Artikel erschienen am 16.05.2016
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Das Braunschweiger Modell

Mehr als nur ein „Dach über dem Kopf“

Von Heinz-Georg Leuer, Braunschweig

Mit Beginn der Flüchtlingswelle wurden insbesondere die europäischen Länder und nicht zuletzt Deutschland vor große Herausforderungen gestellt. Viele wollen nach Deutschland in der Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft. Dazu braucht es die „eigenen vier Wände“. Diesem Bedarf wird in Braunschweig mit dem Bau von größeren dezentralen Wohneinheiten nachgekommen, denn der vorhandene Wohnraum im Stadtgebiet reicht nicht aus.

Wohnbauentwicklung in Braunschweig

Allein im Jahr 2015 wurden Satzungsbeschlüsse für ca. 860 neue Wohneinheiten gefasst und es ist vorgesehen, dass in den Jahren 2016 und 2017 Planungsrecht für insgesamt ca. 2 000 Wohneinheiten geschaffen wird – solide Grundlagen für eine sehr positive Entwicklung im Wohnungsbau. Hinzu kommen viele kleinere Projekte, die durch private Bauherren umgesetzt werden. Wenngleich dies ein Meilenstein auf dem Weg zu einer auch weiterhin wachsenden Stadt ist, der ein Bevölkerungsanstieg auch in den nächsten 15 Jahren prog-nostiziert wird, und deren Attraktivität weiterhin gesteigert werden soll, so wird damit auch der hohe Bedarf an Wohnraum deutlich, der zum jetzigen Zeitpunkt nicht gedeckt werden kann.

Unsere Willkommenskultur

Rat und Verwaltung der Stadt Braunschweig haben deshalb im Dezember 2015 ein dezentrales Standortkonzept entwickelt mit dem Ziel, die Zeit der Flüchtlinge in einer städtischen Erstaufnahmeeinrichtung, einer provisorisch hergerichteten Sporthalle oder einem anderen Gebäude so kurz wie möglich zu gestalten. Vielmehr sollen größere Wohneinheiten mit der Möglichkeit einer selbstständigen Lebensweise und eigener finanzieller Absicherung die schnelle Integration ermöglichen.

Auch wenn die dramatische Entwicklung der Flüchtlingszahlen nicht viel Zeit zum Nachdenken ließ, so haben wir in der Bauverwaltung diese jedoch kreativ genutzt. Entstanden sind dabei nicht nur einfache Unterkünfte und damit ein „Dach über dem Kopf“, sondern pavillonartige Wohnkuben, die in ihrer baukörperlichen Anordnung in Hofform die erforderliche Privatsphäre der zukünftigen Bewohner einerseits und den Wunsch nach Offenheit und Transparenz sowie den Austausch mit der Wohnbevölkerung in der Nachbarschaft andererseits berücksichtigen. Und Nachhaltigkeit war uns wichtig.

Die einfache Bauweise, die Reduktion auf wenige Materialien, die Minimierung von Erschließungsflächen mit einem mittigen Sanitätskern in den Wohnmodulen und die Möglichkeit der seriellen Vorfertigung stellten die Grundlage für eine Erstellung der Wohneinheiten unter sehr engen Kosten- und Terminvorgaben dar.

In den geplanten Wohnkuben entstehen ebenfalls in modularer Bauweise Wohnungen für jeweils zwei, vier und sechs Personen. Diese Wohnmodule werden auf den einzelnen Grundstücken abhängig vom Grundstückszuschnitt planerisch sinnvoll zusammengeführt. Die einzelnen Wohnmodule haben jeweils eigene räumlich kompakte Sanitärzellen sowie eine Kochzeile. Die Wohnmodule werden mit einfachen, robusten Materialien wie Linoleumböden und gestrichenen Wand- sowie Deckenflächen ausgestattet; Bad und Küche erhalten eine Grundausstattung.

Jeweils in Abhängigkeit von der sozialen Infrastruktur im Umfeld des Standortes werden zusätzlich Gemeinschaftsräume eingeplant. Diese sind, ebenso wie die Betreuungs-, Technik- und Funktionsflächen, im Erdgeschoss angeordnet.

Die Wohnkuben zeichnen sich durch einen gemeinsamen atriumförmigen Innenhof aus, der über den Hauptzugang erschlossen wird. Die Flächen im Obergeschoss werden über einen umlaufenden überdachten Laubengang erschlossen. Konstruktiv werden die einzelnen Module zur Optimierung der Tragkonstruktion und der Versorgungs­leitungen typengleich zweigeschossig aufei­nandergestellt. Die äußere durchlaufende Fassadenhülle verbindet als vorgehängte hinterlüftete Holzlattenfassade die beiden Geschosse gestalterisch zu einer Einheit. Geländer und Treppen im Atriumhof werden als verzinkte Stahlkonstruktionen ausgebildet. Der im Atriumhof umlaufende Laubengang ist – bis auf die Bereiche Haupteingang und Treppenanschlüsse – stützenfrei und mit einer umlaufenden Überdachung konzipiert. Es ist vorgesehen, die Ausschreibung so offen zu gestalten, dass eine Umsetzung dieser Konzeption auch mit anderen Materialien möglich ist.

Um an den jeweiligen Standorten die versiegelten Flächen und die Eingriffe in den Bestand möglichst gering zu halten, wird die Zuwegung über einen geschwungenen Erschließungsweg in „freier Form“ vorgehalten. Der Innenhof der pavillonartigen Wohnanlage soll als natürliche Wiesen- und Aktionsfläche erhalten bleiben.

Und natürlich erfüllen wir mit unseren Wohnkuben die Vorgaben des Brandschutzes und der Energieeinsparverordnung (ENEV 2016). Sie sind als „Sonderbau“ der Gebäudeklasse 3 eingestuft. Da die Wohnkuben stets die äußeren Abmessungen von 40 m x 40 m unterschreiten, sind keine inneren Brandwände erforderlich. Die Gebäude bilden jeweils einen abgeschlossenen Brandabschnitt aus. Zur Optimierung der Erschließung und der Fluchtwege befinden sich die Laubengänge und die Treppenerschließungen im Freien.

Der Zugang zum Erdgeschoss soll für Menschen mit Handicap weitestgehend barrierefrei gestaltet werden.

Es entstehen Gebäude, die aufgrund ihrer nachhaltigen Bauweise und langfristigen Nutzung für mehrere Jahrzehnte nach dem Standard der EnEV 2016 ausgelegt sind.

Unser Wohnmodell für Braunschweig – mehr als „nur ein Dach über dem Kopf“, denn die Würde des Menschen ist unantastbar.

Bild: Gisela Rothe/Stadt Braunschweig; Außenperspektive, Lageplan und Grundrisse: Dohle+Lohse Architekten für Stadt

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