Artikel erschienen am 20.05.2014
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Wir brauchen Hebammen für einen guten Start

Von Stefanie Müller, Braunschweig

Wie wird es sein, wenn es ab Mitte 2015 keine freiberuflichen Hebammen mehr gibt? Diese Frage stellen sich immer mehr Familien in den letzten Monaten. Wo gehen wir hin, wenn wir Stillprobleme haben, wer kommt nach der Geburt zu uns nach Hause, um unser Baby zu wiegen, den Nabel anzuschauen, die Rückbildung, die Nahtheilung zu beobachten, zu unterstützen, Rat zu geben bei all den Fragen und einfach nur zuzuhören, wie mühsam die Nächte sind? Wer bereitet die Familien und Frauen auf all das vor, wenn es keine Geburtsvorbereitungskurse mehr gibt? Wer macht Hausbesuche bei der Frau, die mit vorzeitigen Wehen über Wochen voller Sorge und Angst zu Hause liegen muss? Was wird aus den Kliniken, in denen freiberufliche Beleghebammen arbeiten? Wohin und wie weit werden diese Frauen fahren müssen, wie können die großen Kliniken dann plötzlich noch mehr auffangen? Es fehlt dort dann nicht nur an Personal, auch mehr Räumlichkeiten müssten geschaffen werden.

In Bayern werden rund 80 % der Geburten von Beleghebammen begleitet. Es wird keine Familienhebammen geben, die mit den Jugendämtern kooperieren und Langzeitberatung für viele Kinder und Familien möglich machen. Keine Wahlmöglichkeit für außerklinische Geburtshilfe, keine Hausgeburten und keine Geburtshäuser. Kinderärzte, Gynäkologen, Kinderkliniken und Kreißsäle mit angestellten Hebammen wären flutartig überlaufen. Die Folgekosten für die Krankenkassen würden steigen, denn der durchschnittliche Stundenlohn einer Hebamme beträgt nur 8,50 Euro.

Die Frauen, die zurzeit durchschnittlich 3 Tage nach der Geburt noch im Krankenhaus auf der Wochenstation verweilen – würde man sie so früh ohne weitere Nachsorge entlassen können? Man müsste es aus rein wirtschaftlichen Gründen tun, denn eine längere Liegedauer ist nicht rentabel für ein Klinikunternehmen.

Seit in den 1980er-Jahren immer mehr Hebammen freiberuflich tätig wurden, haben wir in Deutschland ein Netz für junge Familien aufgebaut, das vor allem präventiv wirkt. Für alle, die das erfahren haben, ist es unvorstellbar, wie es ohne Hebammen weitergehen soll. Keine Haftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen bedeutet, dass ein System zusammenstürzt, denn: Ohne Versicherung dürfen freiberufliche Hebammen nicht arbeiten. Die Haftpflichtprämien sind in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen. 2008 lag die Prämie noch bei 1 500 Euro, dieses Jahr werden es 5 000 Euro sein! Gründe sind keineswegs steigende Schadensfälle, sondern die gerichtlich immer höher entschiedenen Folgekosten für Opfer von Geburtsschäden. Hier wurden in den letzten Jahren nicht mehr nur professionelle Pflege, Hilfsmittel und Schmerzensgeld, sondern auch der Verdienstausfall eines Menschenlebens mit eingerechnet.

Wir leben in einer freien Marktwirtschaft und für die Versicherungen lohnt es sich schlicht und ergreifend nicht, bei diesen hohen Haftpflichtsummen ein paar Hebammen zu versichern. Wir leben aber auch in einer Gesellschaft, in der kranke und behinderte Menschen über den Staat von uns aufgefangen werden. Werden wir also bald in eine Gesellschaft geboren, in der uns keine Hebammen mehr auffangen? Wir wären nicht das erste Land dieser Welt, das seine Hebammen abgeschafft hätte! Wie man jedoch weiß, sind Dinge, die wir gesellschaftlich verlieren, schwer wieder zurückzugewinnen. Die Folgen wären wie z. B. in Brasilien u. a. Kaiserschnittraten bis zu 80 %. Wer stillt da noch sein Kind? Enorme Folgekosten im gesamten Gesundheitssystem wären die Konsequenz.

In Deutschland gibt es ein Gesetz, das die Anwesenheit einer Hebamme bei einer Geburt verpflichtend macht. Das bedeutet, dass keine Geburt ohne Hebamme durchgeführt werden darf. Was machen wir, wenn Hebammen nicht mehr arbeiten dürfen? Noch haben Politiker und Regierung hierfür keine Lösung.

Fotos: Manuela Karin Knaut

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