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Betriebsübergang nach § 613a BGB oder Funktionsnachfolge?

Von Jan-Philipp Koslowski, Hannover | Manuel Sack, Braunschweig

Ein Betrieb oder Teilbetrieb ist zu erwerben oder ein Großauftrag zu übernehmen. Das betriebliche Know-how bzw. die Kundenbeziehungen erscheinen attraktiv. Viele Unternehmer scheuen jedoch die arbeitsrechtlichen Risiken oder unterschätzen sie. Tatsache ist, wenn ein Betrieb- oder Betriebsteil gemäß § 613a BGB übernommen wird, gehen kraft Gesetzes auch alle Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber über. Aber wann liegt ein solcher Betriebsübergang vor und wann nicht?

Betriebsübergang oder nicht?

Der Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils setzt voraus, dass eine wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität auf den Erwerber übergeht. Alter oder neuer Inhaber können natürliche Personen, Personen­gesellschaften oder juristische Personen des privaten oder öffentlichen Rechts sein. Bleibt das Rechts­subjekt des Betriebs­inhabers identisch, fehlt es an einem Betriebs­übergang. Beispielsweise berührt ein Gesellschafter­wechsel die Identität einer GmbH als Rechtssubjekt nicht und führt zu keinem Betriebs­übergang. Dies gilt auch dann, wenn alle Gesellschafter ihre Gesellschafts­anteile auf einen oder mehrere Erwerber übertragen. Der für einen Betriebs­übergang notwendige Wechsel des Betriebsinhabers muss sich im Wege der Einzel­rechts­nachfolge vollziehen, d. h. durch einen Vertrag (Rechts­geschäft). Betriebs­übergänge, die sich im Wege der Gesamt­rechts­nachfolge – z. B. durch Erbfall oder kraft Gesetzes – vollziehen, fallen daher nicht unter den Anwendungsbereich des § 613a BGB.

Nicht erforderlich ist ein Rechtsgeschäft direkt zwischen dem Betriebs­veräußerer und dem Betriebs­erwerber. Gehen bspw. bei einem Pächterwechsel die vom Verpächter gestellten wesentlichen Betriebsmittel von einem Pächter auf einen anderen über, so reicht dies aus, auch wenn das Pachtobjekt zunächst an den Verpächter zurückfällt und dann von diesem an einen neuen Pächter verpachtet wird. Weitere Beispiele sind Miet-, Kauf-, Schenkungs- und Nießbrauchs­verträge. Stellt ein Insolvenzverwalter die Betriebs­tätigkeit des insolventen Unternehmens ein und überlässt einem Dritten die bisherigen Betriebsmittel zur Nutzung und dieser führt mit den bisherigen Arbeitnehmern und den übernommenen Betriebsmitteln die wirtschaftliche Tätigkeit fort, liegt ein Betriebs­übergang im Sinne des § 613a BGB vor. Nicht erforderlich ist, dass die Betriebsmittel aufgrund eines wirksamen Kaufvertrags erworben worden und in das Eigentum des Dritten übergegangen sind. Entscheidend sind der Übergang und die Fortführung einer wirtschaftlichen Einheit.

Diese besteht aus einer organisa­torischen Gesamtheit von Personen und Sachen zum Zwecke einer auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Frage, ob ein Betriebsübergang stattgefunden hat oder absehbar stattfinden wird, sind immer die Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Von entscheidender Bedeutung sind dabei insbesondere:

  • die Art des betreffenden Betriebs,
  • der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter,
  • der Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs,
  • die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber,
  • der Übergang oder Nichtübergang der Kunden,
  • der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit.

Auch ist zu unterscheiden, ob es sich um einen betriebs­mittel­geprägten oder einen betriebsmittelarmen Betrieb handelt. Ersteres findet man häufig im produzierenden Gewerbe, letzteres eher im Dienstleistungsbereich.

