Artikel erschienen am 04.08.2023
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Krisen früh erkennen und managen

Die integrierte Unternehmensplanung zur Identifikation und Überwachung bestandsgefährdender Risiken

Von DIPL.-KFM. Christoph Konow, Hamburg | Bernardt Stefan, Hamburg | Janina Poppe, Hamburg

In diesem Zusammenhang wurde mit § 1 StaRUG die Pflicht zur Einrichtung eines Krisenfrüherkennungs- und -managementsystems (KFMS) für bestandsgefährdende Entwicklungen gesetzlich verankert.

Diese Verpflichtung ist nicht gänzlich neu; so regelte bislang das Aktiengesetz (AktG) in
§ 91 Abs. 2, dass durch den Vorstand ein Überwachungssystem einzurichten ist, mit dem bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig erkannt werden können.

Das KFMS muss einerseits geeignet sein, bestandsgefährdende Entwicklungen möglichst frühzeitig zu erkennen und berücksichtigt dabei, dass sich eine Bestandsgefährdung auch aus dem Zusammenwirken von Einzelrisken ergeben kann. Es muss weiterhin in der Lage sein, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den identifizierten bestandsgefährdenden Entwicklungen entgegenzuwirken und die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen zu überwachen. Das bloße Abstellen auf das Vorliegen der Insolvenzeröffnungsgründe (Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung oder drohende Zahlungsunfähigkeit) greift an dieser Stelle allerdings zu kurz, da dem Eintritt von Insolvenzantragsgründe in aller Regel Fehlentwicklungen in vorgelagerten Phasen vorausgehen und bereits dort die Basis für bestandsgefährdende Entwicklungen gelegt wird. Mit Blick auf die Krisenstadien, wie sie z. B. im IDW S 6 zu finden sind, stellt die Insolvenzreife dabei nur die letzte Phase der regelmäßig durchlaufenen Krisenstadien eines Unternehmens dar.

Je früher Risiken erkannt werden, die zu bestandsgefährdenden Krisen führen können, umso größer sind die Chancen, durch geeignete Gegenmaßnahmen präventiv darauf hinwirken zu können, die Unternehmensziele möglichst störungsfrei umzusetzen (zum Früherkennungssystem siehe 2.).3

Welche Auswirkungen identifizierte Risiken auf ein Unternehmen haben und ob identifizierte Risiken zu einer Bedrohung des Fortbestands des Unternehmens führen können, kann nur anhand einer (integrierten) Unternehmensplanung (siehe 3.) ermittelt und beurteilt werden. Um Hinweise auf bestandsgefährdende Entwicklungen zu erhalten, sind regelmäßige Soll-Ist-Vergleiche zwischen den eingetretenen und prognostizierten Entwicklungen vorzunehmen. Auf der Basis eingetretener Abweichungen ist die Unternehmensplanung bzw. ein unterjähriger Forecast weiterzuentwickeln.

2. Ausgestaltung eines Früherkennungssystems

Vorgaben für die konkrete Ausgestaltung des in § 1 StaRUG geforderten KFMS enthält weder das deutsche noch das europäische Recht. Konkrete Hinweise zur Ausgestaltung finden sich allerdings insbesondere im Prüfungsstandard IDW PS 340 n.F. sowie im IDW Prüfungsstandard Grundsätze ordnungsmäßiger Prüfung von Risikomanagementsystemen (IDW PS 981). Die beiden Standards decken die Anforderungen ab, welche an sehr komplexe Geschäftsmodelle bzw. Unternehmensstrukturen, z. B. börsennotierter Konzerne, zu stellen sind. Allerdings überspannen diese auch regelmäßig die Anforderungen an mittelständische Unternehmen, da deren Geschäftsmodelle i.d.R. von geringerer Komplexität geprägt sind, bieten dahingehend einen guten Rahmen.

Nach der Definition des IDW PS 981 beschreibt ein Risikomanagementsystem die „Gesamtheit aller organisatorischen Regelungen und Maßnahmen zur Risikoerkennung und zum Umgang mit den Risiken unternehmerischer Betätigung“. Dazu gehört ebenfalls deren weitere Überwachung, um die Einhaltung der betroffenen Maßnahmen sicherzustellen.4 Der IDW PS 340 n.F. gibt einen Rahmen für die Grundelemente des Risikofrüherkennungssystems vor, welcher sich anhand der Komplexität des Geschäftsmodells unternehmensindividuell skalieren lässt. Indikatoren für das Maß der Komplexität des Geschäftsmodells sind z. B. Größe, Branche, Struktur und Finanzierung des jeweiligen Unternehmens.5 Dabei hängt die Beurteilung über das Vorliegen einer bestandsgefährdenden Entwicklung von der unternehmensindividuellen Risikotragfähigkeit ab – dies ist die maximale Risikoauswirkung, die das Unternehmen ohne Gefährdung seines Fortbestands tragen kann.6 Die Risikotragfähigkeit gibt damit vor, ab wann die Gefährdung spätestens rechtlich relevant wird.7 Bei der Ableitung der Risikotragfähigkeit hat das Unternehmen zu berücksichtigen, dass sich bestandsgefährdende Entwicklungen aus der wirtschaftlichen bzw. finanziellen Lage, aber auch aus regulatorischen oder rechtlichen Rahmenbedingungen ergeben können. Beispielhaft kann an dieser Stelle das Auslaufen einer Betriebslizenz oder der Verlust eines Patentschutzes angeführt werden.8


