Artikel erschienen am 16.06.2016
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Angststörungen

Von Christiane Stein, Königslutter am Elm

Angst ist ein Gefühl, das jeder kennt. Die „normale Angst“ oder Realangst hat evolutionsge-schichtlich eine grundlegende Warn- oder Alarmfunktion und soll uns vor Gefahren schützen. Sie geht mit einer natürlichen Reaktion des Körpers einher, die uns befähigen soll, schnell zu reagieren und Gefahrensituationen zu entkommen. Bei der Entstehung von Angst spielen bestimmte Hirnregionen eine wesentliche Rolle: Die Mandelkerne (Amygdalae) werden bei Gefahr innerhalb von wenigen Millisekunden aktiviert und setzen automatisch viele Körperfunktionen in Gang, um uns z. B. auf eine Flucht vorzubereiten. Der Botenstoff Adrenalin und weitere Stresshormone führen zu den bekannten körperlichen Begleiterscheinungen der Angst (Schweißausbrüche, Beschleunigung des Herzschlages und des Blutdrucks sowie Anspannung der Muskulatur). Das Stirnhirn (präfrontaler Kortex) dagegen soll das Alarmsystem der Mandelkerne kontrollieren und dieses bei nicht mehr gegebener Gefahr herunterfahren.

Von Angststörungen sprechen wir immer dann, wenn übersteigertes Angsterleben ohne tatsächlich vorhandene Gefahr oder Bedrohung auftritt. Es schränkt unser Denken und Handeln ein und kann zu einer erheblichen Beeinträchtigung unserer Lebensqualität führen. Bei Angststörungen geraten im Gehirn bestimmte Regelkreise außer Takt: Einerseits ist das Alarmsystem der Mandelkerne übererregbar, andererseits bestehen Störungen im Bereich des entwarnenden Kontrollsystems im Stirnhirn.

Angststörungen gehören in ihrer Gesamtheit zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Die Wahrscheinlichkeit, irgendwann einmal in seinem Leben daran zu erkranken, beträgt weltweit etwa 15-20 %. Bezüglich des Chronifizierungsrisikos stehen die Angststörung weltweit an 6. Stelle aller relevanten chronischen Erkrankungen. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Oft gehen Angststörungen mit anderen psychischen Erkrankungen einher. Das Risiko, gleichzeitig an einer Depression zu leiden, beträgt 50 %.

Die Ursachenforschung geht wie bei vielen anderen psychischen Erkrankungen von einem multifak­toriellen Bedingungsgefüge aus. Hierbei spielen genetische, neurobiologische und psychosoziale Faktoren eine Rolle. Zwillingsstudien zufolge fanden sich z. B. Panikstörungen bei eineiigen Zwillingen 2- bis 3-mal häufiger auf als bei zweieiigen Zwillingen. Zu den neurobiologischen Faktoren zählen die bereits erwähnten Fehlfunktionen in den Mandelkernen und im präfrontalen Kortex. Psychosoziale Einflüsse sind u. a. schwere Trennungserfahrungen, Tod eines Angehörigen, traumatische Ereignisse, früherer Umgang von Bezugspersonen mit Ängsten (ängstlich-überbehütender Erziehungsstil), fehlende Unterstützung, Unzufriedenheit, aber auch Stressbelastung, z. B. am Arbeitsplatz.

Zur Diagnostik gehört eine sorgfältige Befunderhebung und Untersuchung. Hierbei müssen zunächst körperliche Ursachen der Beschwerden ausgeschlossen werden. Dazu zählen vor allem neben Erkrankungen der Schilddrüse schwere Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, Herz- und Lungenerkrankungen und neurologische Krankheitsbilder. Weiterhin müssen Abgrenzungen zu anderen psychischen Erkrankungen vorgenommen werden.

Unterschiedliche Arten von Angststörungen

Man unterscheidet klinisch verschiedene Formen von Angststörungen. Hierzu gehören:

