Artikel erschienen am 17.06.2015
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Portrait: Arbeitskollege Roboter

Vier Jahre mit dem Operationssystem „da Vinci“

Von Dr. med. Sebastian Edeling, Hannover | Dr. med. Saša Pokupic, Hannover

2011 trat im Vinzenzkrankenhaus das erste da Vinci-Operationssystem in der Region Hannover seinen Dienst an. Der Roboter hatte bis dahin vor allem bei der radikalen Prostatektomie seine Stärken gezeigt. Jetzt, nach über 800 Eingriffen, wird im Vinzenzkrankenhaus nicht nur die Prostata mithilfe des Roboters entfernt, sondern auch Nierentumore operativ behandelt. Als erster Klinik in Deutschland gelang nun auch der größte urologische Eingriff, die Entfernung der Harnblase mit Anlage einer Ersatzblase (= Neoblase) mit da Vinci-Unterstützung.

Bis 2011 wurden auch im Vinzenzkrankenhaus alle Patienten offen, also auf herkömmliche Weise mit Skalpell und Schere operiert. Als die ersten da Vinci-Operationen nach langer Schulung und Einarbeitungsphase begannen, zeigten sich die eindrucksvollen technischen Vorteile, die die 10-fache Vergrößerung und eine 3-D-Sicht im menschlichen Körper boten. Die Präzision war und ist begeisternd, mit der die Bewegungen des in entspannter Haltung sitzenden Operateurs zitterfrei auf die filigranen, in alle Richtungen bewegbaren Instrumente übertragen werden. Ein angenehmer Nebeneffekt und wiederum großer Vorteil für die Patienten ist, dass die gesamte Operation mit nur sehr kleinen Schnitten (minimalinvasiv) auskommt.

Kaum Komplikationen, weniger Schmerzen, schneller zurück im Alltag

Die Vorteile der da Vinci-Operation waren nach einer kurzen Lernkurve so überzeugend, dass nicht, wie ursprünglich geplant, die Hälfte der Patienten offen und die andere roboterassistiert operiert wurde, sondern die offene Prostatektomie aufgrund der bestechenden Vorteile für Patienten komplett aufgegeben werden konnte. Denn die Schwierigkeit bei der radikalen Prostatektomie ist, dass die Prostata schwer erreichbar, tief im kleinen Becken unterhalb der Blase liegt. Darum muss in diesem Bereich sehr präzise gearbeitet werden: Die krebsbefallene Prostata muss komplett entfernt werden, ohne dass wichtige Strukturen wie Blasenausgang, Harnröhre, Schließmuskel und Erektionsnerven Schaden zugefügt wird.

Ansonsten drohen dem Patienten eine unvollständige Entfernung des Prostatakrebses mit anschließender Bestrahlung, Verlust der Erektionsfähigkeit, Harnröhrenengen oder Inkontinenz.

Es zeigte sich sehr schnell, dass die roboter-assis­tiert operierten Patienten nicht nur schmerz- und kom­plikations­freier regenerieren, sondern auch von kleineren Narben, besserer Tumor­entfernung, weniger Inkontinenz, weniger Blut­verlust und besserer Wundheilung profitieren.

Zudem erholen sie sich schneller. Nach der offenen Operation liegen die Patienten 7 bis 14 Tage im Krankenhaus. Nun erfolgt die Entlassung bei der da Vinci-Prostat­ektomie normalerweise am 3. Tag nach der Operation, bei der da Vinci-Zystektomie durch­schnittlich am 9. bis 10. Tag nach der Operation.

Seit der Einführung des da Vinci-Systems ist die Komplikationsrate bei den Prostat­ektomien und auch bei den Zyst­ektomien deutlich niedriger. Der Blutverlust ist so gering, dass nahezu keine Blut­konserven mehr verabreicht werden müssen. Ein Aufenthalt auf der Intensiv­station ist nur noch sehr selten notwendig.

Gelungen ist es, dass sich die Patienten trotz der frühen Entlassung eigenständig zu Hause versorgen können und nicht auf die Hilfe ihres nieder­gelassenen Arztes angewiesen sind. Dies zeigt auch die geringe Wieder­aufnahmerate.

Die logische Konsequenz: auch Blasen­entfernung und Nieren-OP mit da Vinci

Nachdem die radikale Prostatektomie mit dem da Vinci-Roboter technisch und wirtschaftlich optimiert war, ergab sich Anfang 2013 als logische Konsequenz, die erheblichen Vorteile der da Vinci-Operation auch auf die größte urologische Operation, die Entfernung der Harnblase bei Blasenkrebs, zu übertragen. Obwohl die Blasen­entfernung eine sehr anspruchs­volle und lange Operation (ca. vier bis acht Stunden) ist, schien sie aufgrund der bisherigen Erfahrungen mithilfe des da Vinci-Systems gut machbar.

2013 hatte noch keine Klinik in Deutschland die Blasen­entfernung mit Anlage eines künstlichen Darmausganges (Ileum-Conduit) oder gar die Anlage einer Ersatzblase aus Darm (Neoblase) komplett mit dem da Vinci-Roboter durchgeführt. Neben einigen Kranken­häusern in den USA, die bereits über Erfahrung verfügten, zeigte sich das Karolinska-Institut in Stockholm in Schweden als starker und erfahrener Partner für solche patienten­schonenden Eingriffe. Im Juni 2013 war es dann so weit – die erste da Vinci-Blasen­entfernung in Deutschland, die komplett mit dem da Vinci-Roboter durchgeführt wurde. Fachleute aus Stockholm unterstützten die Operateure im Vinzenz­krankenhaus bei den ersten Eingriffen.

Mittlerweile ist die da Vinci-Blasen­entfernung zum Standard geworden und die Vorteile für die Patienten, die sich bereits bei der da Vinci-Prostata­ent­fernung zeigten, haben sich auch bei diesem Eingriff bestätigt. Auch Nieren­tumor­operationen werden mittlerweile mit dem da Vinci-System in Hannover erfolgreich durchgeführt.

Mehr als 97 % aller lokal begrenzten Prostata­karzinome können komplett entfernt, somit ein großer Teil der Patienten geheilt werden. Gleichzeitig werden bei großen Eingriffen wie der radikalen Prostata­entfernung und der radikalen Blasen­entfernung Kompli­kationen minimiert. Die Patienten können sorgenfreier an ihrer Genesung mitwirken, werden mit Hoffnung und Zuversicht ausgestattet; denn das ist – neben allen medizinisch-technischen Fähigkeiten mit Unterstützung eines Operations­systems – ebenfalls Sinn einer gelungenen Therapie.

Wissenswert

Seit Anfang 2015 kommen Operationsteams ins Vinzenzkrankenhaus – so etwa Kollegen aus der Charité aus Berlin –, um dort die Operationstechnologien mit da Vinci zu erlernen. Auf verschiedenen Kongressen in ganz Deutschland wird das Vinzenzkrankenhaus seine Erfahrungen mit der roboterassistierten Chirurgie präsentieren.

Fotos: Intuitive Surgical, Inc. | VinzenzKrankenhaus Hannover gGbmH

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