Artikel erschienen am 04.08.2023
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Aus COVInsAG wird SanInsKG

eine (erneute) Krisenreaktion

Von Dr. iur. Christoph Morgen, Hamburg

Das COVInsAG beinhaltete Änderungen im Insolvenzrecht und sollte die Fortführung von Unternehmen fördern, die durch die COVID-19-Pandemie in finanzielle Schieflage geraten waren. Dies war rückblickend nur der erste Schritt des Gesetzgebers, die wirtschaftlichen Folgen einer Krise durch Änderungen des Insolvenz-
rechts aufzufangen.

Nach fast nunmehr drei Jahren nach Beginn der COVID-19-Pandemie erreichte die deutsche Wirtschaftslandschaft die nächste Krise. Diese entstand maßgeblich durch den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine. Dadurch sah sich die deutsche Bevölkerung einer Rekord-Gesamtinflation ausgesetzt. Im Jahr 2022 lag diese durchschnittlich bei ca. 7,9 % und gilt damit als bislang höchster Wert seit Beginn der Aufzeichnung durch das Statistische Bundesamt. Die Hauptursache für die hohe Inflation sind die Preissteigerungen bei Energieprodukten. Darüber hinaus wirken sich Versorgungsengpässe durch eingeschränkte Lieferketten auch auf die Preise von Dienstleistungen und Nahrungsmittel aus.

Aus diesen Gründen sah sich der Gesetzgeber erneut zum Handeln gezwungen. Durch das Sanierungs- und insolvenzrechtliche Krisenabmilderungsgesetz vom 09.11.2022 (SanInsKG) wurde für den Zeitraum 09.11.2022 bis 31.12.2023 das Insolvenzrecht erneut an die veränderten Umstände angepasst. Dabei hat der Bundestag eine Modifizierung des bisherigen COVinsAG beschlossen und den Namen des Gesetzes geändert. Durch die Umbenennung wird verdeutlicht, dass der Gesetzgeber ein „grundlegendes Krisengesetz“ geschaffen hat, um in Zukunft schnell und flexibel auf Krisen reagieren zu können. Bei Bedarf können so weitere Anpassungen am Insolvenzrecht vorgenommen werden. Eine Kausalitätsverknüpfung an die COVID-19-Pandemie ist damit nicht mehr erforderlich. Der Anwendungsbereich wurde mithin verallgemeinert und grundsätzlich erweitert.

Maßgebliche Änderungen im Insolvenzrecht durch das SanInsKG betreffen die Frist zur Insolvenzantragstellung für den Insolvenzeröffnungstatbestand der Überschuldung. Des Weiteren wurde der Prognosezeitraum der Fortbestehensprognose im Rahmen des Überschuldungstatbestandes verkürzt. Hervorzuheben ist jedoch, dass eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, die zeitweise während der COVID-19-Pandemie vorlag, nicht beschlossen wurde. Folglich verbleibt die Pflicht zur Antragstellung für die leitenden Organe der Unternehmen, sofern Insolvenztatbestände vorliegen. Die Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit bleibt von der Neuregelung ebenfalls unberührt.

Der Gesetzgeber reagiert damit auf die Entwicklungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten und den damit einhergehenden Prognose- und Planungsschwierigkeiten der Unternehmen. Die Änderungen des SanInsKG ermöglichen es den Betroffenen, flexibler mit dieser Krisensituation umzugehen.

Im Einzelnen:

Die Höchstfristen für die Insolvenzantragsstellung bei Überschuldung nach § 15a Abs. 1 S. 2 InsO verlängern sich von sechs auf acht Wochen (§ 4a SanInsKG)

Wird eine juristische Person oder eine Personengesellschaft ohne natürliche Person als persönlich haftende Gesellschafter zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag zu stellen. Grundsätzlich ist der Antrag spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen. Nach der Insolvenzantragsstellung wird dann gegebenenfalls ein Insolvenzverfahren eröffnet.

Zu Beginn der COVID-19-Pandemie wurde diese Insolvenzantragspflicht für die Eröffnungstatbestände der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ausgesetzt. Für die Überschuldung war die Aussetzung sukzessive bis zum 30.04.2021 verlängert worden. Seitdem gilt jedoch wieder die uneingeschränkte Pflicht zur Antragstellung, sofern Eröffnungstatbestände vorliegen.

Sinn und Zweck dieser Norm ist neben der Verhinderung von Insolvenzverschleppungen auch die garantierte Gleichberechtigung der Gläubiger. Läuft die Verteilung der Masse in einem geordneten Verfahren ab, kann es nicht zu einem Wettlauf der Gläubiger kommen. Diese Regelung bewirkt somit eine geregelte Abwicklung der Gläubigerforderungen und verhindert, dass handlungsschnelle Gläubiger auf Kosten der anderen zuerst befriedigt werden. Eine frühzeitige Eröffnung eines Insolvenz-
verfahrens erhöht außerdem die Wahrscheinlichkeit einer Sanierung, welcher grundsätzlich ein höherer Wert als der einer Zerschlagung des Unternehmens zukommt.

