Artikel erschienen am 18.12.2023
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Das diabetische Fußsyndrom

Von Dr. med. Hisham Kawara, Braunschweig | Prof. Dr. med. Frank Schmitz, Braunschweig

Die Wahrscheinlichkeit eines diabetischen Fußsyndroms eines Menschen mit Diabetes beträgt 19-34 %. Rund zwei Drittel aller nichttraumatisch bedingten Amputationen sind auf das diabetische Fußsyndrom zurückzuführen. In spezialisierten Einrichtungen kann die Amputationshäufigkeit signifikant reduziert werden. Beispielsweise lag die Rate von Majoramputationen (Amputationen oberhalb des Knöchels) in Zentren der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie in den letzten Jahren dokumentiert bei konstant unter 3,5 %.

Foto: HEH, Adobe Stock / Maha Heang 245789

Risikofaktoren für das diabetische Fußsyndrom

Die Risikofaktoren für die Entstehung und Entwicklung eines diabetischen Fußsyndroms sind umfassend untersucht. Es kann festgehalten werden, dass mehrere Faktoren zusammenwirken müssen, damit sich ein diabetisches Fußsyndrom entwickeln kann. So gelten als Risikofaktoren insbesondere die Dauer sowie die Stoffwechselgüte des Diabetes, das Vorliegen einer Diabetes-Folgeschädigung der peripheren Nerven (Neuropathie) und das Vorhandensein einer arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK). Weitere Risikoparameter für Fußläsionen bei Menschen mit Diabetes sind Übergewicht (Body-Mass-Index >35), eine gleichzeitig vorliegende Gelenkerkrankung des Fußes, eine mangelnde bzw. falsche Fußpflege sowie Barfußlaufen und Hornhautschwielen bzw. Rhagaden (Einrisse der Haut).

Entstehung des diabetischen Fußsyndroms

Für die Entstehung des diabetischen Fußsyndroms spielen folgende Faktoren eine besondere Rolle: Diabetische Neuropathie, Verminderung der Gewebedurchblutung bei Arterienverschlüssen (pAVK), Begleitinfektion und Störung der Wundheilungskaskade bei schlecht eingestelltem Diabetes mellitus.
• Die Neuropathie verursacht Atrophie (Gewebeschwund) der Fußmuskeln und führt zu Fußfehlstellungen wie Hammer- oder Krallenzehen. Hierdurch kommt es zu einer Druckbelastung auf vulnerable Regionen des Fußes und damit zu Hornschwielen und Geschwürbildung. Zusätzlich reduziert sich das sensible Empfinden durch den Nervenschaden, sodass kleinere Verletzungen durch z.B. falsches Schuhwerk nicht direkt bemerkt werden.
• Die pAVK tritt bei Menschen mit Diabetes signifikant (um den Faktor 30) häufiger auf. Die Mehrheit der Menschen mit Diabetes und pAVK weist Verschlüsse der Unterschenkelgefäße auf, während die Fußarterien oft nur geringgradig atherosklerotisch verändert sind. Sie stehen damit als Anschlussgefäße für Bypässe zur Verfügung und eröffnen Möglichkeiten für eine erfolgreiche gefäßrekonstruktive Maßnahme in dem Bereich.
• Bei Vorliegen einer Infektion ist ein sofortiges Handeln unverzichtbar. Neben einer antibiotischen Behandlung sollte der Infektfokus chirurgisch entfernt bzw. entlastet werden. Das vorgeschädigte Gewebe, sowohl durch die pAVK als auch durch die Folgeschäden durch die Neuropathie, ist für eine bakterielle Besiedelung besonders anfällig.

„Zeigt her Eure Füße“ – die Fußuntersuchung

Bei allen Menschen mit Diabetes sollten Füße und Schuhwerk regelmäßig untersucht werden. Die Fußuntersuchung ist verpflichtender Bestandteil der Disease Management Programme für Diabetiker. Die Kontrollintervalle des Fußes sind dabei abhängig von der bestehenden Risikokonstellation (s. Tabelle).

