Artikel erschienen am 20.09.2016
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Was ist Chiropraktik?

Von Siena Rauskolb, Master of Chiropraktik (UK), Wolfsburg

Chiropraktik befasst sich mit der Optimierung verschiedener Systeme des Bewegungsapparates. Ziel ist es, die muskuläre Balance, die Integrität des Nervensystems und die biomechanischen Abläufe des Körpers zu optimieren. Das fünf- bis sechsjährige Vollzeitstudium, welches nach Richtlinien der WHO ausgerichtet ist, wird in Deutschland noch nicht angeboten. Somit verwenden die studierten Chiropraktoren eben diese englische Bezeichnung und nicht den deutschen Begriff „Chiropraktiker“.

Am häufigsten werden Chiropraktoren aufgesucht, wenn Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen auftreten. Ziel der Chiropraktik ist, die funktionellen Abläufe des Bewegungsapparates zu optimieren, sodass Schmerz- und Kompensationssyndrome oftmals nach der Chiropraktoren-Lehre. Hierfür wird der Körper auf Einschränkungen im Bewegungsapparat untersucht, die sog. „Blockaden“.

Was ist eine Blockade?

Wenn man von einem blockierten Wirbel spricht, ist damit eine eingeschränkte Beweglichkeit der Wirbelgelenke gemeint. Wirbel können im Alltag nicht ausrenken oder sich verschieben. Man kann folglich auch keinen Wirbel wieder einrenken. Wenn sich ein Wirbel, z. B. durch einen schweren Unfall, tatsächlich verschiebt, spricht man von einer Subluxation. Dies ist ein neurologischer Notfall, da so das Rückenmark verletzt werden kann. Dies ist jedoch nicht mit den alltäglichen Blockierungen zu verwechseln.

Wie funktioniert Chiropraktik?

Viele Prozesse im Gehirn werden durch Bewegung aktiviert. Das Gehirn wertet die zahlreichen Informationen von Nerven aus, die in Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenkkapseln sitzen. Diese Nerven registrieren die Position, Schnelligkeit und den Bewegungsgrad von Gelenken im Körper. Durch diese Informationen wissen wir, wo wir uns im Raum befinden und wie der nächste Schritt aussehen muss. Die meisten dieser Prozesse sind automatisiert. Wir müssen nur einmal lernen, wie man Fahrrad fährt oder eine Schleife bindet.

Das Gehirn muss jedoch zunächst seinen Körper kennenlernen und das geschieht durch Bewegung. Das können wir bei Säuglingen sehr gut beobachten, sie sind immer in Bewegung. Sind nun ein oder mehrere Gelenke blockiert, bekommt das Gehirn aus Sicht der Chiropraktik nicht die korrekte Information. So können sich wohl auch falsche Bewegungsmuster manifestieren. Chiropraktik setzt hier an. Die Korrektur der Blockierungen soll es möglich machen, dass die Bewegungsabläufe symmetrisch einstudiert werden können. Techniken der Chiropraktik setzen nicht nur an den Gelenken an, sondern beinhalten auch kraniale (Schädel) und viszerale (Organe) Techniken, sowie funktionelle Muskeltests. Die Muskeln übernehmen den größten Teil der Gelenkstabilisierung. So ist genügend und abwechslungsreiche Bewegung wichtig, nicht nur bei Kindern, sondern in allen Altersgruppen.

Blockierungen sind nicht immer schmerzhaft oder auffällig

Schmerz ist eine subjektive Wahrnehmung und wird von vielen internen und externen Faktoren beeinflusst. Somit ist er ein recht unzuverlässiger Indikator für biomechanische Fehlfunktionen. Kinder vor der Pubertät z. B. klagen weniger über Rückenschmerzen als während der Pubertät. Während der Pubertät verändern sich die Gewebe. Das könnte erklären, warum wir ab der Pubertät mehr Schmerzen im Rücken verspüren.

Kinder durchlaufen verschiedene Stadien in der Entwicklung. Jeder Schritt in der Entwicklung beinhaltet Veränderungen des Nervensystems und des Bewegungsapparates. Diese Entwicklungsschritte sind genetisch festgelegt und bei jedem Kind etwas anders. Jedoch muss jedes Kind jede dieser Entwicklungsstufen erreichen und durchlaufen. Umwelteinflüsse, Geschlecht, das Erbgut und viele andere Faktoren wirken auf die kindliche Entwicklung ein. Jedoch führen nicht alle Faktoren und Umwelteinflüsse zu einer positiven Beeinflussung.

Während der Geburt, ob natürlich oder bei einem Kaiserschnitt, wirken immense Kräfte auf den Körper des Babys ein. Hierbei können Gelenke blockieren, was bedeutet, dass sich einige Gelenke weniger frei bewegen können. Diese Bewegungseinschränkungen werden von den umliegenden Gelenken kompensiert. So kann es sein, dass Blockierungen anfänglich nicht auffallen. Jedoch hat dies im Säuglings- und Kindesalter großen Einfluss auf das Nervensystem. Diese Vorstellungen werden allerdings von der evidenzbasierten (Schul-)Medizin nicht geteilt. Im Säuglingsalter werden viele nervliche Verknüpfungen hergestellt. Das Gehirn lernt, welches Gelenk im Körper sich wie wohin bewegen kann und welche Muskeln bestimmte Bewegungen ausführen und welche Muskeln miteinander kooperieren müssen. Bewegt sich nun eine Region aufgrund einer Blockade weniger, wird dies nach unseren Überlegungen in das normale System mitaufgenommen und vom Nervensystem als normal eingestuft.

