Artikel erschienen am 04.08.2023
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Krise und Wandel finanziell stemmen

KMU müssen sich unter Druck transformieren – neue Finanzierungsansätze erforderlich

Von Carl-Jan von der Goltz, Hamburg

Viele Unternehmer spüren die Abkühlung bereits am eigenen Leib, was sich auch am Geschäftsklima zeigt: Gerade im verarbeitenden Gewerbe sank der ifo-Geschäftsklimaindex im Juni2 auf den niedrigsten Stand seit November 2022. Aber auch der Dienstleistungssektor, der Handel und die Baubranche sind geprägt von Rückgängen und zunehmendem Pessimismus bezüglich der weiteren Aussichten.

Herausforderungen wie die geopolitische Unsicherheit, die nach wie vor hohen Energiepreise und die in vielen Bereichen weiter bestehenden Materialengpässe belasten gerade kleine und mittlere Unternehmen. Zusätzlich zum schrumpfenden BIP dürften die Inflationsraten in diesem Jahr hoch bleiben. Das ifo-Institut rechnet 2023 mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von fast sechs Prozent. Für energieintensive Industrien, die Bauwirtschaft und auch den Transport- und Logistiksektor ist die Lage besonders angespannt. Was manchem Mittelständler ebenfalls Kopfschmerzen bereiten dürfte, ist die schwindende Auslandsnachfrage. So sind die Exporterwartungen3 im Juni auf den niedrigsten Wert seit letztem November gesunken.

Fachkräftemangel trifft Nachwuchssorgen

Der demografische Wandel ist ebenfalls eine Herausforderung für KMU. So heizen der zunehmende Renteneintritt der Baby-Boomer und zu wenig nachrückende junge Arbeitskräfte den Fachkräftemangel immer stärker an. Laut dem Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA)4 des IW Köln lag die Fachkräftelücke im letzten Jahr bei 630.000 Stellen. Nach Berechnungen des KOFA konnten somit vier von zehn Stellen nicht mehr mit ausreichend qualifizierten Fachkräften besetzt werden. Neben der verringerten Produktivität verursacht die Situation für Arbeitgeber zusehends Kosten. In immer mehr Bereichen kommt es zum Wettstreit bei der Bezahlung. Zudem muss viel Liquidität in die Personalsuche und oftmals auch in technische Lösungen investiert werden, um fehlende Arbeitskräfte zu kompensieren.

Auch der Generationswechsel wird für die Betriebe immer schwieriger. Laut dem Nachfolgemonitor 20225 des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) finden mittlerweile 46 Prozent der Alt-Unternehmer keinen passenden Nachfolger mehr. Fast die Hälfte der Befragten will den Betrieb daher extern übergeben. Wird ein potenzieller Nachfolger gefunden, steht allerdings die nächste Hürde bevor: 41 Prozent der Befragten haben mit der Übernahmefinanzierung Herausforderungen. Laut DIHK dürfte sich die Finanzierung über Eigenmittel in den letzten 12 Monaten um 24 Prozent verschlechtert haben, die Aussicht auf einen Bankkredit sogar um 26 Prozent.

Statt Transformation: Krise hat meist Vorrang

KMU stehen nicht nur durch die aktuellen Krisen, sondern auch durch Transformationsthemen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit unter Stress. Dabei können Unternehmer die nötigen Anpassungen oft nicht schnell genug umsetzen. So hat eine Umfrage6 des DIHK unter 4.000 Betrieben etwa eine nur durchwachsene Selbsteinschätzung des eigenen Digitalisierungsgrades ergeben. Haupthemmnisse sind für 37 Prozent ein Mangel an zeitlichen Ressourcen und für 34 Prozent fehlende finanzielle Mittel. Werde dennoch digitalisiert, geschehe das, um auf die derzeitige Krise zu reagieren. Für neue Geschäftsmodelle sei hingegen oft keine Kapazität vorhanden. Das könnte für zahlreiche KMU künftig aber zur Herausforderung werden: Viele Geschäftsansätze müssen mittel- bis langfristig überdacht werden, um die Betriebe dauerhaft wettbewerbsfähig zu halten.

