Artikel erschienen am 16.03.2018
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Geriatrische Rehabilitation

Ein Weg zum Erhalt der Selbstständigkeit

Von Gabriele Gegenbach, Bad Harzburg

Im Alter lassen bestimmte Fähigkeiten nach, es kommt zusätzlich zu Krankheiten und in deren Folge zu weiteren Funktionseinschränkungen. Es fängt oft schleichend an, zuerst vielleicht nur bei den Freizeitaktivitäten, der Aktionsradius wird zunehmend eingeschränkt, spätestens wenn die Alltagsaktivität, also das was wir zum selbstständigen Leben als Minimalanforderung brauchen, betroffen ist, benötigen wir fremde Hilfe.

Man hört dann häufig, das ist im Alter eben so, da kann man nichts machen. Meist geben wir uns damit zufrieden und die Aktivitäten werden daraufhin angepasst. Häufig so lange, bis wir kaum oder nicht mehr in der Lage sind, selbstständig zu leben.

Oft beginnt so eine Abwärtsspirale durch ein akutes Ereignis z. B. durch einen Sturz mit einem Knochenbruch und Krankenhausaufenthalt. Manchmal ist es eher schleichend, ein Beispiel wäre eine auftretende Blasenschwäche. Der Betreffende meidet daher aus dem Haus zu gehen, die sozialen Kontakte sinken, die Einsamkeit nimmt zu, die Anregungen bleiben aus, sodass die geistigen Fähigkeiten nachlassen, parallel nimmt die Bewegung pro Tag ab, ohne tägliches Training nimmt die Muskelkraft und Reaktionsfähigkeit ab, die Gangunsicherheit und Sturzneigung nehmen zu, der Appetit sinkt, auch zum Einkaufen braucht man nun kaum noch aus dem Haus, eine Mangelernährung entsteht, Mineralstoff-, Vitamin- und Proteinmangel führen zu weiteren Problemen wie Blutarmut, Muskelschwund oder Infektanfälligkeit. Und so dreht die Spirale sich immer weiter.

Ein wichtiger Begriff in der geriatrischen Medizin ist die sog. Frailty, welche man als die verminderte Widerstandskraft gegen solche schädigende Ereignisse beschreiben kann, also Ereignisse, welche als Auslöser oder Verstärker der Abwärtsspirale wirken. Heute wissen wir, dass diese Widerstandskraft durchaus beeinflussbar ist, auch im Alter noch.

Umkehr der Abwärtsspirale

In der geriatrischen Rehabilitation versuchen wir, diese Abwärtsbewegung an einer oder mehreren Stellen zu unterbrechen, um den Weg umzukehren oder zumindest aufzuhalten. Ein vorrangiges Ziel ist dabei die Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit eines Menschen so lange wie möglich zu erhalten.

Die auftretenden Einschränkungen haben meist viele zusammenwirkende Ursachen und sich gegenseitig beeinflussende Faktoren, daher ist der Ansatz in Geriatrie ein multiprofessionaler und man kann sagen eher ganzheitlicher. Auch bedarf er eines spezialisierten Wissens, denn mit steigendem Lebensalter verändert sich die Funktion und Struktur des menschlichen Organismus, Normwerte müssen anders interpretiert werden, die Wirkung von Medikamenten verändert sich und muss neu bewertet werden. Seelische Einflüsse spielen häufig eine größere Rolle als in jüngeren Jahren und vieles andere mehr.

Das geriatrische Team

Es wird daher eng in einem Team aus unterschiedlichen Bereichen zusammengearbeitet. Im Team gibt es neben den altersmedizinisch spezialisierten Ärzten auch speziell ausgebildete Pflegekräfte, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Neuropsychologen, Sozialarbeiter und Diätassistenten.

Im Fokus der altersspezifischen Medizin stehen die geriatrischen Syndrome, wie die eingeschränkte Mobilität, die vermehrte Sturzneigung, die Probleme mit Inkontinenz oder auch der Ernährung, aber auch der oft abnehmenden geistigen Leistungsfähigkeit.

Um zu Beginn zu sehen, wo der Rehabilitand in etwa steht, werden Assessments durchgeführt. Assessments sind wissenschaftlich erprobte standardisierte Befragungen oder Tests, welche die verschiedenen Dimensionen, wie z. B. die Mobilität, das Gleichgewicht, die Konzentrations- und Merkfähigkeit, aber auch die Fähigkeit zum planvollen Handeln oder den Ernährungsstatus testen, aber auch die soziale Situation jedes Einzelnen erfassen.

Therapieplan nach individuellen Zielen

Aus den Ergebnissen der Aufnahmeuntersuchungen und Tests der verschiedenen Fachdisziplinen wird ein Therapieplan entwickelt. Hierbei werden besonders auch die Wünsche und persönlichen Bedürfnisse des Rehabilitanden berücksichtigt und individuelle Therapieziele festgelegt. Diese Ziele werden in regelmäßigen Teambesprechungen und den Visiten, die ebenfalls mit dem gesamten Team durchgeführt werden, überprüft, gegebenenfalls angepasst und je nach Therapiefortschritt weiterentwickelt.

Die Geriatrie ist eine noch relativ junge Fachdisziplin, welche sich jedoch inzwischen etabliert hat. Die laufende Forschung in dem Gebiet hilft uns vor Ort immer mehr, das, was wir bisher in der Rehabilitation durchgeführt haben, wissenschaftlich zu überprüfen und an der einen oder anderen Stelle auch zu verbessern. Zuletzt ist die Sarkopenie, also der Verlust an Muskelmasse und Muskelkraft, in den Fokus der Forschung gerückt. Erkenntnisse aus dieser Forschung, z. B. bezüglich des optimalen Krafttrainings im Alter, wurden dann in die Rehabilitationspläne eingearbeitet. So wird kontinuierlich der Prozess verbessert.

Natürlich profitiert in einer älter werdenden Gesellschaft auch die Allgemeinheit davon, wenn die Älteren der Gemeinschaft länger in Selbstständigkeit leben können, daher wird die geriatrische Rehabilitation auch von den Krankenkassen finanziert. Der wahre Gewinner bleibt trotzdem jeder einzelne, denn der Wert der Selbstständigkeit wird vielen erst bewusst, wenn wir ihn verloren haben.

Bild: Fotolia/Nelly Kovalchuk

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