Artikel erschienen am 12.06.2019
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Kartellverstöße können teuer werden

Deutsches und europäisches Kartellrecht wollen die Freiheit des Wettbewerbs sichern

Von Dr. iur. Bernhard König, Detmold

Die Öffentlichkeit nimmt das Kartellrecht meist nur wahr, wenn es Bußgelder des Kartellamts hagelt. Allein in 2018 hatte das deutsche Kartellamt bis August schon Bußgelder von 272 Mio. Euro verhängt, nach 66 Mio. Euro in 2017 und 125 Mio. Euro in 2016.

Das Bundeskartellamt hat in den vergangenen Jahren verschiedene Kartelle aufgedeckt, bei denen die Kartellbeteiligten Absprachen über Preise und Marktanteile getroffen hatten, u. a. das sog. Schienenkartell (Bußgeld 125 Mio. Euro) und Kartelle im Bereich des Edelstahls, der Brauereien sowie der Zementindustrie.

Die europäische Kommission, die sich mit Kartellen beschäftigt, wenn sie grenzüberschreitend tätig geworden sind, schlägt bei den Bußgeldern noch härter zu: Im Fall des Lkw-Kartells, bei dem führende Lkw-Hersteller über 10 Jahre lang Preisabsprachen getroffen haben, verhängte die Kommission 3,7 Mrd. Euro Bußgeld. Im Falle von Google verhängte die europäische Kommission wegen angeblichen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung 2017 ein Bußgeld von 2,4 Mrd. Euro, 2018 ein Bußgeld von 4,3 Mrd. Euro. Tendenziell nehmen die Verfahren ebenso zu wie die Höhe der Bußgelder.

Neben dem Verbot der „Hardcore-Verstöße“ gegen das Kartellrecht (Preis- und Marktabsprachen) regelt das Kartellrecht auch Verbote wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen in sonstigen Verträgen, was bei Mittelständlern oft nicht bekannt ist.

Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen

Nach der Grundnorm des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltens­weisen verboten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken.

Vereinbarungen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, gibt es auch im „Kleinen“, nicht nur in Verträgen zwischen Wettbewerbern, sondern auch in Austauschverträgen zwischen Beteiligten verschiedener Wirtschaftsstufen, z. B. zwischen Lieferant und Händler. Immer wieder finden sich in solchen Verträgen Wettbewerbsverbote, Kundenschutzklauseln, Verpflichtungen des Lieferanten zur Alleinbelieferung eines bestimmten Abnehmers, umgekehrt Verpflichtungen eines Abnehmers zum Alleinbezug der Ware von einem bestimmten Lieferanten oder Meistbegünstigungsklauseln.

Wenn diese Klauseln gegen das GWB verstoßen, sind sie nichtig, u. U. ist der gesamte Vertrag nichtig, das Kartellamt kann die Klausel untersagen und Bußgeld verhängen.

Zulässig können sie sein, wenn dadurch keine spürbare Beeinträchtigung des Wettbewerbs eintritt. Nach den sog. „Bagatellbekanntmachungen“ liegt im Zweifel eine spürbare Beeinträchtigung des Wettbewerbs nicht vor, wenn die beiden an einem solchen Vertrag beteiligten Partner bei Verträgen im Horizontalverhältnis zusammen einen Marktanteil von 10 % und bei vertikalen Verträgen einen Marktanteil von 15 % nicht überschreiten.

Liegt der Marktanteil darüber, muss geprüft werden, ob die wettbewerbsbeschränkende Klausel gleichwohl zulässig ist, weil sie in den Genuss einer von der europäischen Kommission erlassenen sog. Freistellungsverordnung kommt. Durch solche Verordnungen hat die EU-Kommission bestimmte typische Fallgruppen von Verträgen vom Kartellverbot freigestellt, also in einem näher geregelten Umfang auch wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen für zulässig erklärt. Das regeln z. B. die Verordnung über vertikale Vereinbarungen (Nr. 330/2010 vom 20.04.2010), die in der Praxis wohl wichtigste Freistellungsverordnung, und andere Freistellungsverordnungen (z. B. Technologietransfer, Forschung und Entwicklung, Spezialisierung).

In den Genuss der Gruppenfreistellungsverordnung kommt man nur, wenn deren Anwendungsvoraussetzungen vorliegen. Bei der für die Praxis wichtigsten Freistellungsverordnung über Vertikalvereinbarungen ist Voraussetzung, dass der Marktanteil des Lieferanten und des Abnehmers jeweils nicht mehr als 30 % auf den jeweiligen Märkten beträgt. Ist der Marktanteil höher, entfällt die Freistellung.

Liegt der Marktanteil unter dieser Schwelle, muss im Einzelfall geprüft werden, wie die Klausel nach den Regeln der Gruppenfreistellungsverordnung zu qualifizieren ist: Ist sie in jedem Fall unwirksam (Preisabsprachen), ist sie erlaubt, ist sie mit Einschränkungen erlaubt? Sorgfältige Prüfung des Einzelfalls hilft, böse Überraschungen zu vermeiden.