Bei der Nachhaltigkeit stehen Mittelständler ebenfalls unter Zugzwang. Die bisherigen Bemühungen reichen nicht aus, um die deutschen Klimaziele zu erreichen. Laut dem Klimabarometer7 der KfW sind für eine CO2-Neutralität Deutschlands bis 2045 jährliche Investitionen privater Unternehmen von insgesamt 120 Milliarden Euro nötig. Die 2022 investierten 55 Milliarden Euro müssten künftig also noch mehr als verdoppelt werden. In der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Krise müssen Mittelständler jedoch priorisieren: Tagesgeschäft, Aufrechterhaltung des Betriebs und Kostenreduzierung haben Vorrang. Das hat auch eine Capgemini-Studie zum Investitionsverhalten8 gezeigt. Angesichts der He-rausforderungen werden Ausgaben zunehmend kritisch hinterfragt. So planen laut Studie zwar 46 Prozent der Firmen höhere Investitionen in ihre Lieferkette und 34 Prozent in neue Technologien – allerdings dient dies hauptsächlich der Absicherung und Kostensenkung.

Insgesamt herrsche Zurückhaltung bei den Investitionen. Beim Thema ökologische Nachhaltigkeit etwa gab über die Hälfte der Befragten an, die Ausgaben zuletzt reduziert zu haben. Angesichts der aktuellen Lage ist dies riskant, aber nachvollziehbar; zumal sich auch die gewohnten Finanzierungspartner zunehmend restriktiv zeigen.

Klassische Finanzierung stockt – es gibt Alternativen

Die heutige Unsicherheit führt im Zusammenspiel mit der verschärften Regulierung zu steigender Zurückhaltung bei den Banken. Die Häuser müssen immer mehr Eigenkapital für riskante Engagements vorhalten und strikte Obergrenzen bei der Verschuldungsquote einhalten. Deshalb wird bei der Neuvergabe von Krediten fast ausschließlich auf eine optimale Bonität der Unternehmen geachtet. Darüber hinaus werden manche Branchen generell von neuen Engagements ausgeschlossen. Dies trifft gerade Bereiche, die besonders unter Transformationsdruck stehen oder durch die Energiekrise in Mitleidenschaft gezogen wurden. Insgesamt wurden 2023 die Vergaberichtlinien und Kreditkonditionen bei den Unternehmenskrediten weiter verschärft, wie der Bank Lending Survey9 des Eurosystems zeigt.

KMU sind heute allerdings nicht mehr allein auf Bankkredite angewiesen. Es gibt Alternativen wie die objektbasierte Finanzierung. Bei Modellen wie Sale & Lease Back oder Asset Based Credit ist die Bonität zweitrangig. Zudem ist Liquidität hier in der Regel zeitnah verfügbar, was die Finanzierungsansätze gerade in der aktuellen Krisenzeit relevant macht.

Sale & Lease Back – Finanzierung über Gebrauchtmaschinen

Beim Sale & Lease Back (SLB) verkaufen produzierende oder verarbeitende KMU werthaltiges Anlagevermögen wie Maschinen-, Anlagen- oder Fuhrparks und leasen es unmittelbar wieder zurück. Das verschafft Liquidität; zugleich können die Produktionsmittel ununterbrochen weitergenutzt werden. Sind die jeweiligen Vermögensobjekte eines Betriebs in der Bilanz größtenteils abgeschrieben, ermöglicht dies eine Stärkung des wirtschaftlichen Eigenkapitals: Durch SLB können in diesem Fall stille Reserven gehoben werden. Hinzu kommt ein steuerlicher Vorteil, da die Leasing-raten für die weitere Nutzung der Maschinen teils als Betriebsausgaben abzugsfähig sind.

