Artikel erschienen am 07.08.2023
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Moderne Therapie der Schwerhörigkeit

Schwerhörigkeit gehört nach Angaben der WHO zu den sechs häufigsten Erkrankungen, die die Lebensqualität am meisten beeinträchtigen.

Von Prof. Dr. med. Omid Majdani, Wolfsburg

Die Therapie der mittelgradigen Schwerhörigkeit kann bei veränderter Anatomie des Mittelohres durch beispielsweise vorangegangener Entzündungen, Konocheneiterungen (Cholesteatome) oder Otosklerose häufig operativ erfolgen. Ist das Innenohr (Cochlea) betroffen, wird zunächst ein Hörgerät zur Verstärkung des Schalls zur Verbesserung der Wahrnehmung der Sprache angepasst. Ist zusätzlich das Mittelohr betroffen oder bei Zuständen, die das Tragen eines Hörgerätes verhindern, beispielsweise wiederauftretende Entzündungen des Gehörganges oder Allergien auf die Ohrpassstücke der Hörgeräte, kommen implantierbare Hörgeräte zum Einsatz. Wenn durch optimierte Hörgeräteversorgung nicht ausreichend Sprachverständnis erreicht werden kann, insbesondere bei hochgradiger Schwerhörigkeit oder ein- oder beidseitiger Taubheit, kommen Cochlea-Implantate zum Einsatz.

Hörgeräte

In den vergangenen Jahren wurden moderne, filigrane und kompakte Hörgeräte entwickelt, die durch unterschiedliche Verstärkung der fehlenden Frequenzen im Hörspektrum individuell angepasst werden können und für die Versorgung von leichter, mittelgradiger und sogar teilweise hochgradiger Schwerhörigkeit eingesetzt werden können. Geräte mit offenen Ohrpassstücken und sehr dünnem Schallschlauch werden zwischen dem HdO (Hinter dem Ohr) Gerät und Ohrpassstück für die Versorgung der leichten Schwerhörigkeit angepasst. Das hat den Vorteil, dass der Gehörgang nicht komplett verschlossen wird. Das Ohrschwitzen und Ohrlaufen wird dadurch zusätzlich erheblich reduziert. Einige Hersteller bieten sogar in Ohrschmuck integrierte Hörgeräte wie beispielsweise den „EORA-Hörschmuck“ an.

Implantierbare Hörgeräte

Implantierbare Hörgeräte kommen dann zum Einsatz, wenn nach mehreren Ohreingriffen oder durch rezidivierende Entzündungsprozesse das Mittelohr den Schall nicht gut auf das Innenohr überträgt und das Ohr eine bleibende Schallleitungsschwerhörigkeit behält. Implantierbare Hörgeräte verstärken durch Ankopplung des Aktuators (Lautsprecher des zu implantierenden Hörgerätes) Vibrationen an das Gehörknöchelchen und können so den Schall an das Innenohr weiterleiten. Dabei wird derzeit der Stimulator implantiert und außen über die geschlossene Haut ein Sprachprozessor aufgesetzt. Der Sprachprozessor kann in Form eines Hinter dem Ohr Hörgerätes oder alternativ als ein Gerät in Form einer kleinen Scheibe von außen über das unter der geschlossenen Haut eingesetzten Implantat aufgesetzt werden. Zwei Magnete, eins in dem implantierten Gerät unter der Haut und eins in dem außen zu tragenden Sprachprozessor, halten diesen in Position. Die Übertragung der Energie und Information erfolgt induktiv. Der Verstärkungsgrad der einzelnen Implantate ist sehr unterschiedlich. Abhängig von der jeweiligen Hörleistung des Patienten kann das passende Implantat gewählt und implantiert werden.

Cochlea Implantate (CI)

