Artikel erschienen am 30.09.2016
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Die Besonderheiten der Hand

Was die Handchirurgie zu einem eigenen Gebiet macht

Von Dr. med. Niels Benatar, Braunschweig

Die menschliche Hand ist wunderbar. Sie ist einzigartig und unersetzlich. Das ungestörte Zusammenspiel ihrer vielen anatomischen Strukturen der Hand ist kompliziert und keinesfalls selbstverständlich. Funktionsausfälle oder Funktionsdefizite können als angeborene Handfehlbildungen bereits bei der Geburt auffallen. Oder sie können als erworbene Erkrankungen der Hand erst später im Leben auftreten und auffallen.

Auf engstem Raum befinden sich die verschiedensten Gewebe:

  • kleinere Handwurzelknochen sowie längere und kürzere Röhrenknochen, die durch relativ kleine, aber erstaunlich komplizierte Gelenke miteinander verbunden sind;
  • schlanke, aber kräftige Streck- und Beugesehnen, die nicht nur das Handgelenk und alle Gelenke des Daumens und der Finger stabilisieren, sondern jedes dieser Gelenke sicher führen und bewegen;
  • kräftige und kompakte sog. Handbinnenmuskeln am Daumenballen und Kleinfingerballen sowie schlanke spindelförmige Handbinnenmuskeln in der Hohlhand, die die Feinabstimmung zwischen Beuge- und Strecksehnen kontrollieren;
  • die vielen Blutgefäße und Nerven der Hand, die das „Begreifen“ erst ermöglichen;
  • und schließlich die alles schützende fettunterpolsterte Haut mit ihren Anhangsgeweben, bestehend aus Fingernägeln und Haaren.

Die Wertigkeit der Hand

Die herausragende funktionelle Wertigkeit unserer Hände spiegelt sich an unserer Hirnrinde wider, wo die Funktionen ganz genau definierter Körper­regionen von genau definierten Hirn­rinden­ab­schnitten vertreten werden. Wir sprechen von einer „corticalen Repräsentation“, die durch sog. Körper­teil­figuren zeichnerisch veran­schaulicht werden kann. Die eigenartigen Propor­tionen der Körper­teil­figuren zeigen eindeutig, wie wichtig und wie wertvoll unsere Hände wirklich sind.

Zur Geschichte der Handchirurgie

Mit der Einführung der Asepsis und der Anästhesie im 19. Jahrhundert wurden Operationen endlich unter sterilen Bedingungen und schmerzfrei möglich. Mit der Einführung der pneumatischen Blutleere, ebenfalls im 19. Jahrhundert, konnten selbst anspruchsvolle Operationen an den Extremitäten nunmehr blutleer, übersichtlich und schonend durchgeführt werden. Unter diesen Bedingungen entwickelte sich die Chirurgie rasant und explosionsartig, auch im Sinne einer zunehmenden Spezialisierung.

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts waren vor allem in Amerika die ersten unverwechselbaren Konturen unseres Spezialgebietes zu erahnen. Regelmäßig und immer häufiger erschienen Veröffentlichungen zum Thema „Infektionen der Hand“ und „Sehnenchirurgie der oberen Extremität“. Die Geschichte der Fortschritte auf diesen beiden Gebieten wurde zur Geschichte der Handchirurgie.

Der Begründer und Vater der Handchirurgie lebte in San Francisco und hieß Sterling Bunnell (1882–1957). Bunnell betrachtete die Handchirurgie als eine spezialisierte Chirurgie aller Gewebe der oberen Extremität. Deshalb verlangte er von einem Handchirurgen die Beherrschung von plastisch-chirurgischen, orthopädischen und neurochirurgischen Operationstechniken. Für Bunnell begann die Hand mechanisch am Ellenbogengelenk, aber dynamisch an der gegenüberliegenden Hirnhälfte. 1944 erschien sein Buch „Surgery of the Hand“, das zum offiziellen Lehrbuch der U. S. Army wurde, weltweite Anerkennung fand und wie mit einem Paukenschlag ein neues Fachgebiet ins Leben rief – die Handchirurgie.

Die Besonderheiten der Handchirurgie

Da sich die Handchirurgie als eine spezialisierte Chirurgie aller Gewebe der oberen Extremität versteht, müssen Handchirurgen plastisch-chirurgische, orthopädische und neurochirurgische Operationstechniken beherrschen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die handchirurgische Ausbildung sehr lange dauert. Nach der derzeit gültigen Fassung der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen darf man die Zusatzbezeichnung „Handchirurgie“ nur dann führen, wenn man nach einer abgeschlossenen 6-jährigen Ausbildung zum Chirurgen, plastischen Chirurgen oder Orthopäden eine zusätzliche 3-jährige ganztägige Weiterbildung in der Handchirurgie nachweist, einen detaillierten Operationskatalog vorlegt und eine mündliche Prüfung besteht.

Besonders typisch für die Handchirurgie ist die „atraumatische Technik“. Dieser Begriff wurde bereits 1918 von Sterling Bunnell geprägt und meint eine besonders feinfühlige, gewebeschonende Operationstechnik. Sie verlangt vor allem überdurchschnittlich gute Anatomiekenntnisse, die Verwendung einer pneumatischen Oberarmblutleere, die Verwendung einer Lupenbrille, die Verwendung von feinen handchirurgischen Instrumenten sowie von feinstem Nahtmaterial, die gleichmäßige Befeuchtung des Operationsgebietes sowie die gewissenhafte Blutstillung und Wunddrainage.

Der Erfolg einer handchirurgischen Operation hängt aber auch von der aufwendigen konsequenten postoperativen Betreuung und Nachbehandlung des Patienten ab.

Foto: Klaus G. Kohn

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