Kartellanten leben gefährlich

Die Hardcorefälle des Kartellrechts sind Absprachen zwischen Wettbewerbern über Preise, Marktanteile und Wettbewerbsbedingungen.

Verboten sind nicht nur wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, also vertragliche Absprachen im herkömmlichen Sinne, sondern auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen, die zu einer Wettbewerbsbeeinträchtigung führen. Abgestimmte Verhaltensweisen liegen schon dann vor, wenn Unternehmen faktisch ihr Verhalten am Markt koordinieren und abstimmen, also nicht mehr autonom im Wettbewerb handeln, sondern koordiniert.

Wenn sich Wettbewerber gegenseitig über ihre Planungen, ihre Kalkulationen, die Preisgestaltung, das Preisverhalten am Markt vorab informieren, liegt darin ein Kartellverstoß.

Harte Strafen bei Kartellverstößen

Erwischt das Kartellamt die Kartellanten, kann es sehr teuer werden.

Neben einer Untersagungsverfügung erlässt das Kartellamt Bußgeldbescheide. Das Bußgeld kann sowohl gegen die konkret beteiligten Personen wie gegen Unternehmen, u. U. auch gegen Muttergesellschaften von Unternehmen, verhängt werden. Es beträgt bis 1 Mio. Euro, bei Unternehmen kann es mit bis zu 10 % des Vorjahresumsatzes höher ausfallen. Das Bußgeld erfüllt nicht nur die Funktion der Ahndung des Kartellverstoßes, sondern auch der Abschöpfung des durch den Kartellverstoß erlangten wirtschaftlichen Vorteils.

Den kartellbedingten wirtschaftlichen Vorteil kann das Kartellamt auch unabhängig vom Bußgeld abschöpfen.

Schadenersatzansprüche der Kartellgeschädigten

Daneben können diejenigen, die kartellbedingt einen Schaden erlitten haben, z. B. zu hohe Preise gezahlt haben, Schadenersatzansprüche gegen die Kartellanten geltend machen. Diese Möglichkeit führte in den vergangenen Jahrzehnten ein Schattendasein, ist in den vergangenen Jahren aber zur scharfen Waffe gegen Kartellanten geworden, auch deshalb, weil die Rechtsprechung und inzwischen der Gesetzgeber die Durchsetzung dieser Ansprüche erleichtert hat.

Wegen des Schienenkartells und des Lkw-Kartells sind Millionen-Klagen gegen die Kartellanten anhängig.

Für die Geschädigten war es in der Vergangenheit oft schwierig nachzuweisen, welcher konkrete Schaden ihnen infolge der Kartellabsprachen entstanden war. Das scheint jetzt auch ein Problem zu sein bei den Klagen, die Spediteure und Frachtfuhrunternehmen gegen die Kartellanten des Lkw-Kartells erhoben haben. Wie wäre der Preis gewesen, wenn die Lkws ohne Kartellabsprache unter Marktbedingungen angeboten worden wären?

Aufgrund europäischen Rechts ist die Möglichkeit der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen jetzt für die Zukunft im deutschen Kartellrecht erleichtert worden. Die Feststellungen der Kartellbehörden sind verbindlich für nachfolgende Schadenersatzprozesse. Darüber hinaus wird vermutet, dass Kartellabsprachen einen Schaden verursacht haben; die Kartellanten müssen beweisen, dass kein Schaden entstanden ist.

Die Höhe des Schadens kann – wie schon nach der bisherigen Rechtsprechung – vom Gericht geschätzt werden.

Wenn Kartellamt oder europäische Kommission bereits einen Kartellgewinn in ihren Bescheiden festgestellt haben, kann dieser der Schadensberechnung zugrunde gelegt werden.
Die Verjährungsfrist ist verlängert worden auf fünf Jahre.

Außerdem ist der Kartellant unter bestimmten Voraussetzungen nunmehr verpflichtet, Beweismittel herauszugeben, die es dem Geschädigten erleichtern, seinen Anspruch zu begründen.

Der Marktstarke darf nicht Alles

Nur noch kurz sei darauf hingewiesen, dass das Kartellrecht außerdem Grenzen für das zulässige Verhalten marktbeherrschender oder marktstarker Unternehmen aufstellt. Wer marktbeherrschend ist (was ab einem Marktanteil von 40 % vermutet wird) oder gegenüber Wettbewerbern marktstark – ggf. auch in einer Betrachtung zusammen mit anderen starken Wettbewerbern (Oligopol) –, darf seine Stellung nicht missbräuchlich ausnutzen, z.B. andere Marktteilnehmer nicht willkürlich diskriminieren oder andere Marktteilnehmer nicht unbillig behindern (z.B. durch Kampfpreisunterbietung unter bestimmten Voraussetzungen, bestimmte Rabatte, Kopplungsgeschäfte u.ä.). Auch die missbräuchliche Ausnutzung einer marktstarken Stellung kann Bußgelder auslösen.

Die Bedeutung des Kartellrechts wird oft unterschätzt – gerade im Mittelstand. Rechtzeitige kritische Prüfung kann vor Schaden bewahren.

Bild: Fotolia/designer491

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