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Wie wir Mitarbeiter für den Wandel gewinnen

Von Sebastian Purps-Pardigol, Hannover

Digitalisierung bedeutet die Einführung neuer Technologien. Glauben viele. Doch das ist es nicht, worum es bei der digitalen Transformation geht. Der technologische und der kulturelle Wandel müssen zeitgleich vorangetrieben werden. Die eigentliche Herausforderung in einem Unternehmen ist es, eine neue Form der Zusammenarbeit der Mitarbeiter miteinander entstehen zu lassen. Damit das möglich ist, müssen insbesondere Führungskräfte ihr eigenes Rollenbild hinterfragen.

„Der herausforderndste Teil der digitalen Transformation ist der Kulturwandel“, erzählt mir Alexander Birken im Sommer 2017 bei einem Lunchmeeting in Hamburg. Der CEO der Otto Group war einer von vielen Vorstands­chefs, mit denen ich gesprochen habe, um eine neu erkennbare Dynamik besser zu verstehen, die dazu führte, dass sich plötzlich immer mehr Unternehmen mit der eigenen Kultur beschäftigten.

Vor acht Jahren habe ich gemeinsam mit dem bekannten Göttinger Neurowissenschaftler Gerald Hüther die Initiative kulturwandel.org gegründet. Gemeinsam haben wir die Muster gelungener kultureller Veränderungsprozesse in Unternehmen und Organisationen analysiert. In den ersten Jahren mussten wir noch lange suchen, um erfolgreiche Firmen zu finden, die wir portraitieren konnten. Vor zwei Jahren bemerkten wir jedoch, dass sich die Anzahl der Unternehmen, die an der eigenen Kultur arbeiteten, deutlich erhöht hatte. Es gab plötzlich eine neue Triebfeder für den Wandel: die digitale Transformation. Diese, so zeigte unsere Recherche, gelingt nur dann besonders gut, wenn ein Unternehmen auch den Kulturwandel auf die Agenda holt.

Die rapiden Veränderungen durch die Digitalisierung können im Wirtschaftsleben zur echten Bedrohung für tradierte Unternehmen werden. Die Otto Group erlebte das spürbar im Geschäftsjahr 2014/2015 mit dem ersten Jahresverlust der Unternehmensgeschichte, der nicht zuletzt durch die schnell wachsenden Onlineshopping-Konkurrenten wie Amazon und Zalando verursacht worden war. Der Oldenburger Fotodienstleister CEWE, dessen Kerngeschäft viele Jahre lang die Ausbelichtung von Fotofilmen war, hatte die digitale Bedrohung schon früher zu spüren bekommen: Innerhalb von zehn Jahren war der jährliche Absatz von Analogkameras von fünf Millionen auf 40 000 Produkte geschrumpft, ähnlich stark brach das einstige Kerngeschäft ein.

Die Komplexität und Geschwindigkeit der Veränderung können jedoch von keiner Unternehmerfamilie, keinem Management-Team und keiner brillanten Stabsstelle allein gemeistert werden: Eine erfolgreiche Zukunft erleben viele Unternehmen nur dann, wenn sie beginnen, die eigenen Mitarbeiter zu einem deutlich höheren Maß mitgestalten zu lassen als zuvor. Die Unternehmerfamilie Otto stellte sich daher bereits im Januar 2016 persönlich und in Videostreams vor die 50 000 Mitarbeiter. Damals gab sie offen zu: „Alleine schaffen wir es nicht. Wir brauchen Sie alle dazu.“ Das, was dann geschah, beschrieb CEO Alexander Birken später mit den Worten: „Wir haben die Hierarchiepyramide auf den Kopf gestellt.“

Würdigen Sie das Bisherige

Doch Vorsicht mit dem Wandel! Denn manchmal geht es in Vorstandsetagen nicht anders zu als in dem Pixar-Film „Toy Story“: Ein neues, aufregendes Spielzeug gelangt ins Kinderzimmer und ruckzuck geraten alle anderen in Vergessenheit. Was bei „Toy Story“ der Buzz Lightyear ist, ist in vielen Unternehmen die neue Digital-Abteilung oder der Chief Digital Officer (CDO) und sein Team.