Liquidität auch bei Herausforderungen

Die durch SLB verfügbare Liquidität kann beispielsweise zur Überbrückung von Umsatzflauten, zur Umstrukturierung der Lieferkette, im Rahmen einer Nachfolgelösung oder für Investitionen eingesetzt werden. Damit lassen sich digitale oder nachhaltige Prozesse in der Produktion, der Verwaltung, der Verteilung oder der Entsorgung einführen beziehungsweise ausbauen. Auch bei grundlegendem Restrukturierungsbedarf sorgt SLB für die erforderlichen Mittel. Befindet sich ein Unternehmen angesichts der aktuellen Situation in einer gerichtlichen Sanierung, kann das bonitätsunabhängige SLB ebenfalls unterstützen. Ebenso steht das objektbasierte Modell für Auftragsvorfinanzierungen nach überstandener Krise zur Verfügung. Der Ansatz weist einen kurzen Finanzierungsprozess auf und ist damit für die entsprechenden Herausforderungen geeignet. In der Regel dauert es von der ersten Anfrage bis zur finalen Auszahlung des Kaufpreises vier bis sechs Wochen.

Um Sale & Lease Back nutzen zu können, sollten KMU werthaltiges und sekundärmarktfähiges mobiles Anlagevermögen besitzen. Zudem müssen die Maschinen, Anlagen oder Fahrzeuge zahlreich und fungibel sein; der Maschinen- oder Fuhrpark aus marktgängigen und einzeln austauschbaren Assets bestehen. Sonder- und Einzelanfertigungen sowie Prototypen sind nicht SLB-geeignet. Auch sollten die Objekte transportfähig und nicht kompliziert verkettet oder mit der Fabrikhalle verbaut sein.

Asset Based Credit – besichert durch Umlauf- und Anlagevermöge

In der Regel besitzen KMU werthaltige Vermögensgegenstände – egal, ob Produzenten, Verarbeiter, Händler oder Dienstleister. Selbst Jungunternehmen und Start-ups verfügen häufig über solche Assets. Im Rahmen eines Asset Based Credits können diese Objekte als Sicherheit für einen kurz- bis mittelfristigen Spezialkredit eingesetzt werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Anlage- oder Umlaufvermögen handelt. So bietet der Ansatz die Möglichkeit, etwa Maschinen und Anlagen, Bestände aus dem Fertig- und Handelswarenlager, Sachwerte oder Immobilien zur Besicherung zu nutzen.

Ein Asset Based Credit ist flexibel einsetzbar und eignet sich gerade in bewegter Wirtschaftslage. Die Finanzierung hilft bei der Überbrückung von Flauten, stockt die Betriebsmittel auf und kann so unterstützen, die Auswirkungen der Multikrise abzudämpfen. Bei Investitionen in nachhaltige Verfahren oder Digitalisierungsvorhaben sowie bei erhöhten Personalausgaben oder Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung und -sicherung steht der Ansatz ebenfalls zur Verfügung.

Flexibel nutzbar, wenn die Assets stimmen

Mittelständische Unternehmen haben durch die assetbasierten Kredite ein Instrument zur Hand, um sich sowohl Fragen des Tagesgeschäfts als auch der Weiterentwicklung oder der Krisenabwehr zu stellen. Das reicht von Anpassungen im Produktangebot oder bei den Abläufen bis hin zur grundlegenden Neuausrichtung: Restrukturierungen, Sanierungsmaßnahmen und selbst Massekredite sind realisierbar. Auch Start-ups mit einem festen Risikokapitalgeber können auf die Finanzierung zugreifen – zur Sicherung des Betriebskapitals oder als Wachstumsstütze. Damit Asset Based Credit allerdings einsetzbar ist, müssen die jeweils genutzten Sicherheiten zentrale Voraussetzungen erfüllen. Bei Umlaufvermögen etwa darf es sich nicht um unfertige Produkte oder verderbliche Waren handeln. Anlagevermögen muss daneben wertbeständig, mobil und fungibel sein.

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