Artikel erschienen am 12.07.2017
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Psychiatrie macht gute arbeit!

Die Haltung der Gesellschaft zur Psychiatrie ist ambivalent, aber …

Von Dr. med. Mohammad-Zoalfikar Hasan, Königslutter am Elm

Die Haltung der Gesellschaft und Öffentlichkeit zur Psychiatrie ist ambivalent und inkonstant. Psychiatrische Themen werden gerne verdrängt, bekommen aber bei bestimmten Anlässen, wie Suizid oder Straftaten durch psychisch kranke Menschen erhebliche öffentliche und mediale Aufmerksamkeit. Häufig wird dann – verzerrt dargestellt – die Psychiatrie mit Fehleinschätzungen, Fehlbeurteilungen, Gefährlichkeit und Gefährdung assoziiert mit der Folge, dass die Stigmatisierung und Vorurteile gegen psychisch kranke Menschen zunehmen.

Die Psychiatrie hat sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Die Versorgungsangebote und -möglichkeiten haben sich deutlich gebessert. Erfolgreich war die biologische Psychiatrie mit der Entdeckung der Psychopharmaka, der Transmitter und der Bildgebung. Neue organische, diagnostische und therapeutische Möglichkeiten haben sich eröffnet. Die Psychiatrie orientiert sich mehr und mehr an neurobiologischen Forschungsergebnissen. Aus diesem Verständnis der Erkrankungen eröffnen sich für die medikamentöse Behandlung und die Psychotherapie neue Wege. Klar ist es aber, dass sich das Verhalten und das Erleben, insbesondere das individuelle Leiden eines Menschen nicht auf neuronale oder molekulare Mechanismen reduzieren lässt. Komplexe Genetik-Umwelt-Konstellationen – neben neurobiologischen und individuellen – verbieten eine einseitige Betrachtungsweise. Es darf nicht zu einem Empathieverlust und Vernachlässigung psychotherapeutischer und sozialpsychiatrischer Aspekte kommen. Neurobiologische Erklärungsmodelle können auch zu einer Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen beitragen. Die Vermittlung dieses Wissens zwingt zu einer neutralen, nicht wertenden Haltung und entlastet die Patienten und die Angehörigen von ihrem „vermeintlichen persönlichen Versagen und Schulderleben“, was bei vielen psychischen Erkrankungen, insbesondere auch Suchterkrankungen, häufig mitschwingt. Die Patientenrechte und Mitbestimmung bei der Behandlung sind gestärkt worden. Die Autonomie und das Wohl des Patienten müssen immer unsere therapeutische Haltung bestimmen.

Die Psychotherapie entwickelte integrative und störungsspezifische Behandlungsverfahren. Die Versorgungsinstitutionen und deren diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten sind heute viel besser als früher. Die Kompetenzbereiche der Psychiatrie sind erheblich gewachsen. Haben wir uns früher überwiegend mit der Schizophrenie, Alkoholismus und Demenz befasst, beschäftigen wir uns heute auch mit Beziehungskonflikten, Problemen in der Familie, in der Schule und am Arbeitsplatz; Psychiatrie ist inzwischen ansprechbar für alle Ängste und Nöte der Menschen.

Psychiatrie war schon immer und ist heute noch ein Seismograph gesellschaftlicher Veränderungen. In ihr sind Normen und Werte, Stärken und Schwächen, Toleranz und Intoleranz einer Gesellschaft ablesbar. Vor der Psychiatrie braucht keiner Angst zu haben, denn Psychiatrie ist – und hier zitiere ich den berühmten Psychiater Manfred Bleuler, dessen Vater der Schizophrenie den Namen gab – „in ihrem Wesen einfach und menschlich“.

Bild: Fotolia/agsandrew

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