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Immobilien für Senioren anders denken

Von Dipl.-Ing. Nicolai Richter, Braunschweig

Was macht den Erfolg eines Immobilienprojektes für Senioren aus? Wir Architekten betrachten diese Frage oft aus der Sicht der Gebäudeplanung. Damit ist natürlich nicht nur die Gestaltung gemeint, sondern auch Barrierefreiheit, kurze Wege, Belichtung und vieles mehr. Für den Erfolg eines Projektes sind natürlich noch ganz andere Faktoren entscheidend. Ich möchte hier keine Patentrezepte propagieren, sondern Ihnen einige Anregungen geben, indem ich ein erfolgreiches Projekt vorstelle, mit dem neue Wege beschritten wurden.

Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten 200 Jahren grundlegend gewandelt, und tut dies immer noch. Für einige Lebenslagen gibt es noch kein Modell, mit dem wir wirklich glücklich sind. Die richtige Wohnform für den Lebensabend ist solch ein Bereich. Viele Menschen suchen hier noch nach Alternativen.

Der Verein Ambet e. V. aus Braunschweig bietet nun mit dem Achilleshof eine solche Alternative.

Es sind viele schöne Ideen in die Entwicklung des Projektes eingeflossen und oftmals wurde die Frage gestellt: „Was ist das Wichtigste am Achilleshof?“ Zumeist lautete zunächst die Antwort mit einer alten Immobilienweisheit: „Die Lage!“

Das Grundstück eines ehemaligen Bauernhofes liegt in der historischen Ortsmitte von Watenbüttel, einem Dorf, das inzwischen zu der Stadt Braunschweig gehört – nah bei der Stadt und doch ländlich. Der tägliche Bedarf kann im Supermarkt auf der anderen Straßenseite oder im Hofladen nebenan bedient werden, die Bushaltestelle mit guter Verbindung in die Innenstadt ist vor dem Haus und vieles mehr gleich in der Nähe. Direkt hinter dem Haus blickt man auf Felder und die Okeraue.

Daher ist die Lage des Achilleshofes sicherlich ein Glücksfall: im Dorf und trotzdem gleich in der Stadt. Sicherlich muss eine Seniorenwohnanlage nicht im Stadtzentrum liegen, doch die Standortwahl darf nicht wie eine Abschiebung wirken. Denn dort, wo niemand hin will, wollen auch keine Senioren hin. Hierzu haben wir als Architekturbüro, das seit einem Vierteljahrhundert Seniorenheime baut, schon die interessantesten Ansichten erleben müssen. Vor Kurzem argumentierte ein Bezirksbürgermeister in Braunschweig: „Ein Altenheim ist ein Gewerbebetrieb und hat bei uns im Wohngebiet nichts verloren.“

Doch bei der Planung des Achilleshofes haben wir uns nicht allein auf die vorgefundene Lage verlassen. Zusammen mit dem Bauherrn haben wir bei der Planung verschiedene weitere Nutzungen für das Projekt untersucht, die dann in dem Gebäudekomplex untergebracht wurden. So haben wir das Umfeld der Wohnungen durch diese zusätzlichen Nutzungen mit weiteren Qualitäten ausgestattet.

Ein Kiosk, den es schon früher an der gleichen Stelle gab, ist im neuen Gebäude wiedererstanden. Neben Toto-Lotto und dem üblichen Angebot wird hier freitags Bratwurst angeboten und von Zeit zu Zeit gibt es Kaffee und Kuchen oder Waffelbacken. Auf wenig Fläche ist hier ein Dreh- und Angelpunkt für Kommunikation entstanden.

Außerdem gibt es noch eine Physiotherapiepraxis, eine Kindertagesstätte und eine Begegnungsstätte mit Gruppenraum und großem Saal, in welchem der Verein auch einen Mittagstisch anbietet. All das ist nicht allein ein Angebot an die Bewohner, sondern an das ganze Dorf.

