Artikel erschienen am 19.07.2017
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Rekonstruktion der unteren Extremität mit freien Lappen

Von PD Dr. med. habil. Christian Weinand, Gifhorn

Unsere Beine spielen in der täglichen Fortbewegung eine tragende Rolle. Daher führen offene Wunden, die im Bereich der Füße, der Unter- oder Oberschenkel bestehen, zu einer Einschränkung in der Mobilität.

Diese Wunden können unterschiedliche Ursachen haben und werden mit verschiedenen Verbänden behandelt. Wenn die Wunden durch Gefäßverschlüsse entstanden sind, etwa aufgrund einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, liegen sie meist an den Unterschenkeln oder den Sprunggelenken.

Häufig werden Medikamente verschrieben, um die Durchblutung zu verbessern, wie etwa Aspirin, Marcumar, Xarelto, Pradaxa oder Efient. Diese sog. Blutverdünner helfen, die periphere Blutversorgung zu den Beinen und Füßen zu verbessern, haben aber auch Nebenwirkungen. So kann die Haut dünner werden, es kommt oft zu blauen Flecken oder zum Aufreißen der Haut mit längeren Blutungen.

Wenn jedoch ein großer Hautlappen ab- oder aufgerissen ist, muss der Patient operativ versorgt werden. Wunden können jedoch auch nach Traumata/Unfällen oder nach Tumoroperationen entstehen.

Besteht eine große Wunde im Bereich der Unterschenkel oder der Füße, ist eine operative Versorgung schwierig, da nicht genügend verschieblicher Weichteilmantel zur Verfügung steht. Versuche, auf Knochen oder Sehnen direkt Spalthaut zu verpflanzen, sind oft zum Scheitern verurteilt, da hier die Durchblutung zu gering ist. Die Wunde muss jedoch für eine Transplantation mit einem Hautlappen vorbereitet werden, d. h. sie muss mindestens infektfrei und eine sichere Durchblutung gewährleistet sein. Blutverdünnende Medikamente werden vor dem Klinikaufenthalt durch gut steuerbare Heparingaben ersetzt.

Dem plastisch-rekonstruktiven Chirurgen bleibt häufig nur die Defektdeckung am Unterschenkel und am Fuß mittels eines sog. freien Lappens. Hierbei handelt es sich um Teile der Haut, die von einem definierten Blutgefäß sicher versorgt werden und die zusammen mit den versorgenden Blutgefäßen gehoben werden. Diese Hautlappen werden entsprechend des bestehenden Defektes über dem mittels Angiografie oder dopplersonografisch bestimmten Versorgungsgefäß geformt. Die versorgenden Blutgefäße werden von der größeren Arterie und Vene abgesetzt. Der so gehobene Hautlappen wird dann an den Ort des Defektes verlagert. Sinnvoll ist es, mit zwei Teams zu arbeiten. Das eine Team hebt den Lappen, das andere bereitet die Empfängerstelle vor. Dort müssen Spendergefäße vorbereitet werden, der Wundgrund und die Wundränder angefrischt und die Gefäße gekennzeichnet sein. Die Empfängergefäße des freien Lappens werden dann mikrochirurgisch unter dem Mikroskop in etwa 30-facher Vergrößerung in zu- und abflussgünstigen Winkeln mit 8/0, 9/0 oder 10/0 nicht resorbierbarem Nahtmaterial angeschlossen. Die Zeit, die man für den Anschluss der Gefäße braucht, ist limitiert. Sie soll eine Stunde nicht überschreiten, denn sonst besteht die Gefahr, dass der Lappen zu lange kein Blut erhält und das Lappengewebe zugrunde geht.

Nach Überprüfen der Dichtigkeit und kontinuierlichen Durchgängigkeit der neu geschaffenen Gefäßverbindungen werden die Unterhaut und Haut des freien Lappens mit dem Defekt vernäht, das den Hautlappen versorgende Gefäß wird auf dem transplantierten Hautlappen nochmals dopplersonografisch dargestellt und die Stelle zur weiteren Kontrolle markiert. Sehr häufig muss der operierte Unterschenkel oder der Fuß mit einer Gipsschiene ruhig gestellt werden, damit der freie Lappen einheilen kann. Der Hebedefekt kann oft direkt verschlossen werden, oder wird, bei zu großer Fläche, mit Spalthaut gedeckt. Kontrollen des Lappens werden zuerst stündlich mit dem Dopplersonograf und klinisch durchgeführt. Bei weiterhin guter Lappendurchblutung verlängern sich die Kontrollintervalle, bis schließlich die Lappenperfusion sicher ist und erstes Lappentraining durch Herabhängen-Lassen der mit dem Lappen versorgten Extremität realisiert wird. Auch hier werden zeitliche Steigerungen durchgeführt.

Dem Patienten wird während der gesamten Zeit Heparin verabreicht, wobei die erste Zeit nach der Operation das Medikament per Infusionspumpe gegeben wird. Die Erfolgsquote von freien Lappenplastiken wird in der Literatur mit 85–96 % angegeben. Der Klinikaufenthalt ist häufig länger als zehn Tage.

Fotos: Helios Klinikum Gifhorn

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