Haftungsfalle Insolvenz
Die Insolvenzverschleppungshaftung des GmbH-Geschäftsführers
Von Dipl.-Kffr. (FH) Sabine Wolff-Heinze, Halle (SaaleZum Insolvenzantrag verpflichtende Insolvenzgründe
Die Zahlungsunfähigkeit ist in § 17 Abs. 2 InsO legaldefiniert. Danach liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn die fälligen Zahlungspflichten nicht erfüllt werden können. Abgestellt wird dabei auf die fälligen Geldschulden und deren Erfüllung. Erfüllung ist möglich mit den vorhandenen frei verfügbaren liquiden Mitteln in Form von Bargeld, Bankguthaben und nicht ausgeschöpfter Kontokorrentlinie. Die Fälligkeit einer Schuld ergibt sich aus der vertraglichen Leistungszeitbestimmung; fehlt eine solche, greift § 271 Abs. 1 BGB. Die Forderung soll des Weiteren einwendungs- und einredefrei sein. Gestundete Forderungen bleiben unberücksichtigt. Der BGH hat die gesetzliche Definition der Zahlungsunfähigkeit konkretisiert. Danach liegt Zahlungsunfähigkeit erst dann vor, wenn die Gesellschaft innerhalb eines Zeitraumes von drei Wochen nicht mindestens 90 % ihrer fälligen Schulden bezahlen kann. Zahlungsunfähigkeit liegt selbst dann nicht vor, wenn die Liquiditätslücke auch über einen Zeitraum von drei Wochen hinaus nicht mehr als 10 % beträgt. Für die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit ist mithin ein stichtagsbezogener Liquiditätsstatus aufzustellen. In diesem sind die frei verfügbaren liquiden Mittel einerseits den fälligen Geldschulden andererseits gegenüberzustellen. Bei Unterdeckung ist dieser Status um eine dreiwöchige Prognoserechnung zu erweitern, in der die Entwicklung der liquiden Mittel und der fälligen Geldschulden abzubilden ist.
Der zweite antragsverpflichtende Insolvenzgrund ist die Überschuldung gemäß § 19 InsO. Die aktuell geltende Definition der insolvenzrechtlichen Überschuldung geht auf das Finanzmarktstabilisierungsgesetz zurück. Demnach liegt Überschuldung dann vor, wenn das Vermögen die Verbindlichkeiten nicht deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Es ist also zunächst der Frage nachzugehen, ob eine Fortführung des Unternehmens möglich ist. Die Fortführungsprognose endet mit einem positiven Ergebnis, wenn sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit ergibt, dass die Gesellschaft mittelfristig über die erforderliche Liquidität verfügt, mittels derer alle innerhalb des Prognosezeitraums neu entstehenden Verbindlichkeiten erfüllt werden können. Als Prognosezeitraum dient dabei grundsätzlich das laufende Geschäftsjahr, ggf. auch das Folgegeschäftsjahr. Befindet sich das Unternehmen in der Krise und besteht demzufolge Sanierungsbedarf, sind die Sanierungsansätze zu identifizieren und in die Prognose die beabsichtigten Sanierungseffekte einzuarbeiten. Kommt die Fortführungsprognose zu dem positiven Ergebnis, dass im Prognosezeitraum die fälligen und fällig werdenden Schulden aus den verfügbaren Zahlungsmitteln bezahlt werden können, ist die Unternehmensfortführung überwiegend wahrscheinlich. Mithin liegt dann eine insolvenzrechtliche Überschuldung nicht vor. Ist die Fortführungsprognose dagegen negativ und damit die Fortführung nicht überwiegend wahrscheinlich, wird in einer zweiten Stufe der Prüfung in einem Vermögensstatus das vorhandene Aktivvermögen, bewertet mit Zerschlagungswerten, den Verbindlichkeiten gegenübergestellt. Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern aus Darlehensgewährung oder gleichzusetzenden Rechtshandlungen, für die Nachrang vereinbart ist, bleiben dabei unberücksichtigt. Deckt der Wert des Aktivvermögens die Verbindlichkeiten nicht, liegt Überschuldung und damit Insolvenzantragspflicht vor.
