Artikel erschienen am 13.07.2016
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Neue Möglichkeiten in der zahnmedizinischen Diagnostik

Reparatur und dauerhafter Erhalt von Zahnsubstanz

Von Andreas Ohnhäuser, Braunschweig

Die Therapiestrategien in der Zahn­heil­kunde unterliegen einer stetigen Weiter­ent­wicklung. Während zu Beginn noch die Abwendung von z. T. lebens­bedrohenden Situation z. B. von Abzessen (Gefahren­prävention) durch den Bader im Vorder­grund stand, hat sich die Zahnheilkunde über das Konzept der regelmäßigen, restaurativen Frühintervention (Schmerzprävention – aktuelles Krankenkassenmodell) hin zur Regeneration von Zahnschäden und zur Zahnsubstanzverlustprävention entwickelt.

Zusammenhang von Befund, Diagnose und Therapie

Am Anfang einer jeden Therapieentscheidung steht die Befundung. Hier werden die Krankheitsvorgeschichte, Symptome, krankheitsverursachende Parameter und auch Risikofaktoren ermittelt. Anhand der so gewonnenen Daten kann der Therapeut auf der Grundlage der aktuell anerkannten Vorstellung des Krankheitsbildes die Diagnose stellen. Sie ist die Grundlage für den Therapieentscheid, der dann die durchzuführenden Behandlungsschritte vorgibt. Voraussetzung für alle Befundverfahren ist das Maß Ihrer Reproduzierbarkeit. Damit ist die Genauigkeit bei sich wiederholenden Messungen (auch von verschiedenen Untersuchern) gemeint.

1. Ebene: Befundung restaurationsbedürftiger Zahnschäden (qualitativ)

Der Schwerpunkt der aktuellen zahnmedizinischen Befundung liegt zurzeit in der Entdeckung irreversibel geschädigter, restaurativ zu versorgender Zahnsubstanz. Die qualitative Differenzierung zwischen „ist noch nicht“ oder „ist restaurationsbedürftig“ liegt hier in einer Ja-/Nein-Entscheidung. Das Ziel ist die restaurative Versorgung der entdeckten Schäden. Die sog. halbjährliche Vorsorgeuntersuchung ist somit keine Vorsorge, sondern genau genommen eine Früherkennungsuntersuchung, bei der das regelmäßige Auftreten von Zahnschäden nicht nur toleriert, sondern als nahezu selbstverständlich vorausgesetzt und als Basis für das Festlegen des Untersuchungsintervalls herangezogen wird.

2. Ebene: Graduelle Befundung von bereits eingetretener Gewebeschädigungen (quantitativ)

Mittlerweile ist es jedoch möglich, nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ das Ausmaß der z. B. durch Karies (Erkrankung, die zu Löchern führt) verursachten Zahnschäden zu messen. Man kann Defekte schon in einem Stadium, in dem sie noch ausheilen können, rechtzeitig erkennen und Maßnahmen zur Regeneration einleiten. Somit kann eine Entfernung von Körpergewebe und dessen im Grunde unzulängliche und kostenintensive Restauration vermieden werden. Hierzu sind neben der visuellen Untersuchung weitere Untersuchungsmethoden sehr hilfreich. Da wären z. B. Röntgenbilder zum Messen der Defekttiefe in den Zahnzwischenräumen.

Reversibler, durch Karies verursachter Defekt

Eine weitere vielversprechende Untersuchungsmethode ist die Laserfluoreszenzmessung von durch Karies verursachten Defekten. Hierbei wird ein schwacher Laserstrahl in den Defekt geleitet und anhand des Reflexionsprofils des eingeleiteten Lichts kann nun sehr präzise die Defekttiefe gemessen werden. Lag die Trefferquote für die richtige Therapieentscheidung von Kauflächenkaries bei der rein visuellen Untersuchung bei 10 % (mit Lupenbrille bei 20 %), so liegt sie nun mithilfe dieses Verfahrens bei ca. 80 %. Ein weiteres zuverlässiges, präzises Verfahren ist die seitliche Durchleuchtung des Zahnes mit einem Laserlicht und das gleichzeitige optisch-digitale Aufzeichnen des so durchleuchteten Zahnes von der Kaufläche her. Hiermit ist nun ergänzend zur Röntgenbefundung das Messen Karies bedingter Defekte in den Zahnzwischenräumen auch ohne Strahlenbelastung möglich. Auch hiermit ist eine Unterscheidung zwischen reversiblen und irreversiblen durch Karies verursachten Defekten möglich. Aufgrund der hohen Reproduzierbarkeit ist hiermit sogar die Entwicklung (Progression) der Defekte in beide Richtungen darstell- und vergleichbar.

