Artikel erschienen am 09.11.2020
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Urlaub – Risiko in Pandemiezeiten

Wenn die Zeit der Entspannung zum arbeitsrechtlichen Problem wird

Von Karl Geißler, Gütersloh

Der verständliche Wunsch nach Normalität und einem Tapetenwechsel auf der einen Seite, jedoch ebenso verständliche Erfordernisse des Infektionsschutzes und das Interesse nach einem geordneten Betriebsablauf auf der anderen Seite fordern weiterhin vorausschauende und verantwortungsbewusstes Handeln von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und deren Vertretungen.

Nach wie vor sehen die Corona-Einreiseverordnungen der Länder vor, dass Reisende aus Risikogebieten sich in eine 14-tägige Quarantäne begeben müssen, die, wenn seltene Ausnahmefälle nicht greifen, nur vermieden werden kann, wenn ein ärztliches Zeugnis auf Basis eines Coronatests vorgelegt wird, der in den letzten 48 Stunden vor der Einreise auch im Urlaubsland durchgeführt werden darf. Die Erkenntnis, dass Tests immer nur Momentaufnahmen bieten und Infektionen kurz vor der Abreise womöglich nicht erfasst werden, ist schon jetzt Anlass für einzelne Bundesländer, einen Wiederholungstest 5 Tage nach der Einreise zur Voraussetzung der Quarantäneverkürzung zu machen. Bundesregierung und Ministerpräsidenten haben sich Pressemeldungen zufolge darauf verständigt, dass dies künftig bundesweit gelten soll. Hinzu kommt: Die Karte der Risikogebiete wird zunehmend unübersichtlicher. Länder, ja einzelne Regionen, die zum Zeitpunkt des Urlaubsantritts als unbedenklich galten, können während der Urlaubszeit als Risikogebiete eingestuft werden. Arbeitgeber können kaum kalkulieren, ob ihre Belegschaft zum Zeitpunkt der geplanten Urlaubsrückkehr wie geplant zur Verfügung steht. Man mag dies betriebsorganisatorisch beim Urlaub Einzelner verschmerzen können. In Zeiten, in denen Urlaube von großen Teilen der Belegschaft pa­rallel angetreten werden, wie gerade in den Schulferien, droht die Gefahr, dass Arbeitsplanung zur Makulatur wird, Produktionsausfälle drohen und eilige Projekte auf ihre Erledigung warten müssen.

Die Kalkulation des betrieblichen Risikos setzt die Kenntnis der Urlaubsziele voraus. Der Arbeitgeber darf danach fragen. Daten- und Persönlichkeitsschutz gebieten aber, nicht nach konkreten Reisezielen, sondern abstrakt nach dem Aufenthalt in einem Risikogebiet zu fragen. Sinnvoll ist das nur, wenn solche Fragen vor Rückkehr in den Betrieb beantwortet werden, z. B. an „Corona-Checkpoints“, die nach Urlaubsrückkehr aufzusuchen sind – ähnlich wie bei Torkontrollen Fragen der Ordnung des Betriebes betroffen sind, also eine Abstimmung mit dem Betriebsrat notwendig sein dürfte. Auch Betriebsräte werden folglich ihrer Verantwortung gerecht werden müssen.

Lässt sich eine Quarantäne nicht vermeiden, sollte zumindest der Arbeitsausfall in Grenzen gehalten werden. In Produktionsbetrieben ist dies kaum möglich. Anders ist das, wenn Urlaubsrückkehrer während der Absonderung grundsätzlich im Homeoffice arbeiten könnten. Die Anordnung, am Ort der Absonderung – meist in häuslicher Umgebung – zu arbeiten, kann nach Auffassung einiger Gerichte aber nicht einseitig erfolgen und setzt das Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer voraus. Ob dies auch in Pandemie-Zeiten, in denen arbeitgeberseitiges Ermessen anderen Regeln folgt, gilt, ist ungeklärt. Den Aufwand einer Klärung werden bei der kurzen, meist nur 5 Tage dauernden Absonderungs- bzw. Ausfallzeit nur wenige auf sich nehmen. Dies gilt umso mehr, als der Arbeitgeber für den Arbeitsschutz im Homeoffice des Arbeitnehmers verantwortlich bleibt. Schon die notwendige Gefährdungsbeurteilung wird länger als die Zeit einer möglichen Quarantäne in Anspruch nehmen. Rein tatsächlich bleibt damit eher nur Raum für einvernehmliche Lösungen. Spannend bleibt dann die Frage nach Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats. Der Wechsel des Arbeitsortes in die häusliche Umgebung könnte sich trotz ihrer Kurzfristigkeit betriebsverfassungsrechtlich als Versetzung darstellen. Konflikte löst hier wohl die Praxis: Die kurze Dauer einer heimischen (Ausweich-)Tätigkeit während der Quarantäne führt meist dazu, dass betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten wegen vor einer Entscheidung eingetretenen Erledigung nicht zur Entscheidung gelangen.

