Wenn der Muskel plötzlich schmerzt
Polymyalgia rheumatica
Von Dr. med. Gabriele Mahn, BraunschweigWelche Beschwerden lassen eine Polymyalgia rheumatica vermuten?
Die Erkrankung beginnt plötzlich innerhalb von wenigen Tagen mit einer tageszeitlichen Abhängigkeit der Krankheitszeichen. Die Muskelschmerzen (Myalgien) beginnen nachts, sind morgens am stärksten und bessern sich in der Regel gegen Abend, ohne jedoch komplett zu verschwinden. Charakteristisch sind quälende Schmerzen in den Schultern und im Nackenbereich sowie symmetrische Schmerzen und Schwäche der Oberschenkelmuskulatur. Manchmal sind die Beschwerden so stark, dass der Patient nur mit Hilfe aus dem Bett oder vom Stuhl aufstehen kann. Ein Anheben der Arme ist nur unter erheblichen Schmerzen möglich, so dass die einfachsten alltäglichen Handgriffe – wie z. B. Kämmen und Zähneputzen – deutlich eingeschränkt sind. Dabei besteht insgesamt ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl mit Appetitverlust, Gewichtsabnahme und leicht erhöhten Temperaturen zwischen 37,5 – 38,0° C. Zudem entwickelt sich eine depressive Grundstimmung.
Weitere Probleme
Neben der Entzündung der Muskulatur können bei einem Teil der Patienten zusätzlich andere Organe mitbeteiligt sein. Es kann zu plötzlichen Sehstörungen bis zur vollständigen irreversiblen Erblindung kommen. Ursächlich hierfür ist eine Entzündung der Schläfenarterien; diese sind dann sichtbar verdickt, der Puls abgeschwächt oder gar nicht vorhanden. Deshalb muss bei der körperlichen Untersuchung immer die Schläfenarterie getastet werden. Vorangehend sind in der Regel starke neu aufgetretene Kopfschmerzen mit Flimmern vor den Augen. Als Folge weiterer Gefäßbeteiligungen kann es sogar zu einem Schlaganfall kommen. Hinweis für eine Beteiligung großer Arterien kann ein unterschiedlicher Blutdruck an den Armen liefern. Ein Befall der Herzkranzarterien ist selten. Außerdem können Gelenkschwellungen u. a. auch der Finger auftreten. Im Ultraschall sind typische Flüssigkeitsansammlungen in den Schulter- und Hüftgelenken nachzuweisen.
Wie findet der Arzt heraus, ob eine Polymyalgia rheumatica vorliegt?
Für die Diagnose der Polymyalgia rheumatica war früher die Gewebeprobe der Schläfenarterie von entscheidender Bedeutung, heute nimmt der Ultraschall der Arterie (Farbduplex-Sonografie) einen immer größeren Stellenwert ein. Im Blut sind die Entzündungsmarker (vor allem die Blutsenkung) massiv erhöht, außerdem entwickelt sich unbehandelt rasch eine Blutarmut. Die Leberwerte können begleitend erhöht sein. Trotz der Muskelschmerzen sind die Muskelenzyme im Blut nicht krankhaft verändert.
Ultraschallbild einer normalen Schläfenarterie
Ultraschallbild einer normalen Schläfenarterie
Die Behandlung
Therapeutisch ist die Gabe von Cortison das A und O. Es wirkt sehr schnell, sodass die Patienten bereits nach wenigen Tagen ihre Beweglichkeit wieder erlangen.
Verlauf
Der Verlauf der Polymyalgia rheumatica ist unterschiedlich. In der Regel heilt sie unter der Cortisontherapie innerhalb von 1 bis 5 Jahren aus, längere Verläufe bzw. akute Schübe nach vollständiger Rückbildung der Erkrankung sind möglich. Gelegentlich kann nach mehreren Wochen die Polymyalgia rheumatica in eine chronische rheumatische Arthritis übergehen. Dabei lassen die Muskelbeschwerden nach, die Schwellungen und Schmerzen der Gelenke bleiben. Dann sind sogar Rheumabasismedikamente – wie z. B. Antimalariapräparate oder auch Methotrexat – für die Therapie notwendig.
Fazit
Bei neu auftretenden Schulter- und Hüftschmerzen mit allgemeinem Krankheitsgefühl muss an eine Polymyalgia rheumatica gedacht werden. Eine Mitbeteiligung der Schläfenarterie kann im schlimmsten Fall zu einer irreversiblen Erblindung führen. Ein Übergang der Erkrankung in eine rheumatische Arthritis ist möglich.
Fotos: panthermedia/Monkeybusiness Images, PD Dr. Wolfgang A. Schmidt (Berlin-Buch)