Werden die „neuen Digitalen“ über die Maßen gefördert und beachtet, wird dem Rest der Mannschaft dadurch implizit oder sogar explizit vermittelt: Ihr gehört zum alten Eisen. So entstehen offene oder unausgesprochene Rivalitäten. Die Motivation der Alteingesessenen sinkt, sie blockieren das neue digitale Geschäft.

Welch gravierenden Auswirkungen es auf die Mitarbeiter hat, wenn diese sich durch den Chef oder die digitalen Kollegen unfair behandelt fühlen, lässt sich sogar neuronal messen: Stellen Sie sich vor, Sie wären Testperson in einem wissenschaftlichen Experiment. Ich als Leiter des Experiments lege 100 Münzen à 10 Cent auf den Tisch. Fünf dieser Münzen bekommen Sie. 95 der Münzen erhält ein Kollege von Ihnen. Während Sie realisieren, dass Sie gerade benachteiligt werden, messe ich Ihre Hirnaktivität. Dabei kann ich eine hohe Aktivität im dem Bereich Ihrer vorderen Inselrinde erkennen, der für gewöhnlich für Empfindungen wie Schmerz, Stress, Hunger und Durst, aber auch Wut und Ekelgefühle verantwortlich ist. Hätte ich die Münzen jedoch gerecht aufgeteilt, würde ich sehen, dass andere Bereiche Ihres Gehirns aktiv sind: Ihr ventrales Striatum, der ventromediale präfrontale Cortex und ein Teil der Amygdala. Diese drei Strukturen gelten in ihrer gemeinsamen Funktion als Teil des Belohnungssystems. Fair behandelt zu werden, fühlt sich neuronal messbar besser an!

Karsten Ottenberg, CEO von Bosch-Siemens-Hausgeräte, berichtet mir: „Nur weil die digitale Transformation gerade ein Fokus-Thema ist, dürfen wir den anderen Mitarbeitern nicht den Stolz nehmen auf das, was sie bisher erreicht haben. Es ist eine wichtige Führungsaufgabe, immer wieder darauf zu achten, dass es kein ‚wir’ und ‚die’ gibt, dass keine Silos aufgebaut werden.“

Auch die Hamburger Hafen Logistik AG begann den digitalen Wandel mit einem Akt der Wertschätzung für diejenigen, die dem Unternehmen in der Vergangenheit geholfen hatten, dorthin zu kommen, wo es heute ist: für die Mitarbeiter. Das Unternehmen hat einen Tarifvertrag mit einer darauf aufbauenden Absichtserklärung vorgestellt, die den Arbeitnehmern am Container Terminal Altenwerda Unterstützung und weitreichenden Schutz während der Phase der digitalen Transformationen zusichert.

Was war geschehen? Bereits bevor die digitale Transformation begann, hatte die Füh­­r­ungsetage allen Mitarbeiter zugesichert, dass jeder Produktivitätsvorteil zur Hälfte an sie weitergereicht werden würde. Ein konkretes Beispiel: Während früher sog. „Checker“ mit einem Fahrzeug an den Zügen, mit denen Container zum Hafen gebracht wurden, entlangfuhren und die Beschriftungen manuell ins Computersystem eintippten, geschieht das heutzutage voll digital. Die Züge werden von hochauflösenden Kameras gescannt. Das bringt dem Unternehmen eine tägliche Produktivitätssteigerung, die 30 Minuten Arbeitszeit entspricht. Und das ist für alle Mitarbeiter eine gute Nachricht: Sie erhalten jeden Tag 15 Minuten mehr Pausenzeit für sich.

Menschen brauchen Verstehbarkeit

„90 % unserer Ideen sind gescheitert“, erklärte mir Tobias Krüger, Kulturwandel-Chef der Otto-Group. Ähnliches berichten mir viele andere Protagonisten, die in ihren Unternehmen die digitale Transformation und daher oftmals auch den Kulturwandel vorantreiben. Zu wissen, dass so ein Prozess in allen Unternehmen immer wieder auch frustrierend sein kann, ist ermutigend für Unternehmenslenker, die in der eigenen Firma Momente des Scheiterns erleben. Genauso wichtig ist es jedoch auch für die Mitarbeiter, zu wissen, weshalb sich das Unternehmen überhaupt im Wandel befindet. Schließlich wusste schon Nietzsche:
Viele Führungskräfte kommunizieren mit ihren Mitarbeitern zu selten über das, was im Kontext der digitalen Transformation gerade im Unternehmen geschieht. Dabei ist das immens wichtig, denn gerade in Phasen der Veränderung beginnen die verunsicherten Mitarbeiter, die wenigen Informationen, die sie haben, meist auf eine sehr ungünstige Art und Weise miteinander zu verknüpfen: Es entsteht Kopfkino. Der Flurfunk wird besonders laut und ist voller Verschwörungstheorien.