Mit dem Inkrafttreten des SanInsKG wird die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung nach § 15a Abs. 1 S. 2 InsO in zeitlicher Hinsicht modifiziert. Bis einschließlich dem 31.12.2023 wird der Frist für die Antragstellung von sechs Wochen auf acht Wochen erhöht. Diese Regelung gilt auch für Unternehmen, bei denen bereits vor dem Inkrafttreten eine Überschuldung vorlag, aber der für eine rechtzeitige Insolvenzantragstellung maßgebliche Zeitpunkt noch nicht verstrichen ist. Insofern räumt die Verlängerung der Insolvenzantragspflicht den Verantwortlichen mehr Handlungsspielraum und Zeit ein. Die Verlängerung des Zeitraumes auf acht Wochen erhöht die Wahrscheinlichkeit für den Schuldner, noch laufende Sanierungsbemühungen abzuschließen oder eine Sanierung einem Eigenverwaltungsverfahren intensiv vorzubereiten.

Die Höchstfrist von drei Wochen für die Stellung eines Insolvenzantrags wegen Zahlungsunfähigkeit bleibt unverändert.

Hervorzuheben ist, dass sich lediglich der Maximalzeitraum für die Antragstellung verlängert hat. Der Antrag muss weiterhin ohne schuldhaftes Zögern eingereicht werden. Die Höchstfrist darf nicht ausgeschöpft werden, wenn zu einem früheren Zeitpunkt feststeht, dass eine nachhaltige Beseitigung der Überschuldung nicht erwartet werden kann.

Im Rahmen der durchgeführten Diskussionen zu möglichen Reaktionsmaßnahmen auf die Krise wurden erneut umfassende Änderungen der Insolvenzantragspflicht vorgeschlagen. Insbesondere hatten sich Stimmen öffentlich dafür eingesetzt, die Insolvenzantragspflicht erneut auszusetzen. Diese Maßnahme wurde – entgegen vieler Interpretationen des SanInsKG – letztendlich nicht umgesetzt. Deswegen besteht weiterhin ein erhöhtes Haftungsrisiko für die Führungsorgane der Unternehmen. Insbesondere wenn fälschlicherweise davon ausgegangen wird, dass eine Pflicht zur Antragstellung durch das SanInsKG erneut entfallen ist.

Die Fortbestehensprognose wird bei dem Insolvenztatbestand der Überschuldung relevant. Eine Überschuldung nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO liegt immer dann vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.

Daraus folgt eine zweistufige Ermittlung des Überschuldungstatbestandes. Im ersten Schritt muss geprüft werden, ob aus bilanzieller Sicht eine rechnerische Überschuldung vorliegt. Ist dies der Fall, wird in einem zweiten Schritt ermittelt, ob trotz rechnerischer Überschuldung die Fortführung des Unternehmens während des gesetzlichen Prognosezeitraums den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. Maßgeblich ist somit eine Fortführungswahrscheinlichkeit von mehr als 50 %.

Hier setzt die Neuregelung des § 4 Abs. 2
S. 1 SanInsKG an und verkürzt den Zeitraum der Prognose- und Planungszeiträume von ursprünglich zwölf auf vier Monate. Sinn und Zweck dieser Modifizierung ist es zu verhindern, dass Insolvenzanträge allein aufgrund von Prognoseunsicherheiten gestellt werden müssen. Je kürzer der Prognosezeitraum, desto sicherer können die Unternehmen und ihre Organe belastbare Prognosen aufstellen, sodass sich gleichzeitig auch das Haftungsrisiko vermindert. Hierdurch wird die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung deutlich abgemildert, da sich eine Fortbestehensprognose über die nächsten vier Monate in Krisenzeiten wesentlich verlässlicher ermitteln lässt. Sollte die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig gewesen sein, gilt der verkürzte Prognosezeitraum jedoch nicht.

Die Kürzung des Prognosezeitraums der Fortbestehensprognose gilt für alle Unternehmen ursachenunabhängig. Der Gesetzgeber hat damit auf eine Verkopplung der Überschuldung mit einer konkreten Krisenursache, wie beispielsweise der Inflation oder der Energiepreisentwicklungen, verzichtet.

Der auf vier Monate verkürzte Prognosezeitraum gilt grundsätzlich bis zum 31.12.2023. Allerdings muss die Geschäftsleitung bereits ab dem 01.09.2023 eine Fortbestehensprognose auf Grundlage des ab dem 01.01.2024 erneut geltenden Zeitraums von zwölf Monaten erstellen können. Dies folgt aus dem fließenden Übergang der jeweiligen Prognosezeiträume, denn die ab dem September 2023 zu erstellende Prognose wirkt in den Januar 2024 hinein und müsste sodann wieder einen verpflichtenden Planungszeitraum von zwölf Monaten zugrunde legen. Hierbei sollte die fortlaufende Prognose der Geschäftsleiter durchgehend dokumentiert werden.

