Artikel erschienen am 01.03.2015
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Vorbenutzungsrecht

Ein wirksamer Schutz vor Patentverletzung?

Von Dipl.-Ing. Joachim Gerstein, Hannover

Für innovative Unternehmen stellt sich die Frage, ob es sich als Marktteilnehmer auf seine Vorreiterstellung bei technischen Innovationen verlassen und auf eine eigene aktive Schutzrechtsstrategie verzichten kann. Stellt das Patentrecht einen Schutz vor einem Angriff z. B. eines Mitbewerbers wegen Verletzung eines Patents sicher, das erst während der eigenen Entwicklungsphase angemeldet wurde, nachdem der angegriffene Marktteilnehmer bereits selbst das mit dem Patent geschützte technische Problem auf vergleichbare Weise gelöst hatte, aber keine eigene Schutzrechtsanmeldung getätigt hat?

Die Problematik kollidierender Entwicklungsarbeit von Mitbewerbern

Produktentwicklungen folgen oftmals in Trends, wobei Mitbewerber in einem überschaubaren Zeitraum nahezu gleichzeitig an vergleichbaren technischen Lösungen arbeiten. Daher ist regelmäßig zu beobachten, dass Innovationen zu bestimmten Technologien durch die Marktteilnehmer mit zahlreichen zeitlich relativ nah beieinander liegenden Patentanmeldungen geschützt werden. Die Mitbewerber versuchen hierdurch, das Terrain bestmöglich zu „verminen“ und den Mitbewerbern die Realisierung gleichwertiger Produkte zu erschweren sowie die Realisierbarkeit von technischen Lösungen zumindest für sich freizuhalten („Freedom-to-Operate“).

In der Praxis ist zu beobachten, dass Schutzrechte für neue Entwicklungsergebnisse von Mitbewerbern zu einem für die eigene laufende Entwicklungsarbeit kritischen Schutzbereich führen. Bei solchen Parallelentwicklungen von Mitbewerbern kommt es also darauf an, so früh wie möglich mit eigenen Patentanmeldungen späteren Patenten von Mitbewerbern vorzubauen. Dies erfordert aber begleitend zur Entwicklungsarbeit eine ständige Investition in Schutzrechte.

Was aber, wenn erst gar keine eigenen Schutzrechte angemeldet wurden oder eine Patentanmeldung trotz eigener früherer Erfindung (bzw. Entwicklungsleistung) erst nach einer späteren Patentanmeldung des Mitbewerbers für eine entsprechende technische Lösung und damit zu spät bei einem Patentamt eingereicht wurde? Die Problematik ist zum besseren Verständnis illustriert.

Inwieweit kann sich ein Hersteller A, der keine aktive Patentpolitik betreibt, gegen Angriffe aus Schutzrechten Dritter (z. B. Mitbewerber B) wehren, die zeitlich nach der eigenen Entwicklung von dem Dritten angemeldet wurden?

Ein weitverbreiteter Irrtum liegt in der Annahme, dass eine frühere Entwicklungsarbeit grundsätzlich vor einem Angriff aus einem späteren Patent oder Gebrauchs-muster z. B. des Mitbewerbers geschützt ist.

Offenkundige Vorbenutzung

Eine technische Idee ist dann schutzfähig, wenn diese gegenüber dem bis zum Anmelde- oder Prioritätstag (Zeitrang) der Öffentlichkeit zugänglichen Stand der Technik neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Eine eigene frühere Entwicklungsleistung, die nicht zum Patent angemeldet wurde, stellt so lange keinen Stand der Technik dar, wie diese für die Öffentlichkeit verborgen ist. Sie wird in der Praxis für die Öffentlichkeit erst mit der Produktvermarktung, die in der Regel lange nach der Prototypen- und Serienentwicklung erfolgt, erkennbar und als Stand der Technik relevant (als offenkundige Vorbenutzung bezeichnet). Dies gilt auch nur, wenn die technischen Details nicht unzugänglich im Produkt versteckt sind, wie z. B. bei programmierten Systemen. Bis zum ersten Produktverkauf jedenfalls ist die eigene Entwicklung in der Regel noch nicht öffentlich zugänglich und stellt damit keinen Stand der Technik dar, die einem kritischen Patent des Mitbewerbers entgegengehalten werden kann.

