Artikel erschienen am 01.03.2014
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Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)

Ein Weg zur Vermeidung unternehmerischer Mitbestimmung

Von Dr. iur. Zoran Domić, M.I.Tax, Hamburg

Mittelständische Unternehmen werden mit dem Thema der unternehmerischen Mitbestimmung meist erstmals konfrontiert, wenn aufgrund eigenen Wachstums – aber auch bei Wachstum durch Zukäufe von Unternehmen oder Unternehmensteilen – die für die mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften relevante Arbeitnehmerzahl die Grenze von mehr als 500 bzw. 2 000 zu überschreiten droht. In dem Fall sind Gestaltungsmöglichkeiten gefragt, um die unternehmerische Mitbestimmung zu vermeiden. Eine dieser Gestaltungsalternativen ist die Wahl der Rechtsform der Societas Europaea (SE).

1. Mitbestimmung

Im Gegensatz zur betrieblichen Mitbestimmung betrifft die unternehmerische Mitbestimmung nicht eine arbeitsrechtliche Form der Mitbestimmung, sondern die Beteiligung der Arbeitnehmer an Auswahl und Kontrolle der Unternehmensleitung.

Die in der Praxis relevanten Mitbestimmungsgesetze sind:

  • das Mitbestimmungsgesetz 1976 (MitbestG),
  • das Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG),
  • das SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) und
  • das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG).

1.1 Mitbestimmungsgesetz

Das MitbestG kommt zur Anwendung, wenn ein Unternehmen in der Regel mehr als 2 000 Arbeitnehmer beschäftigt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG) oder ihm gem.
§ 5 MitbestG eine entsprechende Anzahl von Mitarbeitern verbundener Unternehmen zugerechnet wird.

Sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 MitbestG erfüllt, so ist bei dem Unternehmen ein Aufsichtsrat (§ 7 Abs. 2 MitbestG) zu bilden. Dies gilt auch für die GmbH. Die Mitgliederzahl des Aufsichtsrates verteilt sich hälftig auf Aufsichtsratsmitglieder der Gesellschafter und der Arbeitnehmer. Unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer müssen sich nach § 7 Abs. 2 MitbestG zwei oder (bei 20 Mitgliedern) drei Vertreter von Gewerkschaften befinden.

Der Aufsichtsrat der GmbH ist gemäß § 31 Abs. 1 MitbestG insbesondere zuständig für die Bestellung und Abberufung der GmbH-Geschäftsführer.

1.2 Drittelbeteiligungsgesetz

Für die Anwendung des DrittelbG müssen bei der GmbH in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt sein. Arbeitnehmer von Konzernunternehmen werden der Konzernspitze nur zugerechnet, wenn ein Beherrschungsvertrag abgeschlossen ist oder die Unternehmen in das herrschende Unternehmen eingegliedert sind (§ 2 Abs. 2 DrittelbG).

Sind die Voraussetzungen des DrittelbG erfüllt, muss der (ggf. zu bildende) Aufsichtsrat des Unternehmens zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer bestehen (§ 4 Abs. 1 DrittelbG).

2. Gründung einer SE

Eine der Gestaltungsmöglichkeiten, die zum Teil sehr weitgehende unternehmerische Mitbestimmung zu vermeiden, ist die Gründung einer SE.

2.1 Allgemeines

Bei der Europäischen Aktiengesellschaft oder SE handelt es sich um eine mit der nationalen Aktiengesellschaft vergleichbare Rechtsform, für die auf europäischer Ebene ein einheitlicher Rechtsrahmen geregelt wurde.

Der gesetzliche Rahmen für die SE einschließlich der für sie geltenden Mitbestimmung wurde auf europäischer Ebene bereits am 08.10.2001 geschaffen. In der Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-VO) ist das Gesellschaftsrecht der SE geregelt. Sie enthält für die SE nur die Rahmenbestimmungen, verweist in inhaltlicher Hinsicht zu einem großen Teil auf das deutsche Aktiengesetz (AktG). Zudem werden die nicht geregelten Fragen vorrangig ebenfalls durch das AktG geschlossen.