In betriebsmittelgeprägten Betrieben ist die Übernahme von wesentlichen immateriellen (z. B. Kundenkontakte, Auftragsbestand, Marktstellung) und sachlichen Betriebsmitteln wichtiges Indiz dafür, dass eine wirtschaftliche Einheit in ihrer ursprünglichen Identität fortgeführt wird. Die Betriebsmittel sind hier meist zur Auftrags­neuvergabe wesentlich, denn ihr Einsatz macht den Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktions­zusammen­hangs aus. Jedoch reicht etwa beim Betrieb eines Lagers die bloße Übernahme der sachlichen Betriebsmittel allein nicht aus. Erforderlich wäre hier zusätzlich die Übernahme der Art und Weise der Lagerhaltung und der Lagerordnung, nicht aber des Lager­bewirt­schaftungs­systems oder eines bestimmten Datenbestands.

In betriebsmittelarmen Betrieben, in denen es hauptsächlich auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, ist ein Betriebs­übergang grundsätzlich dann anzunehmen, wenn

  • der neue Betriebsinhaber die betreffende Tätigkeit weiterführt und
  • er einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil der Belegschaft (sog. Hauptbelegschaft) übernimmt.

Je geringer die Qualifikation der Arbeitnehmer ist, umso höher muss die Zahl der Übernommenen sein. Werden bei einer Fremdvergabe eines Reinigungsauftrags lediglich die Hälfte der Reinigungs­kräfte übernommen, an deren Sachkunde keine besonderen Anforderungen zu stellen sind, so liegt nach aktueller Rechtsprechung kein Betriebs­übergang im Sinne des § 613a BGB vor.

Auftrags- und Funktionsnachfolge/Outsourcing

Bleiben künftig aber nur der Auftrag und der Alleinauftraggeber identisch, liegt kein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB, sondern eine Auftragsnachfolge vor.

An der erforderlichen wirtschaftlichen Einheit fehlt es, wenn nur eine bestimmte Tätigkeit fortgeführt wird. Ohne Fortführung einer betrieblichen Organisations­struktur liegt nach aktueller Rechtsprechung des Bundes­arbeits­gerichtes kein Betriebsübergang, sondern eine bloße Funktionsnachfolge vor. Outsourcing als bloße Fremdvergabe einer bisher im eigenen Betrieb durchgeführten Aufgabe ist ohne die Übernahme von Personal oder Arbeitsmitteln durch den neuen Auftragnehmer kein Betriebsübergang.

Auch bei der Übertragung von Betriebsteilen muss eine wirtschaftliche Einheit in ihrer ursprünglichen Identität bzw. eine funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenden Produktionsfaktoren, die es dem Erwerber erlaubt, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen, gewahrt bleiben. Das ist z. B. dann nicht der Fall, wenn mehrere Unternehmen einzelne Betriebsmittel eines vom Insolvenzverwalter stillgelegten Betriebs erwerben oder mieten. Denn die über­nommenen Betriebsmittel müssen bereits zuvor als abtrennbare organisatorische Einheit mit betrieblichem Teilzweck bestanden haben. Es reicht nicht aus, wenn der Erwerber mit einzelnen, bislang nicht teilbetrieblich organisierten Betriebsmitteln einen Betrieb oder Betriebsteil gründet.

Risiken für den Arbeitgeber

Die Übernahme betrieblicher oder teilbetrieblicher Strukturen bzw. sie ausmachender materieller oder immaterieller Sachwerte birgt stets die Gefahr der Inanspruch­nahme durch die bisherigen Arbeitnehmer. Der Übernehmer riskiert, dass er nicht nur die bisherigen Arbeitsverhältnisse fortsetzen oder kostspielig beenden muss. Auch kann er unter Umständen für offene Forderungen der Arbeitnehmer gegen den bisherigen Betriebs­inhaber haftbar gemacht werden. Allerdings sind diese Risiken kalkulierbar und selten unvermeidlich, wie die oben dargestellten Beispiele zeigen.

Foto: Panthermedia/Pellocks

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