulmedizin und der sogenannten Komplementärmedizin kommen würde. Zumal die Phytotherapie von Ihrer Wirkweise den Ansichten der schulmedizinischen Lehre entspricht. Anders als die Homöopathie wirken Pflanzenextrakte stofflich und mit einem oft sehr klar definierten Wirkmechanismus.

Im Unterschied zu den chemisch definierten Wirkstoffen handelt es sich bei den pflanzlichen Extrakten um hochkomplexe Stoffgemische und 50 verschiedene Inhaltsstoffe sind eher Durchschnitt als Ausnahme. Doch genau das könnte ihre Stärke sein und sie befähigen, die bestehenden Lücken der Schulmedizin zu füllen.

Wie komme ich darauf?

Die Schulmedizin ist so erfolgreich geworden, weil sie immer tiefer ins Detail gegangen ist. Die Reise ging vom gesamten Körper, in einzelne Organe bis hin zu Rezeptoren, Genen und Molekülen. Dabei wurde so komplexes Wissen angehäuft, dass eine Aufspaltung in verschiedene Fachbereiche unerlässlich war. Durch die notwendige Bildung von Fachbereichen ist dabei manchmal die Sicht auf das Miteinander der Organe verloren gegangen. Aber weder das Herz oder die Leber funktionieren isoliert im Raum, sondern viele Organe wirken zusammen und bilden eine funktionelle Einheit. Dementsprechend kann es in der modernen Medizin zu Problemen bei der Behandlung von funktionellen Erkrankungen kommen, die sich nicht nur einem Organ zuordnen lassen.

In der Forschung hat sich auch immer wieder gezeigt, dass die gewünschte Wirkung eines hochpotenten chemischen Medikaments leider zu weniger willkommenen Nebenwirkungen führen kann, die dann unangenehmer als die Krankheit selber sind. Dies führt nicht selten in der Entwicklung von Medikamenten zu Abbrüchen von Projekten. Genau da könnte die Stärke der Phytomedizin liegen. Die vielen in Pflanzen enthaltenen Stoffe können an verschieden Stellen im Körper angreifen und Begleitstoffe potenzielle Nebenwirkungen mindern. Die Phytomedizin hat in den letzten Jahren aufgeholt. Klinische Studien auf hohem wissenschaftlichen Niveau wurden durchgeführt und durch Publikation einer wissenschaftlichen Diskussion geöffnet.

Im Bereich der Antidepressiva konnte z.B. für Johanniskraut eine Vergleichbarkeit mit trizyklischen Antidepressiva oder moderneren Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern wie Fluoxetin gezeigt werden. Arzneimittel-Extrakte aus der Mariendistel können dazu beitragen, Leberschäden zu verbessern, was an einer Senkung der Leberenzymwerte nachweisbar ist. Blattextrakte aus Ginkgo biloba dienen der symptomatischen Behandlung von hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen bei dementiellen Syndromen.

Anders als in der Öffentlichkeit häufig wahrgenommen, gibt es für die in Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzten botanischen Extrakte inzwischen sehr vielversprechende Forschungsstudien. Hier lässt sich international ein buntes Forschungstreiben verfolgen. Spannend sind zum Beispiel die Erkenntnisse zu der in Skandinavien sehr populären Dickblattpflanze Rhodiola rosea. Extrakte aus der Wurzel (Rosenwurz) wirken als Adaptogene. Sie unterstützen die Anpassungsmechanismen des menschlichen Körpers an widrige Lebensumstände sowohl körperlich als auch psychisch. Diese hohe Anpassungsfähigkeit hat bisher das Überleben des Homo sapiens gesichert und wird in den kommenden Jahrzehnten sicher sehr gebraucht. Aus Naturschutzgründen wird die Pflanze inzwischen auch in Deutschland angebaut und immer weniger aus den Böden des Atai-Gebirges ausgegraben.

Ebenfalls in Deutschland wurde der Extrakt einer speziellen Varietät der Zitronenmelisse entwickelt. Eine Tagesdosis von 300 mg der Zubereitung kann, wie in klinischen Studien nachgewiesen wurde, die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern und zu mehr Ruhe und besserer Stimmung führen. Über ein Zuviel an guter Laune können wir uns in Deutschland z.Zt. auch nicht beklagen. Die angereicherten Wirkstoffe balancieren den Spiegel des Stresshormons Cortisol und der Neurotransmitter GABA und Dopamin aus Eine Stunde nach Einnahme ist der Effekt bereits messbar.

Die Liste der zu erforschenden und zu entdeckenden Pflanzen ist lang und spannend: Extrakte aus dem griechischen Bergtee (Sideristis scardica) können bei speziell gezüchteten „Alzheimer-Mäusen“ die Gedächtnisleistung wieder herstellen, wie tierpharmakologische Untersuchungen zeigten. Wirkstoffe aus Maulbeerbaumblättern verwandeln schnell verfügbare Kohlenhydrate zu langsam verfügbaren. Blutzuckerspitzen und nachfolgende erhöhte Insulin-Freisetzungen können so vermieden werden. Ein wichtiger Baustein zur Vermeidung von Diabetes Typ2.

In der Pflanzenwelt gibt es noch viel zu entdecken – ich muss los!

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