Die SE kann nur in den nach Art. 2 SE-VO geregelten Konstellationen gegründet werden. Jede der dort genannten Alternativen zur Gründung einer SE setzt voraus, dass die beteiligten Gesellschaften Berührungspunkte zu mindestens zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union besitzen. Zum Teil wird ferner verlangt, dass der „Auslandsbezug“ seit mindestens zwei Jahren besteht.

Voraussetzung für die Eintragung der SE in das deutsche Handelsregister ist die vorherige Durchführung eines Verhandlungsverfahrens über die Beteiligung der Arbeitnehmer (Art. 12 Abs. 2 SE-VO). Dieses Verhandlungsverfahren ist selbst dann Eintragungsvo-raussetzung, wenn die SE gegenwärtig und zukünftig keine Arbeitnehmer haben soll, jedoch in den an der Gründung beteiligten Gesellschaften Arbeitnehmer als mögliche Verhandlungspartner zur Verfügung stehen.

2.2 SE in der Mitbestimmungsgestaltung

Im Gegensatz zum DrittelbG und MitbestG kennt das SEBG keine Schwellenwerte von Arbeitnehmern, deren Über- oder Unterschreitung zu einem Wechsel des anwendbaren Mitbestimmungsrechts führen könnte. Ein Rückgriff auf diese Schwellenwerte scheidet aufgrund des Vorrangs des SEBG nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG aus.

Die spätere Überschreitung des für die Anwendung des MitbestG relevanten Schwellenwerts von 2 000 Mitarbeitern ist für eine SE daher mitbestimmungsrechtlich grundsätzlich irrelevant. Die Ausgangsgesellschaft „immunisiert“ sich durch die Umwandlung in eine SE mitbestimmungsrechtlich gegen die steigende Mitarbeiterzahl. Ist die Ausgangsgesellschaft vor Gründung der SE mitbestimmungsfrei gewesen (z. B. weil die 1 900 Arbeitnehmer in Tochtergesellschaften beschäftigt sind und mangels Beherrschungsverträgen eine Zurechnung nach § 2 Abs. 2 DrittelbG ausscheidet), wäre auch die SE nach ihrer Gründung mitbestimmungsfrei. Eine steigende Mitarbeiterzahl kann hieran nichts ändern.

Anstelle von Schwellenwerten sieht § 18 Abs. 3 SEBG jedoch die Wiederaufnahme von Verhandlungen über eine Mitbestimmungsvereinbarung vor, wenn die SE „strukturelle Änderungen“ plant, die geeignet sind, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern. Liegen diese Voraussetzungen vor, finden sowohl das Verhandlungsverfahren als auch – bei seinem Scheitern – die Auffangregelung Anwendung. In welchen Fällen bei Änderungen nach Eintragung der SE konkret eine Pflicht zu erneuten Verhandlungen besteht, ist umstritten.

Ferner hat der deutsche Gesetzgeber in § 43 SEBG das Verbot aufgenommen, die SE zur Entziehung oder Vorenthaltung von Beteiligungsrechten von Arbeitnehmern zu missbrauchen. Ein solcher Missbrauch wird nach § 43 S. 2 SEBG vermutet, wenn innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE strukturelle Änderungen ohne Neuverhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG stattfinden, die bewirken, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. Der Missbrauch der SE stellt nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG eine Straftat dar.

3. Fazit

Nicht verschwiegen werden darf, dass aufgrund der relativ kurzen Historie der SE noch einige offene Fragen bestehen und sie auch in der Gesamtschau nicht für jedes Unternehmen die ideale Rechtsform darstellt. Nachteilig ist auch das zumeist aufwendige und langwierige Gründungsverfahren.

Als ganz klaren Vorteil der SE ist jedoch die flexible Handhabung bezüglich der unternehmerischen Mitbestimmung zu nennen sowie ihre „Internationalität“.

Die Prüfung, ob eine SE die richtige Rechtsformalternative darstellt, sollte daher mittlerweile auch von mittelständischen Unternehmen in Erwägung gezogen werden.

Bild: panthermedia/Burghard Kripke

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