Artikel erschienen am 28.07.2017
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Knackpunkt Kiefergelenk

Von Dr. med. dent. Elke Franziska Reinbach, Braunschweig

70 – 80 % der Bevölkerung sind in unterschiedlicher Ausprägung von einer CMD betroffen. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. 25 – 40 % der Kinder haben vor kieferorthopädischer Behandlung CMD-Befunde (s. Prof. Axel Bumann).

Viele Menschen leiden unter Kopfschmerzen, Arm-, Schulter- und Rückenschmerzen, im Beckenbereich, in den Beinen bis zu den Füßen oder haben Beschwerden im Ohrbereich.

Die Ursachen hierfür sind vielfältig

Meist wird zuletzt oder gar nie daran gedacht, dass diese durch einen falschen Biss entstanden sind. Menschen mit diesen Problemen haben nicht selten eine jahrelange Odyssee an Therapeutenbesuchen hinter sich. Durch Zufall, nicht selten durch den Hinweis eines Physiotherapeuten, fragen sie bei ihrem Zahnarzt. Dieser wird, je nach Erfahrung, helfen können oder den Patienten zu einem zahnärztlichen Spezialisten auf diesem Gebiet weiterempfehlen.

Welche Symptome können nun durch falsche Bissverhältnisse verursacht werden?

  • Kopfschmerzen im Bereich der Kaumuskulatur
  • Halsschmerzen im Bereich des Nackens
  • Schulter-, Arm- und Rückenschmerzen
  • Hüftbeschwerden, Beckenschiefstand
  • Knie-und Beinschmerzen
  • Bewegungseinschränkungen und Asymmetrien im Bereich des Kopfes im Wirbelsäulenbereich
  • Empfindungsstörungen: Schwindel, Tinnitus, Ohrgeräusche, Kloßgefühl in der Speiseröhre, Engegefühl beim Atmen, Brennen im Mund
  • Mundöffnungseinschränkungen
  • Knacken und Knarzen in den Kiefergelenken
  • zerstörter Zahnschmelz
  • Zähneknirschen, Zähnepressen.

Das Kiefergelenk verbindet Unter- und Oberkiefer miteinander. Legt man Zeige- und Mittelfinger vor den Ohreingang und öffnet und schließt den Mund, fühlt man die Bewegung des Kiefergelenkköpfchens. Kiefergelenkserkrankungen führen immer zu Verspannungen der Kaumuskulatur und der Muskulatur im Hals-, Schulter- und Nackenbereich.

Einem Knacken im Kiefergelenk sollte nur nachgegangen werden, wenn es sehr häufig beim Öffnen und/oder Schließen des Unterkiefers auftritt. Ein seltenes Knacken ist nicht behandlungsbedürftig. Ein häufiges Knacken ist nicht zwangsläufig schmerzhaft, sollte aber behandelt werden. Die Strukturen im Kiefergelenk würden bei dauerhaftem Knacken geschädigt werden und spätestens dann auch hier zu Schmerzen führen.

Ursachen für diese Fehlfunktionen im Kiefergelenkbereich und der Kaumuskulatur sind

  • Zahnfehlstellungen
  • Unfallfolgen im Gesichtsbereich
  • Zahnextraktionen
  • Stress
  • andere psychische Ursachen.

Die Stabilität dieses Gleichgewichts kann durch eine falsche Zahn- oder Kieferstellung oder durch altersbedingt abgenutzte Zähne oder abgenutzten Zahnersatz gestört werden. Es kommt in der Folge zu Abnutzung oder Verlagerung der Gelenkscheibe, was seinerseits zu Geräuschen, die schmerzhaft werden können, führt.

Ist das Zusammenspiel zwischen Unterkiefer und Oberkiefer gestört (man nennt dies eine Craniomandibuläre Dysfunktion = CMD), kommt es zwangsläufig zu Verspannungen und später Schmerzen in der Kaumuskulatur. Diese Verspannungen und Schmerzen werden über Halswirbelsäule, das Becken und die Beine weitergeleitet (man spricht dann von einer Craniosacralen Dysfunktion = CSD) Die gesamte Statik ist betroffen. Chronische Beschwerden in diesen Bereichen sind die Folge.

Untersuchungen

Durch eine ca. 15-minütige Untersuchung kann ein spezialisierter Zahnarzt herausfinden, ob eine Fehlfunktion des Kiefers vorliegt. Ist dies nicht der Fall, muss nach anderen Ursachen gesucht werden.

Findet der Spezialist Fehlfunktionen im Bereich der Kiefergelenke, der Kaumuskulatur oder Überlastungssymptome an den Zähnen und/oder am Zahnfleisch und weist die Anamnese des Patienten Auffälligkeiten auf, die für eine Fehlfunktion sprechen, muss ein sog. klinischer Funktionsstatus gemacht werden.

Klinischer Funktionsstatus, manuelle und instrumentelle Funktionsanalyse

Zähne, Zahnfleisch, die Mundschleimhaut, der Zusammenbiss der Ober- und Unterkieferzähne (Okklusion), die Kiefergelenke und die Kaumuskulatur werden untersucht.

Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule, die Statik, Schulter- und Beckenhochstand werden grob untersucht. Wenn sich hier Auffälligkeiten zeigen, sollte bei einem Orthopäden eine genaue Untersuchung erfolgen.

Modelle des Patienten in einem Kausimulator zeigen den gewohnheitsmäßigen Biss einerseits und denjenigen bei entspannter Muskulatur und entspannter Stellung des Kiefergelenkköpfchens andererseits.

Magnetresonanztomographie

In Einzelfällen ist ein MRT-Bild (Magnetresonanztomographie) erforderlich, ein Verfahren ohne Röntgenstrahlen, das die Weichgewebsstrukturen des Kiefergelenks mit darstellt.

Therapie

Das Missverhältnis zwischen gewohnheitsmäßigem Biss (habituellem Biss) und richtigem Biss (zentrischem Biss) muss nun mit einer entsprechend individuell gestalteten Schiene ausgeglichen werden. Eine parallel durchgeführte Physiotherapie, auch hier nur von einem auf die CMD geschulten Therapeuten, ist unerlässlich.

Das therapeutische Ziel ist eine Reposition des Diskus auf dem Kondylus. Die überbelasteten Gewebe sollen nicht weiter verletzt und abgenutzt werden.

Diese Vorbehandlung dauert i. d. R. drei bis max. zwölf Monate. Will der Patient nicht dauerhaft die Schiene tragen, was sich kaum einer wünscht, würde eine kieferorthopädische und/oder zahnärztliche Neueinstellung des Bisses erfolgen. Ob eine kieferorthopädische Behandlung beim Kieferorthopäden oder Zahnersatzbehandlung beim Zahnarzt erforderlich ist, hängt von dem Zustand der Zähne ab.

Info

Bitter ist, dass nur private Versicherer die Kosten für Analyse und Therapie übernehmen. Die gesetzlichen Krankenkassen schließen die diagnostischen und therapeutischen Leistungen aus.

Bild: Fotolia/anetlanda

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