Eine neue Situation zu verstehen, ist für uns Menschen der Schlüssel, um konstruktiv mit ihr umgehen zu können. Unser innerer Zustand kann sich blitzschnell ändern, wenn wir einem Ereignis eine neue Bedeutung geben können. Genau das geschieht, wenn uns Informationen zur Verfügung stehen, die uns das Gesamtbild verstehen lassen.
Ein Idealbeispiel für eine gelungene Verstehbarkeit in der digitalen Transformation kommt von Max Maier. Er ist der Eigentümer des Küchenherstellers Rieber, dessen Produkte in nahezu jeder Großküche zu finden sind. In Großküchen sind die Auswirkungen der Digitalisierung vielversprechend: In der Nahrungsmittelindustrie gibt es den sog. HACCP-Hygienestandard, der beispielsweise für das Einhalten von Kühlketten sorgen soll, damit die Gäste gesund bleiben. Anderenfalls kommt es zu Situationen wie im Jahr 2016, als in Konstanz vier Schulen und ein Kindergarten von Salmonellen betroffen waren. Den Standard einzuhalten, ist für jede Großküche aufwendig: Mitarbeiter müssen mehrfach pro Tag an verschiedenen Stellen der Produktionskette Nahrungsmittelproben entnehmen, deren Temperatur messen und protokollieren. Max Maier hatte eine zündende Idee, um durch die Digitalisierung des HACCP-Prozesses die Arbeit zu reduzieren und zugleich einen deutlichen Anstieg der Sicherheit zu erreichen. Nicht nur Marketing-Chefin Sabine Kühne, sondern auch viele weitere Riebers-Mitarbeiter waren vom Nutzen einer solchen Innovation sofort überzeugt: „Für mich war klar, dass wir diese Idee in die Welt bringen müssen. Weniger Nahrungsmittelvergiftungen durch einen sicheren Prozess und gleichzeitig eine einfachere Handhabung der HACCP-Richtlinien für unsere Kunden – darüber musste man gar nicht nachdenken.“, erzählt Kühne. Genau diese Sinnhaftigkeit half der Rieber-Belegschaft, auch in den zahlreichen Momenten des Scheiterns den Mut nicht zu verlieren. Ein Beispiel: Um das Essen in den Großküchen digital nachverfolgbar zu machen, müssten alle Behälter mit einem QR-Code versehen sein. Das jedoch war schwieriger als erwartet: Einen Aufkleber zu finden, der die hohen Temperaturen im Küchenprozess aushält und dabei keine giftigen Stoffe ausdampfen lässt, war eine echte Herausforderung. „Seine Kunden umzubringen, ist kein gutes Geschäftsmodell“, erklärt mir Rieber-Produktionsgeschäftsführer Ingo Burkhardt verschmitzt in schwäbischem Dialekt. „Wir haben zwei Jahre lang gesucht und geforscht.“ Inzwischen aber ist das neue digitale Produkt am Markt und so vielversprechend, dass mehrere namenhafte strategische Partner aufgesprungen sind: Kärcher, die Deutsche Telekom und die Porsche-Tochter MHP haben bereits investiert.

Max Meiers Innovationsidee ist eine seltene Ausnahme – die meisten Unternehmen müssen ohne klare Vision für die digitale Transformation loslegen. Viele Unternehmer berichten mir, dass sie „auf Sicht fliegen“. Sie wissen jedoch auch, dass sie sich bewegen müssen, denn ohne Wandel geht ihnen langfristig Geschäft verloren. Prof. Dr. Gunther Olesch, Geschäftsführer des Blomberger Automotive-Unternehmens Phoenix Contact, bringt es auf den Punkt: „Wir wissen doch auch nicht, wie die Zukunft aussieht. Doch wir wissen: Im Kontext der digitalen Transformation müssen wir drei Dinge tun: Erstens: Viel mit den Mitarbeitern kommunizieren. Zweitens: Viel mit den Mitarbeitern kommunizieren. Drittens: Viel mit den Mitarbeitern kommunizieren.“ Menschen brauchen Verstehbarkeit – das stabilisiert sie!

