Die öffentliche Hand als Kunde
Von Nachhaltigkeit bis Digitalisierung – was Lieferanten der öffentlichen Hand aktuell bewegt
Von Prof. Dr. iur. Angela Dageförde, Hannover
Foto: Adobe Stock/ Prostock-studio
1. Der steigende Druck zur Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit ist nicht mehr nur ein „Nice-to-have“, sondern ein Muss, wenn es um die öffentliche Auftragsvergabe geht.
Durch Gesetze wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die Anforderungen an die Einhaltung von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) stehen Unternehmen zunehmend in der Pflicht, nachzuweisen, dass ihre Lieferketten menschenrechtliche und umweltbezogene Standards einhalten. Diese Verpflichtungen umfassen nicht nur die Einhaltung von Arbeits- und Umweltstandards, sondern auch die Nachverfolgbarkeit von Lieferketten und die Reduktion von CO₂-Emissionen. Für viele Unternehmen stellt dies eine erhebliche Herausforderung dar, insbesondere weil es schwierig sein kann, geeignete nachhaltige Lieferanten zu finden. Die Suche nach Partnern, die dieselben hohen Standards erfüllen, behindert häufig die Erreichung eigener Nachhaltigkeitsziele.
Ein weiteres Problem ist die Umsetzbarkeit dieser Maßnahmen in der Praxis. Besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) sehen sich oft überfordert, die komplexen Berichterstattungs- und Nachweispflichten zu erfüllen. Verstöße gegen diese Regelungen können zu empfindlichen Strafen und sogar zum temporären Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen (sog. Vergabesperren) führen. Dies erhöht den Druck auf Unternehmen, ihre Prozesse zu beurteilen, im Sinne der Nachhaltigkeit zu optimieren und gleichzeitig transparent zu dokumentieren.
Gleichwohl: Auch der kürzlich vom BMWK vorgelegte Referentenentwurf zum Vergabetransformationsgesetz sieht vor, dass öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe mindestens ein soziales oder umweltbezogenes Kriterium berücksichtigen müssen. Bisher war dies rechtlich unverbindlich ausgestaltet. Hier gilt es, die weitere Entwicklung im Gesetzgebungsverfahren im Auge zu behalten. Selbst bei einem Regierungswechsel wird sich diese Entwicklung nicht aufhalten lassen, da auch die EU die Nachhaltigkeit bei der Vergabe öffentlicher Aufträge im Fokus hat.
2. Digitalisierung: Chance und Hürde zugleich
Ein weiterer zentraler Punkt, der Unternehmen im Zusammenhang mit der öffentlichen Hand bewegt, ist die fortschreitende Digitalisierung der Vergabeverfahren. Die eVergabe, also die vollständig digitale Abwicklung von Ausschreibungen und Angebotsabgaben, ist mittlerweile seit einigen Jahren Standard. Doch was auf den ersten Blick als Effizienzgewinn erscheint – und es letztlich auch ist –, stellte und stellt Unternehmen zunächst vor technische und organisatorische Hürden. Die Anpassung an verschiedenste Softwarelösungen, die Notwendigkeit zur digitalen Unterschrift und die Einhaltung von Fristen in einem elektronischen Umfeld bedeuten für viele Firmen einen nennenswerten Umstellungsaufwand.
Für die Unternehmen bedeutet die Digitalisierung der Beschaffung, dass sie in technologische Infrastruktur und personelle Kapazitäten investieren müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Gleichzeitig bietet die Digitalisierung aber auch Chancen: Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz können Unternehmen ihre Ausschreibungsstrategien optimieren, Prozesse automatisieren und Risiken im Vergabeverfahren minimieren. Hier sind vor allem innovative Unternehmen gefragt, die digitale Tools nutzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und den Anforderungen der öffentlichen Hand gerecht zu werden.