Die individuelle Urlaubsplanung muss eine mögliche nach der Rückkehr eintretende Quarantäne mit einkalkulieren. Geschieht dies nicht, wird der Anspruch auf Vergütung riskiert. Schlimmer noch: Das Nichterscheinen am Arbeitsplatz kann schuldhaft die Hauptpflicht zur Arbeitsleistung verletzen. Die Folgen reichen vom Verlust des Entgeltanspruches bis hin zu Kündigungen und Ansprüchen auf Ersatz von durch Arbeitsausfälle entstandenen Schäden. Man wird dabei unterscheiden müssen, ob einzelne sich wissentlich in ein Risikogebiet begeben oder das Urlaubsziel erst während des Aufenthalts zum Risikogebiet erklärt wird. Zurecht setzt sich die Meinung durch, dass derjenige, der entgegen einer Reisewarnung in den Urlaub fährt, sich ein „Verschulden gegen sich selbst“ vorwerfen lassen muss, das im Falle einer Erkrankung Entgeltfortzahlungsansprüche und im Falle einer Quarantäne Lohnansprüche ausschließt. Der selbst auf den Seiten der DGB-Rechtschutz GmbH erfolgende Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundes­arbeitsgerichts, dass es im Zweifel nicht unbillig wäre, Entgeltfortzahlung zu verweigern, legt nahe, dass hier auch juristisch Einigkeit hergestellt werden kann. Was im Fall der Erkrankung gilt, gilt auch im Fall der Quarantäne. Wer das Verbot seiner Tätigkeit und eine Absonderung hätte vermeiden können, wird nicht erwarten können, dass er für diese Zeit bezahlt wird. Anders ist dies dann, wenn das Reiseziel erst während der Dauer des Urlaubs zum Risikogebiet erklärt wird. Der vielfache Hinweis darauf, dass in solchen Fällen das Zahlungen ausschließende „Verschulden gegen sich selbst“ nicht vorliegt, knüpft allerdings nur an die Anreise an, die man einem in gutem Glauben Urlaubenden wohl kaum wird vorwerfen können. Allerdings wird man darüber nachdenken müssen, was es für das Verschulden bedeutet, wenn in Kenntnis einer sich entwickelnden Risikolage ein Urlaub nicht abgebrochen wird. Hier legen die allerorts schwankenden Zahlen der Neuinfektionen allerdings nahe, das Vertrauen auf einen sicheren Aufenthalt solange zu schützen, wie nicht ausdrückliche Warnungen ausgesprochen werden.

Der Umgang mit Urlaub in Pandemiezeiten setzt Verantwortung voraus. Sich selbst und betroffenen Arbeitnehmern die möglichen Folgen im Vorhinein zu vergegenwärtigen hilft, dass alle Beteiligten sich ihrer Verantwortung bewusst werden, die notwendigen Vorkehrungen bei der Arbeitsplanung einerseits und der Reiseplanung andererseits treffen und arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen die Ausnahme bleiben. Auch die „zweite Urlaubswelle“ wird arbeitsrechtlich bewältigt werden können. Trotz immer deutlicher wahrnehmbarer, teils irrationaler Proteste gegen Infektionsschutzmaßnahmen wird die Zahl derer, die sich selbst und andere schützen, hoffentlich überwiegen. Auch für die Ausnahmefälle hält das Arbeitsrecht das notwendige Werkzeug bereit. Es bleibt zu hoffen, dass es nur selten zur Reparatur eingetretener Störungen eingesetzt werden muss.

Bild:Adobe Stock/Maridav

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