Bei hochgradiger Schwerhörigkeit und Taubheit und intaktem Hörnerv und zentraler Hörbahn kommen Cochlea-Implantate zum Einsatz. In Deutschland werden jährlich etwa 3.000 Patienten mit Cochlea- Implantaten versorgt, weltweit sind bereits mehr als 500.000 Patienten Cochlea-Implantat-Träger. Wenn trotz optimierter Hörgeräteversorgung ein ausreichendes Sprachverstehen nicht erreicht werden kann, kommt ein Cochlea-Implantat zum Einsatz. Das Cochlea-Implantat, das sich äußerlich von den implantierbaren Hörgeräten kaum unterscheidet, funktioniert nicht durch Vibrationen an den Gehörknöchelchen, sondern stimuliert den Hörnerv elektrisch. Hierzu wird von dem implantierten Gerät eine Elektrode in der Hörschnecke vorgeschoben. Cochlea-Implantate können ein- oder beidseitig implantiert werden. Die Vielfalt der Geräte unterscheidet sich durch die Strategie der Umsetzung des akustischen Signals auf die elektrische Stimulation (Sprachkodierungsstrategie) sowie die Form und Anzahl der Kontakte der Elektroden. Die Firmen Cochlear (Sydney, Australien), MedEl (Innsbruck, Österreich), Advanced Bionics & Phonak (Sonova, Stäfa, Schweiz) vermarkten jeweils unterschiedliche Cochlea-Implantate, die je nach Form der Elektrode (gerade oder wie die Spiralform der Hörschnecke vorgeformt) und Länge der Elektrode für die Versorgung der unterschiedlichen Hörstörungen geeignet sind. Alle Implantat-Typen sind an der HNO-Klinik des Klinikums Wolfsburg verfügbar und werden je nach spezifischen Bedürfnissen der Betroffenen eingesetzt. Nach der Implantation des Implantates ist im Rahmen der Anpassung des Sprachprozessors noch eine Hörtherapie notwendig, um einen optimalen Hörerfolg zu erreichen. Durch die Kooperation mit Oberlin-Hörpunkt auf dem Campus des Klinikums Wolfsburg sowie weitere kooperierende Hörgeräteakustiker kann die Hörtherapie in Wolfsburg und Umgebung angeboten werden.

Ursprünglich für die Versorgung von Patienten mit innenohrbedingten, „an die Taubheit grenzende Schwerhörigkeit“ und „Taubheit“ entwickelte Cochlea-Implantate wurden in der vergangenen Dekade immer weiter für die Versorgung von Patienten mit noch vorhandenem Restgehör optimiert. Bei der sog. resthörerhaltenden Cochlea- Implantat-Chirurgie wird versucht, das vorhandene Resthören teilweise zu erhalten und nach Anpassung des CI-Gerätes zusätzlich durch Verstärkung des Resthörens mit einem Hörgerät das natürliche Hören zu nutzen und zu verstärken. Diese sogenannte elektro-akustische Stimulation ermöglicht ein verbessertes Sprachverständnis bei dem mit CI versorgten Patienten.

Eine Langzeitstudie am Brigham and Women‘s Hospital in Boston, US-Bundesstaat Massachusetts, an über 10.000 Männern über 62 Jahren zeigte jüngst den Zusammenhang zwischen reduzierten kognitiven Fähigkeiten (wie Vergesslichkeit und Demenz) und einem Hörverlust. Bei Testpersonen mit leichten Höreinbußen wurden um 30 % mehr Hinweise auf die Entstehung einer Demenz beobachtet als bei Normalhörenden. Ist der Hörverlust stärker oder die Betroffenen leiden an Taubheit, steigt das Risiko einer Demenzerkrankung weiter an. Während hochgradig schwerhörige Betroffene, die kein Hörgerät nutzen, ein Demenzrisiko von 54 % haben, verringerte es sich für hochgradig Schwerhörige, die Hörgeräte nutzten, auf nur 37 %! In der Studie wurden alle schwerhörig Betroffenen untersucht und nicht explizit die mit einem Cochlea-Implantat versorgten Betroffenen, aber die lassen sich auf Cochlea-Implantat-Kandidaten und -Nutzer übertragen. Die Studie zeigt zwar, dass Hörgeräte und Hörimplantate Demenz nicht verhindern können, das Demenzrisiko aber deutlich verringern.

Hörminderung ist ein Risikofaktor für Demenzerkrankungen. Jedoch ist eine enorme kognitive Leistung erforderlich, um das Gehörte zu verstehen. Je höher der Schwerhörigkeitsgrad, desto höher ist die Beanspruchung der kognitiven Leistung, um das Gehörte zu verstehen. Die Lücken von nicht gehörten Anteilen der Sprache müssen Schwerhörige im Alltag durch zusätzliche Denkleistung ausgleichen, um zu verstehen, was sie teilweise nicht gehört haben. Damit wird die sog. „Höranstrengung“ deutlich erhöht und so wirken sich kognitive Einbußen direkt auf das Sprachverstehen aus.

Auch soziale Isolation und Depressionen können mögliche Folgen ausgeprägter Hörprobleme sein. Wer nicht alles versteht, meidet die Gesellschaft anderer Menschen und gerät so unbewusst in die Isolation, die zusätzlich als weiterer möglicher Auslöser für Demenz oder dessen Verstärkung sein kann. Andererseits gilt soziales Engagement als Demenz-Prävention, wofür gutes Hörvermögen wiederum eine Rolle spielen könnte.

So vielfältig die Ursachen des Ausprägungsgrades von Hörstörungen sind, so mannigfaltig sind auch die zur Verfügung stehenden operativen und apparativen Therapieformen. Der otologisch versierte HNO-Arzt wird nach Durchführung von unterschiedlichen diagnostischen Tests eine Ursachenforschung für die Ursache der Erkrankung betreiben und die richtige Therapie dem Patienten anraten können.

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