Die Untersuchung des Patienten mit Diabetes beinhaltet die

  • gezielte Befragung (Anamnese) nach brennenden oder stechenden Schmerzen, Taubheitsempfinden oder das Fehlen jeglicher Empfindung,
  • die beidseitige Fußuntersuchung: Hautstatus (Integrität, Schweißbildung, Schwielen), Muskulatur, Deformitäten, Beweglichkeit, Hauttemperatur),
  • das Prüfen der Drucksensibilität und des Vibrationsempfindens und
  • das Tasten der Fußpulse (A. tibialis posterior, A. dorsalis pedis).

Wird bei einem Patienten eine Läsion im Sinne eines diabetischen Fußsyndroms diagnostiziert, sollte diese nach dem Ausmaß der Gewebezerstörung und dem Vorliegen einer Infektion und/oder Durchblutungsstörung klassifiziert werden. Die Klassifikationssysteme zur Erfassung des Schweregrades nach Wagner oder nach Wagner und Armstrong stellen die Grundlage für eine stadiengerechte Behandlung dar und ermöglichen die Vergleichbarkeit der Befunde über den Erkrankungsverlauf.

Die Behandlung – ein interdisziplinäres, multiprofessionelles und transsektorales Vorgehen

Nur durch ein eng zusammenarbeitendes Netzwerk von Fachexperten für die Erkrankung in Praxen und Krankenhäusern kann die Häufigkeit von Amputationen bei diabetischem Fußsyndrom bedeutend gesenkt werden. Wesentliche Komponenten der Behandlung sind dabei: Stoffwechseloptimierung, die Behandlung begleitender internistischer Erkrankungen, Infektionskontrolle, chirurgisches Entfernen (Débridement) abgestorbener Gewebeanteile, effektive Druckentlastung durch Fußweichbettung und Spezialschuhwerk, Therapie von Gefäßerkrankungen, stadiengerechte lokale Wundbehandlung, fußchirurgische Korrektur von (Zehen-) Deformitäten/Amputation und nicht zuletzt Patientenschulung und Prophylaxe.

Während Hausarzt, Internist und/oder Diabetologe in der Regel die medikamentöse Diabetestherapie und Infektionsbehandlung übernehmen, ist für die chirurgische Therapie des diabetischen Fußsyndroms überwiegend der Gefäßchirurg verantwortlich. Den Gefäßstatus und auch Dehnungsbehandlungen (Kathetertechnik) an den durchblutenden Arterien kann auch ein spezialisierter Angiologe, Radiologe oder Gefäßchirurg ausführen. Die Versorgung mit adäquatem Schuhwerk ist die Domäne des orthopädischen Schuhmachers.

Gefäßchirurgische Therapie

Liegt eine pAVK vor, ist bei nicht heilenden Fußwunden dringend die Indikation zur Wiederherstellung der Durchblutungssituation zu stellen und adäquate Gefäßdiagnostik (Ultraschall und Gefäßdarstellung) zu veranlassen. Ohne ausreichende Durchblutung ist eine Wundheilung nicht zu erwarten. Dabei ergänzen sich offenchirurgische und minimalinvasive Kathetereingriffe. Ihr Einsatz ist abhängig vom Verteilungsmuster der pAVK, der Länge der Gefäßverschlüsse und der Expertise und apparativen Ausstattung des Behandlers. In spezialisierten Kliniken stehen in der Regel beide ebengenannten Behandlungsverfahren zur Verfügung. Wir bevorzugen zunächst die minimalinvasive Kathetertechnik (s. Abb. 1a und 1b). Da nicht selten die Gefäßverschlüsse mit der Kathetertechnik nicht zu passieren sind, hat die periphere Bypasschirurgie (s. Abb. 2a und 2b) an Unterschenkel- und Fußarterien, deren Durchmesser sehr klein ist, einen unverzichtbaren Stellenwert und scheint angesichts weltweit steigender Zahlen von Diabetespatienten und der damit verbundenen Komplikationen auch in Zukunft ein wichtiger Baustein bei der Behandlung der DFS zu bleiben.

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