Laserfluoressenzverfahren (2. Ebene)

3. Ebene: Befundung krankheitsverursachender Parameter

Möchte man jedoch nicht nur entscheiden, wann man irreversibel geschädigtes Zahngewebe restaurativ ersetzen muss, sondern auch wieder „gesund“ werden, so ist es erforderlich, auch die Parameter zu erfassen, die die Krankheit verursachen. Dies sind z. B. bei Karies auf der einen Seite die „angreifenden“ Faktoren wie Kohlenhydrate und Plaquebakterien und auf der „abwehrenden“ Seite der Speichel und das Fluoridangebot. Über eine Befragung kann man die tägliche Kohlenhydrataufnahmefrequenz und das Auftragen von Fluorid auf die Zahnoberflächen ermitteln. Mittels Anfärbeverfahren ist es möglich, den Zahnbelag (Plaque) auf den Zähnen deutlicher sichtbar zu machen und nun zu messen. Auch ist es möglich, das Speichelangebot zu bestimmen. Diese Daten können in ein Modell übertragen werden, mit dem man die Kariesaktivität nun genauer einschätzen kann. Auf der Basis dieses Modells können nun therapeutische Empfehlungen zur Wiederherstellung des Mineralisationsgleichgewichts zwischen Speichel („flüssiger Zahn“) und Zahn gegeben werden, um noch reversible kariesbedingte Zahnschäden wieder ausheilen zu lassen, und somit einen immer auch schädigenden, restaurativen Eingriff zu vermeiden. Erfolgt die Befunddokumentation z. B. der Plaque zahnflächenbezogen, kann neben der Empfehlung, pauschal die Zahnpflege zu verbessern, auch gezielt angegeben werden, in welchen Bereichen dies erforderlich ist.

Plaqueverteilungsmuster und Plaquemenge

4. Ebene: Befundung krankheitsbegünstigender Parameter (Risikofaktoren, die nicht direkt die Krankheit verursachen)

Nun gibt es auch Faktoren, die nicht direkt am Krankheitsgeschehen beteiligt sind, aber das Vermeiden der Erkrankung erschweren. Hierbei handelt es sich um Risikofaktoren. Bei Karies sind dies z. B. Zahnstein, Zahnfehlstellungen oder überstehende Restaurationsränder. An all diesen Stellen ist die Entfernung der Plaque erschwert und somit das Risiko, an diesen Stellen einen durch Plaquebakterien verursachten kariesbedingten Schaden zu erleiden, erhöht. Die Kenntnis über diese Faktoren und – wenn möglich – deren Beseitigung helfen somit, das Erkrankungsrisiko besser einschätzen oder sogar reduzieren zu können.

Zahnhartsubstanzverlust / Gewinn über die Zeit

5. Ebene: Auswertung des Progressionsverlaufes der erhobenen Befunde über die Zeit

Da es sich bei allen Erkrankungen um Prozesse (Balancestörungen) handelt, die sich über einen gewissen Zeitraum erstrecken, ist die Befundverlaufsdokumentation wesentlich aussagekräftiger als nur eine Momentaufnahme während einer Untersuchung. Quantitativ reproduzierbare Befunderhebungen bieten hier einen großen Vorteil gegenüber rein qualitativen Befundenentscheidungen. Die Laserfluoreszensmessung und auch die seitliche Durchleuchtung der Zähne mit Laserlicht und deren Aufnahmen ermöglichen hier eine wesentlich präzisere Einschätzung der Kariesaktivität. Genauso können Verlaufs­aufzeichnungen der krankheitsverursachenden Parameter wie z. B. der Plaquebefund frühzeitig auf Verschiebungen des Mineralisationsgleichgewichtes hinweisen, welche ein rechtzeitiges Gegensteuern ermöglichen, um einen Irreversiblen Schaden und dessen aufwendige Restauration zu vermeiden.

Ausblick: Diagnose-Assistenzsysteme

Mithilfe all dieser Verfahren und Dokumentationsmöglichkeiten sind nun die Voraussetzungen geschaffen, um in Zukunft Diagnose-Assistenzsysteme zu entwickeln, die es ermöglichen, Erkrankungen schon in einem Stadium zu erkennen, in dem es noch zu keinem irreversiblen Schaden gekommen ist und somit eine Heilung (Vermeidung restaurativer Maßnahmen) möglich ist.

Fotos: Ohnhäuser, Kavo

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