Mit der eigenen Entwicklungsleistung kann ein störendes Patent eines Mitbewerbers kaum zu Fall gebracht werden. Ein solches Schutzrecht kann die bereits getätigte Investition in die Entwicklung eines eigenen Produktes gefährden und schlimmstenfalls den weiteren Vertrieb verhindern.

Das Vorbenutzungsrecht

Die Wirkung eines Patents tritt gegen den nicht ein, der zur Zeit der Anmeldung bereits im Inland die Erfindung in Benutzung genommen oder die dazu erforderlichen Veranstaltungen getroffen hatte (§ 12 Patentgesetz). Dieses Vorbenutzungsrecht ermöglicht die weitere wirtschaftliche Verwertung einer bereits zum Zeitrang eines störenden Patents erfolgten geheimen Parallelentwicklung auch dann, wenn keine eigenen Schutzrechte angemeldet wurden oder eine eigene Schutzrechtsanmeldung zeitlich zu spät, nach der des Mitbewerbers, erfolgt ist.

Nach dieser Regelung scheint es so, dass sich ein innovativer, aktiv entwickelnder Hersteller über Schutzrechte Dritter, die erst nach der eigenen Entwicklung einer technischen Lösung angemeldet wurden, erst einmal keine Gedanken machen müsste und auch ohne aktive Patentstrategie gegen einen Angriff aus solchen späteren Schutzrechten sicher ist. Bei näherer Betrachtung werden aber mehrere Probleme offenbar.

Das Vorbenutzungsrecht ist an den Betrieb gebunden und kann nicht eigenständig ohne den zugehörigen Betriebsteil veräußert oder lizenziert werden. Das Vorbenutzungsrecht ermöglicht lediglich eine Fortführung der bisherigen Nutzungsart für die Bedürfnisse des eigenen Betriebes. Mit dem Vorbenutzungsrecht wird die Verletzung des späteren Patents nur insoweit gestattet, als dies zum Schutz des Besitzstandes notwendig ist. Daher ist eine Änderung der Benutzungsart verwehrt und eine spätere Anpassung und Modernisierung des vorbenutzten Produktes oder Verfahrens durch den Schutzbereich des Patents beschränkt.

Das größte Problem ergibt sich – wie bei der offenkundigen Vorbenutzung – dadurch, dass die Beweislast bei demjenigen liegt, der sich mit einem Vorbenutzungsrecht verteidigt. Viele Jahre später – in der Praxis oftmals mehr als 10 bis 15 Jahre nach der Anmeldung des Streitpatents – ist dann nicht nur die frühere Kenntnis der durch das Streitpatent geschützten Erfindung vor dessen Zeitrang zu beweisen. Es ist auch die wirtschaftliche Umsetzung dieser Kenntnis entweder durch bereits erfolgte Benutzung (Produktherstellung / Nutzung eines Verfahrens) oder Vorbereitungshandlungen zur alsbaldigen ersthaften Benutzung zu beweisen. Der angegriffene Marktteilnehmer muss nachweisen, dass vor der Anmeldung des Streitpatents bereits ein schützenswerter Besitzstand geschaffen wurde.