Diese Zusatzangebote, die über das barrierefreie Wohnen hinausgehen, sind nicht nur als direktes Angebot für die Bewohner des Achilleshofes wichtig. So wird z. B. der Kindergarten von den Bewohnern sicherlich nicht genutzt. Für viele Menschen ist es aber wichtig, „Leben“ um sich zu haben, auch wenn sie nicht mehr so beweglich sind und die eigenen vier Wände seltener verlassen können. Genau das wird hier geboten.

Die Vernetzung mit dem Dorf funktioniert in Teilen schon tadellos: Die Kita und der Kiosk wurden sofort angenommen, auch die mögliche Nutzung der Begegnungsstätte spricht sich immer weiter herum. Bei manchen Angeboten sind die Dorfbewohner noch ein wenig scheu, so gibt es nur wenige, die sich von außen zum Mittagstisch trauen. Doch wer sich einmal überwunden hat, gehört auch ganz schnell dazu. Der öffentliche Bücherschrank zum Tauschen von Büchern im zum Dorf hin offenen Hof wird sehr gut angenommen und hilft dabei, die Schwelle des ersten Kontaktes zu überwinden.

Ein Glücksfall ist der Adventsmarkt, der traditionell auf dem Achilleshof stattfindet. Diese Tradition, die viel älter ist als die neuen Gebäude, konnte trotz der Umnutzung des Hofes bestehen bleiben, da die neue Architektur die historische Form des Dreiseithofes aufgenommen hat. Die Dorfbewohner sind froh, dass ihr Adventsmarkt weiterhin besteht, und die internen Bewohner müssen kaum vor die Tür gehen, um dabei sein zu können. Für Menschen mit eingeschränkter Mobilität bietet sich dadurch eine Möglichkeit, die sie sonst nicht hätten.

Der Erfolg des Projekts hängt viel mit der Aktivität des Betreibers zusammen. Dabei ist es wichtig, für Möglichkeiten, die sich aus der Situation heraus ergeben, offen zu sein. Doch nicht alle Ideen sind erfolgreich. Ein Beispiel hierfür ist der Garten, der auch dazu gedacht war, dass jeder, der möchte, mitwirken kann, ohne sich dabei zu viel anstrengen zu müssen. Die Bewohner des Achilleshofes scheinen jedoch nicht unter Langeweile zu leiden. Die allgemeine Resonanz auf dieses Angebot ist, dass alle glücklich sind, einen Garten zu haben, um den sie sich nicht mehr kümmern müssen. So kann man sich in den Wünschen von Senioren irren.

Wichtig ist auch der Grundbetreuungsservice, den der Verein anbietet. In den eigenen Büroräumen vor Ort sind Mitarbeiter immer ansprechbar. Dieser Service wird gut angenommen – fast zu gut. So kann es schon einmal anstrengend für die Mitarbeiter werden, aber sie sagen „man wird geliebt“, dafür lohnt sich der Aufwand.

Für die Atmosphäre des Achilleshofes ist nicht nur dieses „Umsorgen“, sondern auch die überschaubare Größe wichtig. Es gibt eine Wohn-Pflege-Gemeinschaft für 9 Menschen mit erhöhtem Assistenz- und Pflegebedarf und 33 „normale“ Wohnungen für Einzelpersonen und Paare. Die Wohnungen werden über Laubengänge erschlossen, die sich um den von drei Seiten eingefassten Garten gruppieren und ein Umfeld schaffen, in dem leicht Kontakte geknüpft werden können. Diese offene Architektur hat auch einen weiteren Vorteil: Hier riecht es immer frisch.

Fazit

Alles in allem ist der Achilleshof ein gelungener Versuch, eine neue Wohnform zu verwirklichen, ohne sich dabei zu weit von den bekannten Mustern zu entfernen. Dass in diesem Fall der Betreiber auch gleichzeitig der Investor ist, hat dieses Projekt vielleicht erst möglich gemacht. Wenn diese Kombination nicht vorhanden ist, muss ein Betreiber, der mutig genug ist, neue Wege einzuschlagen, auch noch einen Investor finden, der all die neuen Ideen mitträgt. Es kostet Zeit und Geld, unbekannte Wege zu gehen, doch langfristig rentiert sich ein lebendiges und damit erfolgreiches Projekt.

Bild: Ahola Architekten

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