Demut in der Führung

Dr. Rolf Hollander war skeptisch: „Ich dachte, dass das kein Mensch braucht“, erzählt mir der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Fotodienstleisters CEWE. Im Jahr 2007, als das alte Kerngeschäft der Analogfilm-Entwicklung eingebrochen war, hatte das Unternehmen bereits begonnen, das CEWE-Fotobuch auf dem Markt zu etablieren. Da hatten einige CEWE-Mitarbeiter eine Idee: Sie wollten einen „digitalen Assistenten“ entwickeln, der es dem Kunden noch leichter machen sollte, sein eigenes Fotobuch zu gestalten. Hollander war überhaupt nicht überzeugt, doch behielt seine Zweifel für sich. Zum Glück, denn inzwischen werden knapp 30 % der Fotobuch-Umsätze mit Hilfe dieses Assistenten generiert.

Auch Peter Fregelius, Head of TV bei der Swisscom, entschied sich bei der Entwicklung eines neuen digitalen TV-Angebots sehr früh, andere Wege zu gehen. „Wie sollen wir als Führungskräfte in kurzer Zeit etwas bewerten, womit sich andere Menschen im Austausch miteinander tage- oder gar wochenlang beschäftigt haben?“, sagt er mir. Er schaffte kurzerhand das „Approval-Board“ ab, den Genehmigungsprozess durch die Chefs, der früher bei der Produktentwicklung durchlaufen werden musste. Ab da stimmten die Mitarbeiter untereinander ab, was wichtig war … und entwickelten mit TV 2.0 ein digitales, plattformübergreifendes Angebot, durch das die Swisscom inzwischen jedes Jahr eine halbe Milliarde CHF zusätzlichen Umsatz generiert. „Zu Beginn war es schon komisch für uns, dass unsere Mitarbeiter weiterhin gute Ergebnisse lieferten, auch wenn wir uns als Chefs nicht ständig einbrachten“, erzählt Fregelius.

Hollander, Fregelius oder auch die Eigentümer der Otto Group durchlebten einen Prozess, in dem sie das eigene Rollenbild, das eigene Selbstverständnis als Führungskräfte zu hinterfragen lernten. Besonders herausfordernd wird das oftmals für das mittlere Management. Schließlich sind diese Führungskräfte plötzlich nicht mehr die Entscheider, sondern sie müssen immer mehr in die Rolle eines Begleiters, eines Coaches für die eigenen Mitarbeiter hineinwachsen. Klassische Führungskräftetrainings sind dann nicht mehr das richtige Werkzeug, um diese Chefs zu unterstützen. Heutzutage braucht es eher intensive Persönlichkeitstrainings für Führungskräfte. Denn nur, wenn eine Führungskraft authentisch einen eigenen inneren Wandel durchlebt, kann sie zum Vorbild für die eigenen Mitarbeiter werden.

Herrschaftswissen und der Glaube an die eigene intellektuelle Überlegenheit waren schon immer Eigenschaften von Chefs, die ihre tief verborgenen eigenen Schwächen zu verdecken versuchten.

Inzwischen zeigt uns die Wissenschaft, dass ein anderer Weg zu deutlich besseren Ergebnissen führt. Bradley Owens, Professor für Business Ethics an der Marriott School of Business nennt das die „Demut in der Führung“. Er hat weltweit über 6 000 Menschen untersucht und kann wissenschaftlich fundiert aufzeigen: Führungskräfte mit einem demütigen Verhalten können zu wichtigen Vorbildern werden. „Die Mitarbeiter sind lernorientierter, sie sind engagierter und bleiben durchschnittlich länger im Unternehmen“, erklärt mir Owens. „Die Demut der Führungskraft trägt dazu bei, dass die Mitarbeiter sich schrittweise so entwickeln, dass sie immer stärker ihre eigenen Potenziale zur Entfaltung bringen.“

Eine demütige und kompetente Führungskraft erkennt man daran, dass sie sich zwei grundsätzliche Fragen stellt:

  • Wenn sie ihre Stärken kennt, fragt sie sich: „Was kann ich tun, um etwas beizutragen?“
  • Wenn sie ihre Schwächen kennt, fragt sie sich: „Was kann ich tun, um zu wachsen?“

Bild: Fotolia/IRStone

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