Artikel erschienen am 27.05.2019
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Gewerbesteuerliches Schachtel­privileg verstößt gegen EU-Recht

Von Dr. iur. Uwe Hohage, Bielefeld

Auch im entsprechend historisch gewachsenen mittelständischen Konzern stellt sich die Frage nach der Rückführung von Auslandsgewinnen nach Deutschland. An die Gewerbesteuerfreiheit stellt das Gesetz dann deutlich erhöhte Anforderungen, wenn diese aus Drittstaaten wie z. B. den USA oder China stammen.

Gewinnausschüttungen aus Beteiligungen an Unternehmen außerhalb der EU können der Gewerbesteuer unterliegen, wenn sie die Voraussetzungen des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs nicht erfüllen und z. B. nicht aus sogenannten aktiven Einkünften stammen. Diese Regelung verstößt nach einer ak­tuellen Entscheidung des Gerichtshofs der Euro­päischen Union (EuGH) in der Rechtssache EV (C-685/16) vom 20.09.2018 gegen EU-Recht. Betroffen war übrigens ein westfälischer Konzern.

Rechtsproblem: Die zugrundeliegende Frage des Falles war, ob die strengeren Voraussetzungen des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs für Dividenden aus Drittstaaten (§ 9 Nr. 7 GewStG) die Kapital­verkehrsfreiheit gemäß Artikel 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verletzt. Als problematisch erwies sich dabei, dass die ausschüttende Gesellschaft keine aktiven Einkünfte im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 Außen­steuer­gesetz erzielte und nicht als „Funktions­holding“ oder „Landesholding“ qualifizierte.

Sachverhalt: Im strittigen Fall hielt die Klägerin über eine inländische Tochter­ge­sellschaft, mit der sie im Rahmen einer ertragsteuerlichen Organschaft verbunden war, eine 100 %ige Beteiligung an einer in Australien ansässigen Limited. Die von Seiten der Limited ausgeschüttete Dividende wurde bei der Klägerin gemäß § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei gestellt, wobei 5 % der Erträge gesetzeskonform pauschal als nicht abzugs­fähige Betriebsausgaben dem Einkommen wieder hinzugerechnet wurden. Aufgrund der Qualifikation der Limited als reiner Holdinggesellschaft mit passiven Ein­künften wurde der zu 95 % als steuerfrei be­handelte Betrag für Zwecke der Gewerbesteuer voll steuerpflichtig gestellt, namentlich wurde die Kürzung nach § 9 Nr. 7 GewStG versagt.

Verstoß gegen Kapitalverkehrsfreiheit und keine Rechtfertigung/Stillhaltepflicht

Der EuGH hat geurteilt, dass § 9 Nr. 7  GewStG gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt. Mögliche Rechtfertigungsgründe für diese Ungleichbehandlung waren für die Luxemburger Richter nicht ersichtlich, da der Aktivitätsvorbehalt nicht ausschließlich Missbräuche bekämpft. Die sogenannte Stillhalteklausel (Art. 64 AEUV) kommt ebenfalls nicht zur Anwendung. Nach dieser Bestimmung können Beschränkungen des Kapitalverkehrs beibehalten werden, wenn die Regelung bereits am 31.12.1993 bestanden hat und Direktinvestitionen einschließlich der Erbringung von Finanz­dienstleistungen betrifft. Da § 9 Nr. 7 GewStG seit dieser Zeit in den Tatbestands­voraus­setzungen jedoch Veränderungen unterlag und zudem durch den zwischenzeitlichen Wechsel vom Anrechungs- zum Freistellungsverfahren der gesamte Regelungs­zusammen­hang der Vorschriften einen Systemwechsel durchlaufen habe, könne die Regelung nach Ansicht des EuGH nicht unter die Still­halteklausel fallen.

Entscheidung mit Folgen

Das Urteil in der Sache EV hat erhebliche praktische Auswirkungen auf die steuerliche Behandlung von Dividenden aus Drittstaaten für die Zwecke der deutschen Gewerbesteuer und beweist erneut, dass eine „Aktivitäts­klausel“ ohne „Motivtest“ nicht mit den Grundfreiheiten vereinbar sein kann, wenn für inländische Dividenden nicht solche strengen Voraussetzungen gelten.

Ausblick und Handlungsempfehlung

Die Rechtsprechung des EuGH ist für die deutsche Finanzgerichtsbarkeit bindend. Es dürfte angezeigt sein, dass der Gesetzgeber tätig wird. Denkbar ist es, und zudem auch schon allein aus Praktikabilitätsgründen zu wünschen, dass inländische, EU- und Drittstaats­dividenden künftig unter denselben, einfachen Voraus­setzungen vom gewerbesteuerlichen Schachtel­privileg profitieren können. Die Aufhebung von § 9 Nr. 7 GewStG wäre dementsprechend vorzugs­würdig. Allerdings ist der Gesetzgeber für solche pragmatischen Lösungsansätze nicht bekannt, wenn es um Verstöße gegen EU-Recht geht. So ist zu befürchten, dass eine ver­komplizierende Regelung seitens des Gesetzgebers eingeführt wird, um der Rechtsprechung des EuGH zu begegnen. In jeden Fall ist jedem potenziell betroffenen Steuerpflichtigen an­zuraten, ob der Komplexität der Thematik und der potenziell signifikanten monetären Aus­wirkungen kompetenten Rat einzuholen.

Bild: Fotolia/afendikoff

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