Was sind häufige Folgen von Blockaden bei Kindern?

Blockierungen im Säuglingsalter treten häufig in der oberen Halswirbelsäule und im Kreuzbein auf. Hier treten wichtige Nerven aus, die für die „Haushaltsaufgaben“ des Körpers verantwortlich sind. Werden diese Nerven durch Funktionsstörungen gereizt, können u. a. Bauchschmerzen, Dreimonatskoliken, Trinkprobleme, Schluckbeschwerden, unbegründetes Weinen oder einseitige Kopfhaltungen resultieren. Letzteres wird als KISS-Syndrom (Kopfgelenk induzierte Symmetriestörung) bezeichnet. Kinder, die diese Symmetriestörung im Säuglingsalter hatten, können nach unseren Überlegungen und Erfahrungen Schwierigkeiten in Fein- und Grobmotorik sowie Verzögerungen in der motorischen Entwicklung aufweisen. Letzteres kann auch andere Ursachen haben: geringes Geburtsgewicht, Frühgeburt, Verletzungen des zentralen Nervensystems oder auch genetische Ursachen. Sind all diese Faktoren jedoch untersucht und ausgeschlossen, könnte eine Funktionsstörung als Ursache in Betracht kommen.

Häufige Beobachtungen im Kleinkindalter sind spätes Einsetzen von motorischen Meilensteinen. Auch gibt es die „besonderen“ Fortbewegungsmethoden, in dem das Kind nicht robbt oder krabbelt, sondern sich auf dem Po sitzend vorwärts schiebt. Es wird auch häufig beobachtet, dass Kinder beim Robben ein Bein hinterherziehen, nur einen Arm benutzen oder gar das Krabbeln überspringen und sofort zum Stehen kommen. Diese Veränderungen in der motorischen Entwicklung können Anzeichen dafür sein, dass es Blockierungen im Becken gibt, die eine symmetrische Fortbewegung verhindern. Die Asymmetrie kann die Grundlage werden, auf der sich der Körper, die Muskeln und das Nervensystem aufbauen und weiterentwickeln.

Die Entwicklung nach dem Kleinkindalter

Bis zum 10. Lebensjahr ist die körperliche und neurologische Entwicklung von Jungen und Mädchen sehr ähnlich. Jedoch steigt ab dem 10. Lebensjahr die Wachstumsgeschwindigkeit bei Mädchen stark an und erreicht ihr Maximum mit etwa 12 Jahren. Danach verlangsamt sich das Wachstum wieder. Bei Jungen fängt ab diesem Alter die Beschleunigung des Wachstums erst an und erreicht ihren Höhepunkt im 14. Lebensjahr. Während eines Wachstumsschubs wachsen Knochen schneller als die umliegenden Gewebe. Dies kann zur Folge haben, dass in diesen Phasen weniger sensorische Informationen weitergeleitet werden und sich die Balance verschlechtert (ein möglicher Grund für das nervige Füßeschlurfen bei Teenagern). Querschnittsstudien haben gezeigt, dass Kinder sich in den letzten vier Jahrzehnten früher körperlich entwickeln und vor allem größer und somit schwerer werden. Die Körpergröße ist um 4 bis 6 cm und das Gewicht um 2 bis 4 kg gestiegen. Die Prognose besagt, dass Kinder in 10 Jahren im selben Alter 1 bis 2 cm und 1 bis 2 kg schwerer sind als heute. Das bedeutet auch, dass die Kinder mehr Stabilität und Muskulatur benötigen, um zur gleichen Zeit, die gleichen motorischen Fertigkeiten ausführen zu können. Jedoch stellt sich momentan ein Trend zum längeren Sitzen ein, der durch die Digitalisierung gefördert wird. Viele dieser Faktoren führen zu Mikrotraumata im Gewebe, welche später zu verfrühtem Verschleiß, häufigen Verletzungen und Schmerzen führen können. Hier ist es wichtig, die Kinder zu mehr Bewegung zu motivieren, um Folgen des Bewegungsdefizits entgegenzuwirken. Sekundäre Folgen des Bewegungsmangels, wie z. B. Kopf-, Nacken- oder Rückenschmerzen, können nach unseren Beobachtungen oftmals durch Chiropraktik behandelt und gelindert werden.

Fazit

Die Chiropraktik kann aus unserer Sicht helfen, während des Wachstums die Symmetrie des Bewegungsapparates zu bewahren und die neurologische Integrität zu unterstützen. Wenn die einzelnen Gelenke sich frei bewegen können, ist ein wichtiger Grundstein für eine gesunde körperliche Entwicklung gelegt. Bei qualifizierten Chiropraktoren sind Behandlungen risikoarm. Die Methoden sind sanft und können, wie wir glauben, eine optimierte Entwicklung des Bewegungsapparates und der sensomotorischen Integrität fördern.

Fotos: ChiroPraxis Siena C. Rauskolb

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