Mit den vorzulegenden Urkunden und Zeugenbeweisen muss das Gericht zur zweifelsfreien Überzeugung gelangen, dass die Voraussetzungen des Vorbenutzungsrechts zum Zeitrang des Streitpatents vorlagen. Diese Beweisführung wird dadurch erschwert, dass Unterlagen (wie Lieferscheine und Rechnungsunterlagen) nach 5 bis 10 Jahren oftmals vernichtet werden. Hinzu kommt, dass elektronische Daten, insbesondere technische Unterlagen, im Zuge eines Entwicklungsprojektes nicht dokumentensicher archiviert werden. Somit lassen sich Dateien zum Nachweis der technischen Informationen im Unternehmen möglicherweise noch auffinden, deren Entstehungsdatum und Versionsstand zum Anmeldetag des Streitpatents aber nicht mehr zweifelsfrei nachvollziehen. Mitarbeiter, die als Zeugen aussagen könnten, sind nach solch langer Zeit auch oftmals nicht mehr verfügbar. Dies führt dazu, dass der Schutz durch ein Vorbenutzungsrecht eigentlich gerechtfertigt wäre, die Beweisführung jedoch scheitert.

Damit ist ein Scheitern einer auf das Vorbenutzungsrecht gestützten Verteidigungsstrategie gegen einen Angriff wegen Patentverletzung durch die strengen Anforderungen an die Beweisführung vorprogrammiert.

Die territoriale Beschränkung des Vorbenutzungsrechtes

Ein weiteres Problem stellt sich in internationaler Hinsicht bei einer Verteidigung gegen ein Patent im Ausland. Nach dem Territorialitätsprinzip gelten für nationale Patente die Gesetze des jeweiligen Landes. So verlangt das deutsche Patentgesetz nach § 12 PatG, dass die Benutzungsaufnahme der Erfindung bereits vor dem Zeitrang des entgegenstehenden Patents im Inland, d. h. in der Bundesrepublik Deutschland, erfolgt ist oder die für eine solche inländische Benutzung erforderlichen Veranstaltungen getroffen worden sind. Eine vorher im Ausland durchgeführte Produktentwicklung, bei der zeitlich nahezu parallel zum Patentinhaber dieselbe Idee in einem Entwicklungsprojekt umgesetzt wurde, reicht also nicht aus. Trotz des Grundsatzes des freien europäischen Warenverkehrs genügen Vorbenutzungshandlungen im EU-Ausland jedenfalls nicht (LG Düsseldorf, Urt. v. 09.08.2001 – Az. 4a O 592/99).

Eine solche territoriale Beschränkung des Vorbenutzungsrechtes sowie Besonderheiten der nationalen Gesetze sind für ein im Ausland agierendes deutsches Unternehmen kritisch.

Das Vorbenutzungsrecht in verschiedenen Ländern des Weltmarktes

Ein Vorbenutzungsrecht ist zwar in vielen nationalen Gesetzen vorgesehen, insbesondere in den patentrelevanten Ländern USA, China, Japan, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, Portugal, Österreich, der Schweiz und der Türkei. Es ist aber uneinheitlich ausgestaltet, sodass im internationalen Handel größte Vorsicht geboten ist. Grundsätzlich ist immer zumindest eine ernsthafte vorbereitende Tätigkeit in dem jeweiligen Land vor dem Zeitrang des Patents eines Dritten erforderlich. Eine Entwicklungstätigkeit in Deutschland zur Entwicklung und späteren weltweiten Vermarktung eines Produktes ist jedenfalls nicht ausreichend.

In den USA gibt es seit kurzem ein Vorbenutzungsrecht, das aber auf die Orte in den USA beschränkt ist, in denen eine vorherige Benutzung vor der Anmeldung des späteren Patents stattgefunden hat. Erschwerend kommt hinzu, dass die Vorbenutzung mindestens ein Jahr vor dem Zeitrang des störenden Patents eines Dritten tatsächlich in den USA stattgefunden haben muss. Dies ist bei dem praxisrelevanten Fall der sich zeitlich stark überlappenden Entwicklungstätigkeiten von Mitbewerbern besonders problematisch. Zudem ist das Vorbenutzungsrecht auf den tatsächlich benutzten Gegenstand eingeschränkt. Eine spätere Weiterentwicklung wird durch ein Vorbenutzungsrecht nicht mehr gedeckt. Der US-Markt ist dann verschlossen, wenn die eigene Entwicklung nicht rechtzeitig zum Patent angemeldet oder zumindest veröffentlicht wurde, bevor ein Mitbewerber für eine entsprechende technische Lösung ein eigenes Patent in den USA anmeldet.

