Artikel erschienen am 19.05.2014
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Einen Bruch gehoben?

Beim Leistenbruch muss immer operiert werden

Von Prof. Dr. med. Heinrich Keck, Wolfenbüttel

Der Leistenbruch ist meist Männersache. Auf neun operierte Männer kommt nur eine Frau. „Der hat sich einen Bruch gehoben“, sagt der Volksmund. Dabei gibt es noch banalere Auslöser als das Heben schwerer Lasten, in denen ein Leistenbruch sichtbar (Abb. 1) und fühlbar wird. Manchen erwischt es bei allzu heftigem Pressen auf der Toilette, andere beim Sport –oder sogar als Folge kräftigen Niesens oder Hustens.

Ein Leistenbruch heilt niemals von allein. Er muss in jedem Fall operiert werden. Alternative Heilungsverfahren gibt es hier nicht. Die Operation des Leistenbruchs ist heute der häufigste chirurgische Eingriff. Jedes Jahr werden in Deutschland mehr als 200 000 neue Brüche diagnostiziert.

Abb. 1: Leistenbruch rechts mit deutlicher Vorwölbung

Wer zu lange wartet, hat ein „wachsendes“ Problem und lebt unter Umständen gefährlich: Der Bruch vergrößert sich ständig, mehr Darm tritt aus, das Risiko der Einklemmung steigt. Wird eine ausgetretene Darmschlinge schließlich durch Verdrehung oder Abknickung in ihrer Durchblutung unterbrochen, besteht sogar Lebensgefahr.

Abb.2: Bruchlücken von innen gesehen

Dass Patienten vielfach zögern, liegt an der Angst vor Narkose und Operation. Diese ist aber unbegründet, denn die damit verbundenen Risiken konnten in den letzten Jahren durch verbesserte medizinische Verfahren in Narkoseführung und Chirurgie auf ein Minimum gesenkt werden.

Meist Männersache

Dass bei Männern ein Leistenbruch deutlich häufiger auftritt als bei Frauen, hat anatomische Gründe. Zwischen den Bauchmuskeln und dem knöchernen Schambein ist im Gebiet der Leiste eine muskelfreie Sehnenplatte wie ein Halteband gespannt – das Leistenband. Anders als bei Frauen verlaufen beim Mann durch diese Sehnenplatte die Blutgefäße, die die Hoden mit Blut versorgen, und die Samenleiter. Damit ist die an sich straffe und dichte Haltevorrichtung durch den Gefäßdurchtritt schon von Natur aus die Schwachstelle und deshalb anfällig für die Bruchentstehung (Abb. 2). Bei Anstrengung setzt die Bauchpresse ein. Im Bauchraum entsteht ein erhöhter Druck. Dieser sucht sich einen „Ausweg“ und drückt dort, wo die schwächste Stelle ist, das Bauchfell als Bruchsack und den Darm als Bruchsackinhalt nach außen. Das können neben dem Darm Fettgewebe oder Blasenwandanteile sein.

Die meisten Betroffenen spüren diesen frühen Bruch als ein komisches Gefühl in der Gegend. Irgendetwas ist dort nicht in Ordnung. Auffällig wird der Leistenbruch häufig erst dann, wenn er durch eine kleine Ausstülpung als Beule in der Leiste sichtbar wird.

Der Ernstfall

Spätestens, wenn die Darmschlinge, die in den Bruchsack gewandert ist, dort abgeklemmt und von der Blutversorgung abgeschnitten ist, droht ein Absterben des Gewebes. Die Folge ist eine Bauchfellentzündung mit Blutvergiftung. Das bedeutet Lebensgefahr! Der mit der Einklemmung verbundene Schmerz ist meist derart heftig, dass ein Besuch beim Arzt unumgänglich wird. Kann dieser den Bruch nicht zurückdrücken, muss umgehend eine Notoperation stattfinden. Auch wenn nur der Verdacht besteht, dass ein Darm herausgetreten ist, sollte man sich untersuchen und bei positivem Befund operieren lassen.

Welche OP-Verfahren gibt es?

Drei Operationsverfahren sind heute üblich:

Nach Bassini oder Shouldice
Bei dieser Methode wird die Bruchpforte durch „Zusammennähen“ verschlossen. Das kann der Operateur mit einer Naht durch alle Schichten des Leistenbodens tun (Bassini-Methode – sie wurde vor 115 Jahren von Edoardo Bassini in Italien entwickelt). Wird der Leistenboden in einzelnen Schichten nacheinander vernäht, ist es die „Operation nach Shouldice“, die in den 1980er-Jahren von Earl Shouldice in Kanada angewandt wurde. Gerade für Kinder und junge Menschen, bei Klein- und Erstbrüchen ist dieses Verfahren geeignet.

Nach Lichtenstein
Hier erfolgt die Verstärkung der Schwachstelle mit einem Netz von außen (Abb. 3). Das Netz ist als stabilisierende Verstärkung der Leiste aus gewebeverträglichem Polypropylen, einem Kunststoff, gewebt. Dieses Material wird auch in der Herz- und Gefäßchirurgie sowie als Nahtmaterial verwendet.

Abb. 3: Grobporiges, leichtes Netz

Durch einen Leistenschnitt wird das Netz über die betroffene Region (mit Aussparung des Samenstrangs) ausgebreitet und spannungsfrei rundherum fixiert. Die Methode wurde von Irving Lichtenstein Anfang der 1980er-Jahre in den USA entwickelt. Die Methode kann ambulant und auch in lokaler Betäubung erfolgen. Sie gilt als Standardtherapie bei alten Menschen mit schweren Begleiterkrankungen.

Die TAPP-Methode
TAPP = transabdominale präperitoneale Patchplastik. Die Verstärkung der Schwachstelle geschieht hier unter Vollnarkose von innen. Das Netz wird minimalinvasiv in den Körper eingebracht. Der Arzt führt drei Instrumente in den Bauchraum ein (Abb. 4): Die Kamera, mit der er den Eingriff über einen Monitor kontrolliert, sowie zwei weitere Instrumente, mit denen die Operation ausgeführt wird. Das in der Regel 10 x 15 cm große, zusammengerollte Netz wird an Ort und Stelle entfaltet (Abb. 5), vor der Bruchlücke platziert und mit selbstauflösenden Schraubtackern befestigt (Abb. 6). Der Patient hat postoperativ kaum Schmerzen, ist schnell wieder belastbar. Der Eingriff hinterlässt nur winzige Narben. Die Wundinfektionsrate ist sehr gering. Für Sportler ist es die Operation der Wahl.

Abb. 4: Zugänge bei der laparoskopischen Operation

Abb. 5: Abdeckung der Bruchlücke durch Netz

Abb. 6: Schraubtacker (4 mm) zur Befestigung des Netzes

Die beste Methode

Das minimalinvasiv eingebrachte Netz überzeugt und ist die Methode der Wahl. Es ist nach allen Qualitätsstudien derzeit die beste Methode, wenn sie von erfahrenen Operateuren ausgeführt wird. Das zeigt darüber hinaus das umfangreiche Hernienregister Herniamed des Deutschen Hernienzentrums, in das auch das Städtische Klinikum Wolfenbüttel seine jährlich ca. 250 Operationen einbringt.

Fotos: Städtisches Klinikum Wolfenbüttel gGmbH

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