In einem ersten Schritt ist eine Identifikation (Inventarisierung) der Einzelrisiken erforderlich, derer sich das Unternehmen ausgesetzt sieht. Diese ist in angemessenen zeitlichen Intervallen vorzunehmen und zu aktualisieren. Die Risikoidentifikation erfolgt unabhängig davon, ob es sich bei dem Einzelrisiko um eines mit potenziell bestandsgefährdender Auswirkung handelt, oder nicht. Bei der Identifikation von Einzelrisiken geht es nicht um die Erfassung einer möglichst großen Anzahl an Risiken, sondern um die Identifikation der für das Unternehmen wesentlichen.9 Explizit einzubeziehen sind auch Chancen als positive Abweichungen von zu erwartenden Entwicklungen. Beispiele, die für die Entstehung bestandsgefährdender Entwicklungen in der Regierungsbegründung zu § 91 Abs. 2 AktG angeführt werden, sind das Eingehen risikobehafteter Geschäfte sowie das Vorliegen von Unrichtigkeiten und Verstößen in der Rechnungslegung.10 Zudem sind Risiken aus dem Unternehmensumfeld zu berücksichtigen11 (insb. politische, soziale, ökologische und technologische Entwicklungen), da diese eine große Wirkung auf die Unternehmen und ihre Wettbewerbsposition entfalten.12

In einem zweiten Schritt hat eine Quantifizierung der identifizierten Einzelrisiken zu erfolgen. Die rein qualitative Ausführung der Einzelrisiken allein ist nicht ausreichend. Entsprechend sind die Einzelrisiken – gemessen an ihrem Schadensausmaß und ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit – quantitativ zu bewerten. Die Quantifizierung erfolgt durch Zuweisung eines potenziellen Schadensausmaßes zu den Einzelrisiken, multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts. Auch kann diese z. B. durch die Angaben von „Bandbreiten“ vorgenommen werden.13 So wird auch der Erwartungswert der Risiken miteinbezogen.14

Durch die Unternehmensorganisation muss gewährleistet werden, dass in einem systematischen Prozess, die sich aus den einzelnen Unternehmensbereichen ergebenden spezifischen Risiken fortlaufend erfasst und bewertet werden. Dies ist erforderlich, da das Konzept der Krisenfrüherkennung und des Krisenmanagements, die Ableitung einer Gesamtrisikoposition für das Unternehmen erfordert.

3. Integrierte Unternehmensplanung als elementarer Bestandteil des Krisenmanagementsystems

Grundvoraussetzung für ein funktionierendes KFMS i. S. d. § 1 StaRUG bildet eine integrierte Unternehmensplanung.15 Ihr Ziel ist es, die zum Zeitpunkt der Planungserstellung wahrscheinlichste (Liquiditäts-) Entwicklung des Unternehmens abzubilden.16 Dies impliziert allerdings auch, dass die zugrunde gelegten Annahmen nicht eintreten oder anders ausfallen können. Zudem steigt mit zunehmender zeitlicher Entfernung der prognostizierten Ereignisse oder Annahmen vom Beurteilungsstichtag der Grad der Unsicherheit, während der Detaillierungsgrad der Annahmen sinkt.

Mit Blick auf die mit einer jeden Planung einhergehenden Unsicherheit ist zu beachten, dass die der Planung zugrunde gelegten Annahmen plausibel sind. Plausibilität der Annahmen bedeutet, dass diese nachvollziehbar, konsistent und frei von Widersprüchen sind.17 Den Anforderungen von § 1 StaRUG wird nachweislich Rechnung getragen, wenn die Planung bzw. ein unterjähriger Forecast auf plausiblen Annahmen beruht, also bestehende und künftige Risiken sowie ggf. erforderliche Gegenmaßnahmen berücksichtigt wurden und Soll-Ist-Vergleiche durchgeführt werden.18

Der Zeitraum der integrierten Unternehmensplanung sollte grundsätzlich dem der drohenden Zahlungsunfähigkeit zugrundeliegenden Prognosezeitraum von 24 Monaten entsprechen.19 Je nach Geschäftsmodell oder laufenden Projekten kann dieser aber auch länger sein. Im Regelfall erfolgt die Planung der nächsten 24 Monate auf Monatsebene. Spätestens in einer akuten Liquiditätskrise des Unternehmens ist eine 13-Wochen-Liquiditätsvorschau geboten. Der erforderliche Detaillierungsgrad der Planung hängt wiederum stark von der Komplexität des Geschäftsmodells und dessen Krisenanfälligkeit ab.

Ohne eine (integrierte) Unternehmensplanung und eine unterjährige Forecast-Rechnung ist eine Überwachung der Unternehmensentwicklung kaum denkbar, da kein Abgleich zwischen der prognostizierten und tatsächlichen Entwicklung möglich ist. Abweichungen zwischen der geplanten und tatsächlichen Entwicklung können nicht identifiziert und analysiert, geeignete Maßnahme bei Fehlentwicklungen nicht ergriffen werden.20 Ein Soll-Ist-Abgleich ist für das Krisenfrüherkennungs- und -managementsystem somit gleichfalls unerlässlich.21

In der Praxis zeigt sich häufig, dass insbesondere bei KMU eine integrierte Unternehmensplanung nicht oder nur unzureichend vorliegt und die Anforderungen aufgrund von fehlendem Know-how, knappen finanziellen und personellen Ressourcen sowie einem geringen Grad an Operationalisierung nicht erfüllt werden. Dabei ergeben sich für die grundsätzliche Erfordernis zur Einrichtung eines geeigneten Krisenfrüherkennungs- und -managementsystems keine Ausnahmen für KMU. Bei KMU werden aber weniger komplexe organisatorische Vorkehrungen ausreichend sein können, um der Pflicht aus § 1 StaRUG nachzukommen. Aber auch für sie ist eine Unternehmensplanung Pflicht, nicht Kür.

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