Artikel erschienen am 26.07.2017
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Portrait: Der moderne Hausarzt

Ein Berufsbild im Wandel

Von Olga Beckmann, Braunschweig

Arzt ist einer der ältesten Berufe in der Geschichte der Menschheit. Und doch hat der Arzt von heute praktisch nichts mehr mit den Heilern der frühen Hochkulturen gemeinsam – außer dem Ziel: Menschen beim Erhalt oder der Wiedererlangung ihrer Gesundheit zu helfen.

Ein bärtiger Mann, der gewichtig dreinschaut, Kompetenz und Autorität ausstrahlt. Er trägt einen weißen Kittel, um den Hals baumelt ein Stethoskop. So oder so ähnlich wird oft das klassische Bild des Hausarztes im 18. bis 20. Jahrhundert gezeichnet. In gesundheitlichen Fragen war er die erste und – vor allem in ländlichen Regionen – oft einzige Anlaufstelle. Diejenigen, die so krank waren, dass sie die Wohnung nicht verlassen konnten, besuchte er zu Hause und führte dort die notwendigen Behandlungen durch. Er nahm sich Zeit für seine Patienten. Oft kannte er sie persönlich, behandelte meist ganze Familien und wusste über die Krankengeschichte seiner Patienten Bescheid. Anamnesegespräche, wie sie heute oft üblich sind, brauchte es da selten.

Die Wissenschaft war noch nicht so weit, technische Geräte waren noch nicht erfunden oder zu teuer. So basierte die Diagnostik des Hausarztes noch im 20. Jahrhundert vor allem auf Erfahrung, erlerntem Wissen und zu einem ganz großen Teil auf persönlichem Gespür für den Patienten. Dadurch, dass der Arzt seine Patienten meist gut und lange kannte, konnte er ganz anders beurteilen, wie es um sie stand, als das heute oft der Fall ist.

Die Hausarztpraxis heute: schnelle Diagnostik statt individueller Betreuung?

Heute pflegen Ärzte zu ihren Patienten nur noch selten ein näheres Verhältnis. Zum einen ist ein einzelner Hausarzt bzw. Allgemeinmediziner heute für die Versorgung einer deutlich höheren Zahl Patienten zuständig als noch vor 30 Jahren. Zum anderen arbeiten niedergelassene Hausärzte zunehmend in großen Praxisgemeinschaften zusammen, sodass Patienten mitunter gar nicht jedes Mal vom selben Arzt behandelt werden. Dadurch entsteht Anonymität. Oft sind beim Arztbesuch ausführliche Anamnesegespräche notwendig, in denen der Patient zunächst einmal seine Situation schildert, damit der Arzt weiß, woran er ist. Dadurch bleibt im eng getakteten Terminplan vieler Hausarztpraxen oftmals nur wenig Zeit für die eigentliche ärztliche Behandlung und eine individuelle Beratung des Patienten.

Im Mittelpunkt des Arzttermins steht oft die Dia­gnostik. Die heutige Schulmedizin ist oft stark fokussiert auf Diagnosen und Befunde. Dazu stehen dem Allgemeinarzt heute zahlreiche technische Mittel zur Verfügung: Vom Langzeit-EKG über umfassende Labordiagnostik und Messungen der Lungenfunktion bis zu modernster Ultraschalltechnik kann der Hausarzt auf eine Vielzahl an technischen Geräten zugreifen, die ihm Daten über den Zustand des Patienten liefern. Eine viel und kontrovers diskutierte Frage dabei allerdings lautet: Lässt sich Gesundheit allein in technischen Daten messen?

Die Integrative Hausarztpraxis: breites Spektrum, viele Möglichkeiten

Hier setzt die Integrative Medizin an. Sie verbindet konventionelle Methoden der klassischen Schulmedizin mit modernen komplementärmedizinischen Ansätzen. Das heißt, sie arbeitet naturwissenschaftlich und evidenzbasiert und ist gleichzeitig offen für erfahrungsbasierte Konzepte. Integrativ arbeitenden Hausärzten steht deshalb ein sehr breites Spektrum an Möglichkeiten zur Diagnostik und Therapie zur Verfügung. Sie schöpfen einerseits aus dem an der Universität erlernten schulmedizinischen Fundus und lassen andererseits auch alternative Ansätze in ihre Arbeit einfließen, um Lösungen für gesundheitliche Probleme zu finden.

Wichtige Methoden in der integrativen Hausarztpraxis sind – je nach individueller Ausrichtung – z. B. neben klassischen schulmedizinischer Diagnostik und Therpie auch individuelle Ernährungsberatung, Neuraltherapie, Funktionelle Muskeldiagnostik, Ozontherapie, Co-lon-Hydro-Therapie, Akupunktur, mikrobiologische Therapie, Bioresonanztherapie, Magnetfeldtherapie oder auch technische Verfahren wie Messungen der Herzratenvariabilität. All diese Konzepte haben vor allem eines gemeinsam: Sie betrachten den Menschen in seiner Gesamtheit als komplexe Einheit aus biochemischen, strukturellen und psychischen Prozessen und Zusammenhängen. Sie gehen von Wechselwirkungen zwischen diesen drei Ebenen – Biochemie, Struktur, Psyche – aus und definieren Gesundheit als Zustand, in dem alle drei Seiten in Einklang stehen.