In China ist eine spätere Ausdehnung der Geschäftstätigkeit z. B. durch Erhöhung der Produktionskapazität in China nicht durch das Vorbenutzungsrecht gedeckt. Eine solche Beschränkung findet sich auch in Russland und Vietnam. Auch in Schweden muss der generelle Charakter der ursprünglichen Benutzung beibehalten werden, sodass eine Änderung / Weiterentwicklung des Produkts und der Geschäftsstrategie verwehrt ist.

In Frankreich ist lediglich ein vollständiger Besitz der Erfindung, d. h. die Erkenntnis einer brauchbaren Lösung für ein technisches Problem, erforderlich. Diese Kenntnis muss allerdings bezogen auf das Land Frankreich nachgewiesen sein.

In Großbritannien ist das Vorbenutzungsrecht auf die frühere Handlung beschränkt. Eine spätere Ausweitung der Tätigkeit auf andere Produkte oder Verfahren, die das spätere Patent verletzen, ist nicht gestattet. Die Vorbenutzung muss ernsthaft und tatsächlich in Großbritannien erfolgt sein. Diese Vorschrift wird sehr eng ausgelegt, mit der Folge, dass die Verteidigungsstrategie basierend auf einem Vorbenutzungsrecht sehr riskant ist.

In Italien ist die besondere Regelung zu beachten, dass eine Vorbenutzung aktuell, zumindest innerhalb von 12 Monaten vor dem Zeitrang des späteren Patents eines Dritten in diesem Land stattgefunden haben muss.

Die Regelungen in Japan, Österreich, Portugal, der Schweiz, Spanien und der Türkei sind mit dem deutschen Recht vergleichbar. Auch hier sind gewerbliche Benutzungen in dem jeweiligen Land oder zumindest ernsthafte und konkrete Vorbereitungshandlungen hierzu vor dem Zeitrang des späteren Patents eines Dritten erforderlich.

Für das zukünftige EU-Gemeinschaftspatent ist zwar in Art. 5 (2) der EU-VO 1257/2012 festgelegt, dass Beschränkungen des Patentrechts in allen teilnehmenden Mitgliedsstaaten einheitlich sind. Auf eine EU-weite Regelung zum Vorbenutzungsrecht konnten sich die Mitgliedsstaaten aber nicht einigen. Es dürfte somit bei den nicht harmonisierten einzelnen nationalen Regelungen der Mitgliedsländer und der territorialen Beschränkung des Vorbenutzungsrechts auf das Land beschränkt bleiben, in dem die Vorbenutzung tatsächlich stattgefunden hat.

Fazit

Um die Realisierung eigener Entwicklungsarbeit nicht durch Schutzrechte Dritter zu gefährden, ist es fahrlässig, auf ein mögliches Vorbenutzungsrecht zu vertrauen. Damit kann ein Angriff aus einem Patent in dem Land, in dem die eigenen Aktivitäten zur Produktrealisierung vorangetrieben wurden, vielleicht mit etwas Glück und guter Beweissicherung noch abgewehrt und die Herstellung und der Vertrieb in diesem Land sichergestellt werden. Der Zugang zum Weltmarkt wird durch die territoriale Beschränkung des Bestandsschutzes durch das Vorbenutzungsrecht und durch uneinheitliche nationale Regelungen verwehrt bleiben. Es ist daher unbedingt anzuraten, selbst frühzeitig mit einer eigenen aktiven Patentanmeldestrategie die Investition in eigene Produktentwicklungen abzusichern.

Foto: Panthermedia/Kheng Ho Toh

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