Artikel erschienen am 05.09.2016
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Das anale Fistelleiden

Entstehung, Historie und Operationsverfahren

Von Dr. med. Michael Roblick, Hannover

Anale Fisteln sind ein Tabuthema und für Betroffene mit Schmerzen, Nässen, gelegentlich Blutungen und Schwellungen am Analrand verbunden. Wichtig ist die frühzeitige und medizinisch korrekte Behandlung, um einen langfristigen Heilerfolg zu erzielen.

Die Schwellung und Schmerzen sowie die lokale Überwärmung entstehen beim Fistelleiden durch die mit Eiter gefüllte Wundhöhle, dem sogenannten periproktitischem Abszess. Ursache dieses Abszesses ist eine kleine im Analkanal gelegene Duftdrüse, die sich entzündet. Der Körper versucht, den Eiter nach außen zu drainieren, indem er einen Gang durch oder zwischen den verschiedenen Schließmuskelanteilen bahnt – die sogenannte Fistel.

Die anale Fistel ist keine neue Erkrankung: Bereits Hippokrates beschrieb die Erkrankung 380 v. Chr. und empfahl ein in die Fistel eingelegtes Pferdehaar zur Verbesserung des Abflusses als mögliche Therapie. Wer sich mit der Geschichte der Analfisteln auseinandersetzt, muss Sir John Arderne, den englischen Chi­rurgen und Vater der Proktologie, erwähnen (1307 – 1392). Arderne galt damals als sehr erfolgreich in der Fistelchirurgie, da nur etwa die Hälfte der Patienten nach dem Eingriff verstarben.

Mithilfe des analen Fistel-Plugs kann die Fistelöffnung geschlossen werden.

Der berühmteste Fistelpatient der Geschichte ist wohl Ludwig XIV., der Sonnenkönig. Nachdem sein Fistelleiden am Hofe nicht mehr zu verheimlichen war, wurde der an der Sorbonne tätige Chirurg Professor Felix de Tassy zu Hilfe gerufen. Nachdem er durch königliches Dekret gestützt zuerst an entsprechend erkrankten Untertanen trainieren konnte, führte er am 18.11.1686 die Operation mit einem selbst entworfenen Skalpell erfolgreich durch. Bereits eine Stunde nach der Operation musste der König an einer Messe, anschließend an einem Staatsbankett teilnehmen. Über die anschließende Kontinenzleistung des Königs ist nichts überliefert. De Tassy wurde mit Land und Schloss belohnt, leider wurde diese Art der Bezahlung der Chirurgen anschließend eingestellt.

Was damals noch die absolute Ausnahme darstellte, ist heute medizinisch bei versierten Ärzten Routine, da erfahrene Operateure nach einem klaren Handlungsablauf für die verschiedenen Formen des Fistelleidens vorgehen.

Zudem sollte großer Wert auf die empathische Behandlung des Patienten gelegt werden: Für die erste Untersuchung können beispielsweise spezielle Stühle benutzt werden, auf denen der Patient vorsichtig untersucht werden kann, ohne sich komplett entkleiden zu müssen.Meist kann dann bereits durch einen Blick und ein vorsichtiges Abtasten mit dem Finger die Diagnose eines analen Abszesses oder einer Analfistel gestellt werden.

Für den Patienten ist es wichtig, dass der Entzündungsherd zeitnah freigelegt wird, um einer Schädigung der Schließmuskulatur vorzubeugen. Dafür reicht eine antibiotische Therapie nie aus – die Operation ist das Mittel der Wahl. Hier ist es zwingend notwendig, den akuten Abszess ausreichend zu drainieren, sodass eine weitere Schädigung des Kontinenzorgans vermieden werden kann. Das setzt einen erfahrenen Operateur voraus, damit Winde oder gar Stuhl anschließend gehalten werden können.

Bei der Flaptechnik wird die innere Fistelöffnung vernäht.

Bei der Erstoperation wird der gesamte Abszessbereich freigelegt, die Fistel aufgesucht und festgestellt, in wieweit der Schließmuskel betroffen ist. Verläuft die Fistel ohne Muskelbeteiligung unter der Haut, kann sie erfolgreich gespalten werden. Verläuft die Fistel jedoch zu tief durch die Muskulatur, wählt der Chirurg ein zweizeitiges Verfahren: Während des ersten Eingriffs wird in die Fistel ein kleines Gummiband als Drainage zum besseren Abfluss des Eiters eingelegt. Gleichzeitig wird der vollständige Verschluss der Haut und damit die Widerentstehung des Abszesses verhindert. Ist die Wunde bis auf den Fadenbereich geschlossen, wird in einem zweiten Schritt rund zwei Monate später die Fistel entfernt und die innere Fistelöffnung verschlossen. Für diesen wichtigen Schritt muss der Chirurg mehrere Verfahren beherrschen. Es gibt beispielsweise Techniken, bei denen die innere Öffnung vernäht oder übernäht wird (Flaptechnik), oder Techniken, bei denen ein Stöpsel (Fistel-Plug) in die Fistel eingezogen wird, um das Einwandern körpereigner Zellen an diesem „Gerüst“ zu erleichtern. Bei einer weiteren OP-Variante wird der Schließmuskel eröffnet, die Fistel herausgelöst und anschließend alle Schichten sauber vernäht. Oberstes Ziel muss es sein, die Fistel sicher zu entfernen und dabei die Stuhlhaltefähigkeit des Patienten möglichst wenig zu gefährden.

Es war ein weiter Weg vom Pferdehaar des Hippokrates und den Leiden des Sonnenkönigs bis zum heutigen Stand der Technik in der Fistelchirurgie. Die Synergien zwischen ambulanter Diagnostik, kompetenter stationärer Versorgung, das Beherrschen aller operativen Techniken und die konsequente postoperative Nachsorge haben es jedoch möglich gemacht, das Fistelleiden ohne die Sorge einer dauerhaften analen Inkontinenz für den Patienten behandelbar zu machen.

Fotos: End- und Dickdarmzentrum Hannover (EDH)

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