Verspätete Antragstellung
Der Geschäftsführer muss den Insolvenzantrag ohne schuldhaftes Zögern, spätestens jedoch drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung stellen. Die Frist beginnt nach überwiegender Meinung mit der Erkennbarkeit des eingetretenen Insolvenzgrundes. Der BGH geht jedoch davon aus, dass die Insolvenzreife für den Geschäftsführer jederzeit erkennbar ist. Er muss seiner Sorgfaltspflicht folgend stets über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft im Bilde sein und die Entwicklung fortlaufend beobachten. Die zur Erlangung der notwendigen Informationen geeignete Organisation hat er zu schaffen. Mit anderen Worten: Der Geschäftsführer hat zu wissen, wann Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eintritt. Der Fristbeginn ist damit faktisch identisch mit dem objektiven Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung.
Der Geschäftsführer hat jedoch nach Eintritt des antragsverpflichtenden Insolvenzgrundes noch längstens drei Wochen Zeit, den Insolvenzantrag zu stellen, in der er allerdings nachhaltig außergerichtliche Sanierungsaussichten, die zu einer Beseitigung der Insolvenzreife führen können, zu prüfen hat. Ist ersichtlich, dass diese Sanierungsbemühungen nicht erfolgversprechend sind, oder bestehen keine begründbaren Sanierungsansätze, ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unverzüglich zu beantragen. Der Zeitraum von drei Wochen darf nicht überschritten werden.
Gläubigerschutz und Haftungsumfang
Die Insolvenzantragspflicht schützt verschiedene Gläubiger der Gesellschaft nach unterschiedlichen Kriterien. Zu unterscheiden ist zwischen Gläubigern, die ihre Forderungen vor dem Eintritt der Insolvenzantragspflicht erworben haben (sog. Altgläubiger) und solchen, die ihre Ansprüche erst nach dem Eintrittszeitpunkt der Insolvenzantragspflicht erworben haben (sog. Neugläubiger).
Der Geschäftsführer hat den Gläubigern gemäß § 15a Abs. 1 InsO i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB den durch eine verspätete Antragstellung entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Altgläubiger haben gegenüber der insolventen Gesellschaft nur Anspruch auf die Quote, die sie bei pflichtgemäßer Insolvenzantragstellung des Geschäftsführers erhalten hätten. Verringert sich diese Quote infolge der Insolvenzverschleppung des Geschäftsführers, ist diese Quotenverringerung der entstandene Schaden – sog. Quotenschaden – und vom Geschäftsführer der Insolvenzmasse als Gesamtschaden zu ersetzen.
Neugläubiger, die ihre Ansprüche gegenüber der Gesellschaft nach Eintritt der Insolvenzreife aufgrund von vertraglicher Kontrahierung erworben haben, haben Anspruch auf Ersatz des sog. Vertrauensschadens, mithin des Schadens, den die Gläubiger aufgrund von Vertragsschluss im Vertrauen darauf, dass die Gesellschaft nicht insolvenzreif ist, erlitten haben. Dies bedeutet, dass diese Gläubiger vom Geschäftsführer so zu stellen sind, wie sie stünden, wenn der Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt worden wäre – sie also mit der Gesellschaft nicht kontrahiert hätten. Der Vertrauensschaden ist den Neugläubigern vom Geschäftsführer als Individualschaden zu ersetzen.
Haftungsvermeidung und weitere Risiken
Nur ein rechtzeitiger Insolvenzantrag kann die Haftung vermeiden. Stellt der Geschäftsführer den Insolvenzantrag verspätet, sind seine Chancen auf Exkulpation gering. Der Geschäftsführer kann ein Verschulden – und damit eine Haftung – praktisch nur durch Beauftragung eines sachkundigen Beraters mit der Klärung und Überwachung der Insolvenzreife ausschließen, sofern er den Berater mit den relevanten Informationen versorgt und nach eigener Plausibilitätskontrolle des Beraterergebnisses dessen Rat folgt.
Neben der Schadensersatzpflicht gegenüber den Gläubigern ist der Geschäftsführer bei verspäteter Insolvenz-antragstellung auch der Gesellschaft gegenüber haftbar. So ist der Geschäftsführer gem. § 64 GmbHG der Gesellschaft zum Ersatz sämtlicher Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung geleistet wurden, sofern die Zahlungen nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes zu vereinbaren waren. Der Geschäftsführer muss die Zahlungen der Insolvenzmasse erstatten.
Die Risiken für den Geschäftsführer sind komplex und vielschichtig. Der Geschäftsführer sollte sich daher rechtzeitig bei einer sich abzeichnenden Krise sachkundigen Rat einholen, um nicht in die „Haftungsfalle“ zu tappen. Zudem kann eine professionelle Beratung die Sanierungschancen gerade angesichts des ESUG mit den darin enthaltenen Instrumenten deutlich erhöhen.
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