  • Generalisierte Angststörung: Diese beginnt oft schleichend und geht häufig mit lang anhaltenden Belastungen einher. Es besteht ein ständiges Erleben von übertriebenen und wechselnden Sorgen hinsichtlich alltäglicher Ereignisse (Beispiel: Angehörigen könnte ein Unglück zustoßen). Es kommt zu einem typischen Sorgenverhalten durch wiederholte Anrufe zur Rückversicherung bei der Familie oder zum Vermeiden von Nachrichtensendungen. Neben dem erhöhten Angsterleben sind die Betroffenen schreckhaft, ruhelos, übertrieben wachsam und unfähig, sich zu entspannen. Körperliche Symptome wie Herzrasen, Schweißausbrüche, Schwindel, Magenbeschwerden oder Muskelverspannungen können begleitend auftreten.
  • Panikstörung oder Panikattacken: Hier tritt das Angsterleben anfallsartig auf. Es kommt plötzlich und unerwartet, ist nicht an spezifische Situationen gebunden und geht mit akuten, sehr intensiven Angstgefühlen, die Minuten bis Stunden anhalten können, einher. Extreme körperliche Begleitsymptome wie Herzklopfen, Herzrasen, Beklemmungsgefühle, Atemnot, Schwitzen und Schwindel werden als äußerst quälend und bedrohlich erlebt. Sie führen nicht selten unter der Vorstellung, sterben zu müssen, zur Notaufnahme in eine Klinik. Die Betroffenen entwickeln häufig eine „Angst vor der Angst“ und vermeiden nachfolgend jegliche angstauslösenden Situationen. Eine Panikstörung kann in Kombination mit einer Agoraphobie (griechisch: agora = Marktplatz, phobie = Angst) einhergehen. Bei dieser Störung besteht Angst nicht nur vor großen Plätzen, sondern eher vor Situationen, aus denen ein Entkommen unmöglich scheint (z. B. öffentliche Verkehrsmittel, Supermarkt, große Menschenansammlungen). Aus Angst vor Kontrollverlust werden diese Situationen dann zunehmend vermieden.
  • Soziale Phobie: Die Betroffenen erleiden dauerhaft Angst in sozialen Situationen, in denen sie sich dem vermeintlich prüfenden Blick anderer ausgesetzt fühlen. Sie befürchten, sich peinlich zu verhalten oder sich lächerlich zu machen. Dabei spielen Schamgefühle eine bedeutende Rolle. Angst auslösende Umstände wie Sprechen oder Essen in der Öffentlichkeit werden vermieden. Auch hier treten typische Begleiterscheinungen wie Zittern, erhöhter Harndrang, Errötungsangst und im Extremfall Panikattacken auf. Menschen mit einer sozialen Phobie leben häufig isoliert und fallen ihrer Umgebung dadurch wenig auf.
  • Spezifische Phobie: Die Angst bezieht sich in diesem Fall auf konkrete Situationen und Objekte und zeigt sich in Form einer Furcht vor Tieren (Spinnen, Schlangen), Unwetter, Blut, Spritzen oder vor Abgründen. Bei Konfrontation mit den angstbesetzten Objekten oder Situationen kommt es zu körperlichen und psychischen Angstsymptomen bis hin zu Panikattacken.

Von größter Bedeutung ist bereits zu Beginn der Therapie eine ausführliche Aufklärung über das Krankheitsbild. Hierbei soll ein individuelles Störungsverständnis unter Einbeziehung persönlicher Erfahrungen und der lebensgeschichtlichen Entwicklung vermittelt werden. Dabei ist es besonders wichtig, Betroffenen zu vermitteln, dass sie Angst auslösende Situationen in keiner Weise vermeiden sollen, weil hierdurch einer Chronifizierung des Leidens Vorschub geleistet werden kann. Angsterleben wird als Kettenreaktion oder Teufelskreis aus oftmals harmlosen Auslösern, körperlichen Reaktionen, die erneute Angst hervorrufen und sich mit immer schwereren Symptomen aufschaukeln, dargestellt. Das fatale Zusammenspiel zwischen der Angst, den Reaktionen des Körpers, den eigenen Gedanken und dem resultierenden Verhalten muss gut verstanden werden.

Mittel der Wahl bei der Behandlung von Angststörungen ist die kognitive Verhaltenstherapie. Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass in besonders schweren Fällen eine Kombination aus Psychotherapie und medikamentöser Behandlung am wirksamsten ist. Bei der kognitiven Verhaltenstherapie werden problematische Denkmuster (Kognitionen) und Verhaltensweisen, welche die Angstsymptomatik unterhalten und verstärken, durch das Einüben neuer Denkmuster und Verhaltensweisen ersetzt. Im Rahmen der sehr effektiven Expositionstherapie werden die Betroffenen mit steigendem Schwierigkeitsgrad genau den Situationen und Objekten ausgesetzt, die Angst auslösen und die bislang vermieden wurden. Der Therapeut unterstützt das Verbleiben in der Situation, um die Erfahrung zu ermöglichen, dass das Angsterleben und die körperlichen Begleitreaktionen von alleine nachlassen und die schlimmsten Befürchtungen nicht eintreten. So können im Rahmen dieses Trainings die Angst machenden Situationen neu bewertet werden und müssen langfristig nicht mehr vermieden werden. Begleitend werden Entspannungsverfahren angeleitet (wie z. B. die progressive Muskelentspannung nach Jacobson) und sportliche Aktivitäten empfohlen.

Ist eine zusätzliche medikamentöse Behandlung erforderlich, sind Antidepressiva der neueren Generation Mittel der ersten Wahl. Gegebenenfalls sind Kombinationen mit weiteren Psychopharmaka sinnvoll. Wichtig ist es, die Patienten über mögliche Nebenwirkungen zu Beginn der Einnahme und über einen verspäteten Wirkungseintritt (14 Tagen bis 4 Wochen) aufzuklären. Wichtig ist auch der Hinweis, dass diese Medikamente nicht schädigen, keine Abhängigkeit auslösen und auch nicht die Persönlichkeit verändern. Auf keinen Fall dürfen jedoch Angststörungen ausschließlich medikamentös mit reinen Beruhigungsmitteln vom „Valium- oder Diazepam-Typ“ behandelt werden. Neben dem Risiko einer raschen Suchtentwicklung besteht hier die Gefahr, dass die Symptomatik künstlich verdeckt wird und einer Psychotherapie nicht mehr zugänglich ist.

Fazit

Insgesamt können Angststörungen nach heutigem Wissensstand gut und erfolgreich behandelt werden. Betroffene sollten sich deshalb nicht scheuen, frühzeitig fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Foto: Fotolia/Fovito

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