Artikel erschienen am 10.05.2013
E-Paper

Altersgerechte technische Assistenzsysteme

Ein Plus an Lebensqualität und spürbare Entlastung

Von Shanna Weiser, Wolfsburg

Unsere Gesellschaft wird insgesamt älter und jeder Einzelne wünscht sich neue Möglichkeiten zum Leben und komfortablen Wohnen in den eigenen vier Wänden – möglichst lange und weitgehend selbstbestimmt. Das barrierefreie Bauen bzw. Umbauen hat sich zum „intelligenten Wohnen“ weiterentwickelt. Neue Technologien eröffnen schon heute neue Möglichkeiten – hierzu gehört auch das Innovationsfeld Ambient Assisted Living (AAL). AAL bezeichnet ein selbstbestimmtes Leben mithilfe altersgerechter Assistenzsysteme. Dazu zählen Konzepte, Produkte und Dienstleistungen in der Wohnumgebung, die die Lebensqualität des Einzelnen in allen Lebensabschnitten erhöhen.

Wir werden weniger und wir werden älter. Die Gründe für die gravierende Verschiebung in der Altersstruktur sind vielfältig: der Rückgang der Geburtenrate, die stetig steigende Lebenserwartung und das Altern der heute stark besetzten mittleren Jahrgänge („Baby-Boomer-Generation“). Dieser Trend in der demografischen Entwicklung ist inzwischen allgemein bekannt und belegt.

Ebenso sind die Folgen mittlerweile am Arbeitsmarkt und in anderen Bereichen spürbar: Es fehlt an Fachpersonal in der Pflege, im Handwerk und im Dienstleistungs- und Servicebereich, auch das Unterstützungspotenzial der Kranken- und Pflegekassen nimmt ab.

Nach Angaben der Bertelsmann Stiftung fehlen 2030 allein in Niedersachsen mit der angenommenen Zunahme der Pflegebedürftigkeit von 45 % rd. 50 000 Pflegekräfte. Bezogen auf unsere Region, d. h. die Städte Braunschweig, Salzgitter, Wolfsburg und die Landkreise Gifhorn, Goslar, Helmstedt, Peine und Wolfenbüttel, werden laut Prognose rund 6 500 Vollzeitstellen in der Pflege unbesetzt bleiben. Gründe dafür sind der Anstieg der Pflegebedürftigkeit und das gleichzeitig rückläufige Arbeitskräfteangebot.

Wer so lange wie möglich in der gewohnten Umgebung bleiben will, ist auf einen Wohnraum angewiesen, der frei von Barrieren ist. Nach gegenwärtigen Schätzungen liegt der heutige Bestand an seniorengerechten Wohnungen bundesweit bei rund 400 000 bis 500 000 Wohnungen. Wenn die Zahl der altengerechten Wohnungen nur 20 % der Anzahl an Seniorenhaushalten im Jahr 2025 erreichen soll, so werden 2025 in Deutschland 2 Mio. entsprechende Wohnungen benötigt. Dies bedeutet, dass jährlich 100 000 zusätzliche seniorengerechte Wohnungen geschaffen werden müssen.

Die Versorgungsstrukturen – insbesondere im ländlichen Raum – sind heute an ihre Kapazitätsgrenzen gelangt. Zur Entspannung bzw. zur Sicherung der Lebensqualität können vor allem innovative Techniken, Produkte und Dienstleistungen, wie z. B. AAL, Telematik und webbasierte Dienste, beitragen. Diese sind heute keine Zukunftsmusik mehr. Der Markt bietet zahlreiche kleine und große „Lösungen“ für fast alle Bedarfe, ob in der Haushaltstechnik, der Wohnungseinrichtung oder im Pflegebereich. Dadurch werden nicht nur die Pflegebedürftigen, sondern auch die pflegenden Angehörigen und Pflegekräfte entlastet und die Lebensqualität jedes Einzelnen bleibt erhalten.

Ein Waschtisch, der sich vertikal und horizontal verschieben lässt

Die technischen Assistenzsysteme können nicht nur der gesundheitlichen Prävention dienen, sondern auch bei der Bewältigung von Krankheit und bei der Rehabilitation helfen. Sie verschaffen Komfort und unterstützen bei der Bewältigung des Alltags.

Dabei geht es um das barrierefreie Umbauen von Wohnungen und Häusern im Bestand genauso wie um die Integration von Sturzerkennungssensoren, intelligenten Notruf- und Sicherheitssystemen, Robotik in der häuslichen Umgebung und Einbeziehung dieser in die Versorgung. Auch manch lästige Routinearbeit im Tagesablauf erledigt eine Wohnung mit altersgerechten AAL-Systemen. Technische Steuerungssysteme wie z. B. ein Gardinenlift ermöglichen das Auf- und Abhängen von Gardinen ohne Leiter, ganz ohne fremde Hilfe mit einem reduzierten Sturzrisiko. Ein intelligenter Staubsauger macht die Wohnung sauber, selbst wenn der Besitzer nicht da ist.

Eine höhenverstellbare Gardinenstange

Bei einem Notfall wird automatisch der richtige Ansprechpartner informiert. Schnelle Reaktionszeiten und geringe Ausfälle sind gewährleistet. Fenster, Heizung und Beleuchtung werden bedarfsgerecht nach einem individuell definierten Plan oder tatsächlicher Anwesenheit gesteuert. Der Wasserschaden wird automatisch erkannt und das Wasser in der Wohnung abgestellt sowie der Besitzer informiert.

Flexibel montierbare Haltegriffe oder Schienensysteme für variabel einsetzbare Hilfsmittel im Bad ebenso wie Elektroleisten zum Einrasten von Steckdosen an jeder beliebigen Stelle sorgen für praktische und individuelle Lösungen sowie für mehr Sicherheit, Mobilität und Bewegungsfreiheit.

Arbeitsplatte und Küchenschränke lassen sich individuell anpassen.

All das ist heute schon möglich. Erleben können Interessenten eine intelligente Wohnumgebung, die mit generationengerechten Produkten und innovativen Techniken ausgestattet ist, in den sogenannten Modellwohnungen und Wohndemonstratoren, die sich auf die Assistenzsysteme spezialisiert haben. Demnächst werden auch Beratungsstellen für technische Assistenzsysteme errichtet bzw. die bestehenden Beratungsstellen wie z. B. Wohnberatungsstellen, Pflegeberatungsstellen etc. ihre Kompetenz für das Thema erweitern.

Ähnliche Artikel

Gesundheit

Innovationsnetzwerke in der Gesundheitswirtschaft

Braunschweig ist europaweit Spitze bei der Forschungsintensität, Wolfsburg zählt zu den wirtschaftlich dynamischsten Orten Deutschlands, beide Städte und die Region ringsherum sind Kraftzentrum der Automobilindustrie. Entwicklungsabteilungen in Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen tragen dazu bei.

Braunschweig 2014 | Kathrin Ebeling, Wolfsburg

Gesundheit

Amputiertenfußball

Von den Sportfreunden aus Braunschweig gefördert und weiterentwickelt

Nach einer Amputation können sich viele Menschen nicht mehr vorstellen, wieder sportlich aktiv zu werden. Doch es gibt zahlreiche Sportarten, die Menschen mit Amputationen selbst entwickelt und an ihre Bedürfnisse angepasst haben. Der Amputiertenfußball ist eine davon.

Braunschweig 2016/2017 | Tina Klose, Braunschweig