Der Sinn und Zweck der verkürzten Fortbestehensprognose im Rahmen der Antragstellung bei Überschuldung findet auch in Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsverfahren Einzug. Nach § 270a InsO hat der Schuldner bei Beantragung der Eigenverwaltung eine sog. „Eigenverwaltungsplanung“ vorzulegen. Diese soll dem Gericht aufzeigen, ob die Zahlungsfähigkeit während des Verfahrens gesichert ist, wie die Sanierung gelingen soll und ob durch die Eigenverwaltung Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind. Die Eigenverwaltungsplanung umfasst auch einen Finanzplan, der einen Zeitraum von sechs Monaten abdecken soll. Eine vergleichbare Regelung findet sich in dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) im Rahmen eines Restrukturierungsvorhabens.

Der Finanzplan ist nach allgemeinen betriebswirtschaftlichen Grundsätzen auf Grundlage belastbarer Daten des Rechnungswesens zu erstellen und erfordert eine vollständige Erfassung der geplanten Mittelzuflüsse und -abflüsse im Planungszeitraum. Dadurch sollen die Fortführung des regulären Geschäftsbetriebes und die Deckung der Kosten des Verfahrens sichergestellt werden. Solche Prognosen können angesichts der aktuellen Preisvolatilitäten und der fortbestehenden Unsicherheiten nur auf unsicheren Annahmen beruhen.

Durch das SanInsKG ist der Prognosezeitraum vorübergehend auf vier Monate verkürzt worden, wodurch die Erstellung eines Finanzplans erleichtert wird. Je weiter die zukünftigen Mittelzuflüsse und -abflüsse prognostiziert werden müssen, desto weniger kann auf diese vertraut werden. Dies gilt noch viel mehr, wenn sich alle Unternehmen in einer gemeinsamen Krise befinden. Es entsteht ein Wechselspiel zwischen den Unternehmen, weil auch der jeweilige Vertragspartner von unsicheren Prognosen ausgehen muss. Insofern hilft auch hier ein verkürztes Zeitfenster, um belastbare Vorhersagen erstellen zu können.

Änderungen sind bis zum 31.12.2023 befristet

Die durch das SanInsKG geschaffenen Regelungen sind zunächst bis zum 31.12.2023 befristet. Eine mögliche Verlängerung oder eine erneute Anpassung hängt von der weiteren Entwicklung der Umstände ab. Allerdings zeigte sich der Gesetzgeber seit der COVID-19 Pandemie grundsätzlich gewillt, auf anhaltende Krisen mit einer Anpassung des Insolvenzrechts zu reagieren, um so vermeidlich einen positiven gesamtwirtschaftlichen Effekt zu erreichen. Dementsprechend sollte die Situation im Laufe des Jahres 2023 weiterhin beobachtet werden. Eine erneute Anpassung des Insolvenzrechts ist jedenfalls nicht auszuschließen.

Keine Änderungen an den Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit i.S.d § 17 Abs. 2 InsO
Der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit wird durch das SanInsKG nicht verändert. Hiernach ist die Geschäftsführung weiterhin verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern innerhalb von maximal drei Wochen einen Insolvenzantrag zu stellen. Die Anforderungen an die handelsrechtliche Fortführungsprognose sowie die Pflicht zur Krisenfrüherkennung nach § 1 StaRUG wurden ebenfalls nicht verändert.

Fazit
Mit den Änderungen durch das SanInsKG möchte der Gesetzgeber Unternehmen entlasten, die auf Grund der unvorhersehbaren Krisensituation in Bedrängnis kommen, jedoch grundsätzlich eine Daseinsberechtigung am Markt haben. Es bleibt abzuwarten, ob diese Maßnahmen ausreichen, ein im Kern gesundes Unternehmen vor der Insolvenzantragspflicht zu schützen. In jedem Fall hat das SanInsKG zur Folge, dass erneut in den Gläubigerschutz eingegriffen wird. Durch das Herabsetzen der Anforderungen für antragspflichtige Unternehmen besteht die Gefahr, dass zwingende Insolvenzanträge zu spät gestellt werden könnten und so massiv in Gläubigerrechte eingegriffen wird. Andererseits gewährleistet die befristete Aufweichung des Insolvenzrechts auch die Möglichkeit, eine belastbare und gewissenhafte Unternehmensführung zu gewährleisten, ohne sich gesteigerten Haftungsrisiken auszusetzen.

Die Reduzierung des Prognosezeitraumes bei der Überschuldung von zwölf auf vier Monate wird den größten Nutzen für Unternehmen bieten. Möglicherweise werden die Folgen dieser konkreten Änderung vom Gesetzgeber genauestens beobachtet, denn eine grundsätzliche Reduzierung des Prognosezeitraumes, unabhängig vom Vorliegen einer Krisensituation, wird in den Fachkreisen schon länger diskutiert.

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