3. Komplexe Vergabeverfahren und Bürokratie
Trotz aller Digitalisierungsfortschritte und Flexibilisierungsbemühungen des Gesetzgebers – erkennbar auch an dem jüngst vorgelegten Vergabetransformationsgesetz des Bundes – bleibt das Vergaberecht ein stark reguliertes Feld, das von Unternehmen umfassendes Wissen und Erfahrung verlangt. Gerade für Unternehmen, die neu im Bereich der öffentlichen Beschaffung sind, wirken die Verfahren oft undurchsichtig und bürokratisch. Die Vielzahl an Vorschriften und die strengen formalen Anforderungen führen dazu, dass schon kleine Fehler, wie etwa das Fehlen eines Dokuments oder fehlerhafte Angaben im Angebot, zum Ausschluss aus dem Verfahren führen können.
Ein oft geäußerter Wunsch der Unternehmen ist es, dass die Vergabeverfahren vereinheitlicht und entbürokratisiert werden. Derzeit gibt es im Bund und in den einzelnen Ländern für verschiedene Sektoren und Schwellenwerte unterschiedliche Regelungen, was die Vorbereitung von Angeboten für die Unternehmen erschwert. Auch der hohe Verwaltungsaufwand wird kritisch gesehen. Einige Unternehmen beklagen zudem den Mangel an direktem Dialog mit den öffentlichen Auftraggebern, der notwendig wäre, um innovative Lösungen und maßgeschneiderte Angebote zu entwickeln. Spielräume, die öffentliche Vergabestellen diesbezüglich bei der Ausgestaltung des Vergabeverfahrens durchaus hätten, bleiben leider nicht selten ungenutzt.
Um ihre Notwendigkeiten und auch die Marktüblichkeiten rechtzeitig ins Spiel zu bringen, sollten sich Unternehmen nicht scheuen, proaktiv an öffentliche Auftraggeber heranzutreten und eine Beratung anzubieten oder eine Markterkundung anzuregen. So können Vergabestellen schon bei der Vorbereitung von Ausschreibungen legal vom Know-how der Unternehmen profitieren und vermeiden, dass sie – aufgrund unzureichender Branchen- und Marktkenntnis – am Markt vorbei ausschreiben und enttäuschende Ergebnisse erzielen.
4. Innovationen und der Weg in die Zukunft
Trotz dieser Herausforderungen gibt es auch zahlreiche Chancen, insbesondere für Unternehmen, die innovative Produkte und Dienstleistungen anbieten. Öffentliche Auftraggeber zeigen zunehmend Interesse an innovativen Lösungen, die zur Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltung beitragen. Programme wie Innovationspartnerschaften ermöglichen es Unternehmen, ihre neuen Technologien im öffentlichen Bereich zu testen und weiterzuentwickeln. Dies bietet insbesondere Start-ups und Technologieunternehmen die Möglichkeit, mit der öffentlichen Hand ins Geschäft zu kommen.
Einige Bundesländer gehen hier voran und führen für ihren Bereich – das heißt unterhalb der EU-Schwellenwerte – Experimentierklauseln ein, die es erlauben, bei bestimmten Projekten den Vergabeprozess zu vereinfachen und nur ein Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern oder Start-ups – also jungen Unternehmen mit innovativen Geschäftsideen und Skalierungspotenzial – direkt zu beauftragen.
Auch hier wären bundesweit einheitliche Standards wünschenswert – ein Flickenteppich an Landesregelungen ist suboptimal.
Fazit
Die Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand bleibt ein wichtiger, aber herausfordernder Markt für Unternehmen. Der Druck, nachhaltiger zu agieren, die fortschreitende Digitalisierung und die Komplexität der Vergabeverfahren stellen Unternehmen vor erhebliche Aufgaben. Gleichzeitig bieten Innovationen und der Wandel der öffentlichen Beschaffung zahlreiche Chancen für Firmen, die bereit sind, sich den neuen Anforderungen anzupassen, in einen Dialog mit der öffentlichen Hand einzutreten und ihre Prozesse zu optimieren. Wer diese Herausforderungen meistert, kann von den großen – und weitgehend krisensicheren – Auftragsvolumen der öffentlichen Hand profitieren und langfristige Partnerschaften aufbauen.