Ursachen beheben statt Symptome zu bekämpfen

Insbesondere bei chronischen Erkrankungen kann der Einsatz integrativmedizinischer Verfahren sehr sinnvoll sein. Sie sind mit rein schulmedizinischer Diagnostik häufig erst dann nachweisbar, wenn bereits Symp­tome auftreten. Die Integrative Medizin dagegen hält Methoden bereit, mit denen Probleme schon erkannt werden können, bevor sie so weit fortgeschritten sind, dass sich Symptome bemerkbar machen. In der Raumfahrtmedizin werden solche Verfahren wie etwa die Bioresonanztherapie bereits seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt.

Konventionelle Methoden und insbesondere medikamentöse Ansätze können oft nur Symptome bekämpfen, z. B. vorübergehend den Schmerz lindern. Das kann auch sehr sinnvoll sein, um etwa Verspannungen zunächst einmal zu lösen und dazu beizutragen, dass der Mensch sich erst einmal besser fühlt. So eine Therapie setzt aber eben nur am Symptom an – die eigentliche Ursache des Problems wird nicht geklärt.

Für den integrativ arbeitenden Arzt steht dagegen immer die Suche nach der Ursache für ein Problem im Mittelpunkt. Methoden wie etwa die Funktionelle Muskeldiagnostik können dabei sehr nutzbringend eingesetzt werden und liefern diagnostische Möglichkeiten, die über den Fundus der konventionellen Methoden hinausgehen.

In der modernen Hausarztpraxis ist es also sehr hilfreich, klassisches schulmedizinisches Wissen durch komplementärmedizinische Ansätze zu ergänzen. Dadurch erweitert der Hausarzt sein Handwerkszeug und hat ganz einfach mehr Möglichkeiten, seinen Patienten bei verschiedensten und auch komplexen Beschwerden zu helfen.

Vorsorge im Fokus

Oberstes Ziel und Hauptaufgabe der Hausarztpraxis ist heute die Gesundheitsvorsorge. Der Hausarzt wird idealerweise nicht erst dann aufgesucht, wenn ein gesundheitliches Problem vorliegt, für das der Patient einen Rat braucht. Vielmehr sollte eine regelmäßige hausärztliche Betreuung und Beratung stattfinden, die exakt auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten ist.

Gesundheitsvorsorge ist dabei nicht gleichzusetzen mit der Früherkennung von Krankheiten. Die Früherkennung ist ein wichtiger Bestandteil der Vorsorge, aber eben nur ein Aspekt. In erster Linie bedeutet Vorsorge, Krankheiten nicht bloß früh zu erkennen, sondern sie zu verhindern, und zwar durch eine individuelle Untersuchung und Beratung des einzelnen Menschen. Dieser Ansatz wird auch als Präventionsmedizin oder einfach Prävention bezeichnet.

Die Grundlage einer guten Gesundheitsberatung bildet die ärztliche Kunst der Untersuchung mit allen Sinnen. Kein noch so modernes technisches Analysegerät kann die tastenden Hände, den scharfen Blick, die geschulten Ohren und das fühlende Herz eines erfahrenen Arztes ersetzen. Funktionsstörungen kann man ertasten, sehen oder spüren, lange bevor überhaupt Beschwerden auftreten. Und die Relevanz etwa von Röntgen- oder Ultraschallbefunden lässt sich nur richtig einordnen, wenn parallel eine entsprechende Funktionsuntersuchung durchgeführt wird.

Menschen sind unterschiedlich, und genauso unterschiedlich sind auch die Maßnahmen, die jeder Einzelne ergreifen kann, um sein eigenes Leben gesund zu gestalten. Die Aufgabe des Hausarztes besteht darin, die individuellen Bedürfnisse und Voraussetzungen des Patienten zu erkennen und zu analysieren, um darauf aufbauend ein maßgeschneider­-
tes Vorsorgekonzept zu erarbeiten.

Die moderne Hausarztpraxis: individuelle Betreuung von Mensch zu Mensch

Eine moderne hausärztliche Betreuung rückt also den Menschen wieder in den Fokus. Der moderne Hausarzt besinnt sich auf die Wurzeln seines Berufes und räumt dem Menschlichen ausreichend Platz ein. Eine individuelle hausärztliche Betreuung funktioniert nicht im Schnelldurchlauf. Sie braucht neben modernen technischen Mitteln vor allem auch Zeit. Zeit, um zu sprechen. Zeit für umfassende Untersuchungen. Zeit zur individuellen Beratung.

Der moderne, integrativ arbeitende Hausarzt setzt wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Errungenschaften der Neuzeit gezielt in der täglichen Praxis ein. Gleichzeitig ist er sich seiner Rolle als Mensch bewusst, nimmt sich Zeit für seine Patienten und berücksichtigt deren individuelle Bedürfnisse, um ihnen dabei zu helfen, das wertvolle Gut Gesundheit zu erhalten.

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