Artikel erschienen am 18.04.2016
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Aufträge frei Haus

Chancen öffentlicher Vergabeverfahren

Von Dr. iur. Tim Paul Gorgass, LL.M., Hannover | Jörg Offenhausen, Hannover

Über 400 Mrd. Euro jährlich und somit über 15 % des Bruttoinlandsprodukts werden im Wege von öffentlichen Aufträgen vergeben1. Nach den Regelungen des Vergaberechts haben alle Unternehmen freien Zugang zu diesem Marktpotenzial, sie sind gleich zu behandeln und die Vergabeverfahren sind in transparenter Weise durchzuführen. Darüber hinaus wird den Interessen von mittelständischen Unternehmen und auch von Newcomern in vielen Vergaberechtsvorschriften Rechnung getragen. Das neue ab dem 17.04.2016 geltende Vergaberecht soll weitere Vereinfachungen und Erleichterungen, wie die vollständige Bereitstellung von elektronischen Vergabeunterlagen für Bieter, mit sich bringen. Insofern sollte sich jedes Unternehmen mit den Chancen und Risiken bei der Beteiligung an Ausschreibungen von öffentlichen Einrichtungen wie Städten, Gemeinden, (Bundes-)Ämtern, gesetzlichen Krankenkassen etc. beschäftigen. Nachfolgend werden Chancen und Risiken bei öffentlichen Aufträgen aufgezeigt und insbesondere Vorurteile und Argumente gegen öffentliche Aufträge widerlegt. Außerdem wird kurz auf die häufigsten Bieterfehler und deren Vermeidung eingegangen.


Ab Schwellenwerten von 209 000 Euro bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen und 5 255 000 Euro bei Bauvorhaben müssen die Vorhaben EU-weit bekannt gegeben werden. Diese Aufträge lassen sich im Supplement des EU-Amtsblatts auffinden. Dieses Portal kann auch Notifikations-E-Mails versenden, wenn eine neue Ausschreibung bekannt gegeben wird, für die ein Suchbegriff eingespeichert wurde. Die Vergabeverfahren, deren geschätzter Wert unterhalb dieser Schwellenwerte liegt, lassen sich ebenfalls kostenlos auf dem Portal www.bund.de auffinden. Die Aufträge sind also komfortabel zu finden.

Verfahrensarten

Ausschreibungen werden im Wesentlichen in offenen und nichtoffenen Verfahren2 durchgeführt. Bei dem offenen Verfahren gibt es eine Frist, innerhalb derer die Bieter ihr vollständiges Angebot einreichen, welches anschließend daraufhin geprüft wird, ob die Bieter grundsätzlich geeignet sind und welches Preis-Qualitäts-Verhältnis ihre Leistung aufweist. Bei dem nichtoffenen Verfahren wird die Eignungsprüfung vorgezogen und nur die Bieter zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert, deren Eignung zuvor festgestellt wurde. Ein Unterfall des nichtoffenen Verfahrens bildet das Verhandlungsverfahren, bei dem in einem rechtlich vorgegebenen Rahmen Verhandlungen durchgeführt werden, in denen insbesondere Optimierungs- und Einsparpotenziale durch die Bieter aufgezeigt werden können. Das Verhandlungsverfahren bietet große Vorteile für die Unternehmen. Einerseits, weil sie ihr Angebot bei dem öffentlichen Auftraggeber persönlich vorstellen können, andererseits, weil im Rahmen der Verhandlungen das Angebot noch nachgebessert werden kann. Somit können etwaige Risikoaufschläge auch noch nach Abgabe des ersten Angebots reduziert und somit der Angebotspreis günstiger kalkuliert werden. Daher bietet hier das neue Vergaberecht einen Vorteil, weil dieses das Verhandlungsverfahren als Regelverfahren vorsieht. Nach dem noch bis zum 16.04.2016 geltenden Recht ist es ein Ausnahmeverfahren und darf nur mit Begründung gewählt werden.

Rechtliche Überprüfung

Bei Vorliegen von Vergaberechtsverstößen innerhalb von EU-weiten Vergabeverfahren steht den Bietern ein eigenes Rechtschutzsystem nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und den Vergabeordnungen VOL/A und VOB/A zur Seite. Zunächst wenden sich die Bieter gegen die ausschreibende Stelle mit der Bitte, ein vergaberechtswidriges Verhalten zu unterlassen (Rüge). Hilft die Vergabestelle der Rüge nicht ab, können die Bieter die Vergabekammer des jeweiligen Bundeslandes anrufen. Gegen die Entscheidung der Vergabekammern kann das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde bei dem Vergabesenat eines Oberlandesgerichts eingelegt werden. Insofern stehen die bietenden Unternehmen den öffentlichen Auftraggebern nicht schutzlos gegenüber. Im Bereich der nationalen Verfahren, also unterhalb der vorgenannten Schwellenwerte, steht den Bietern zwar ein nur geringer Rechtschutz vor den ordentlichen Gerichten zur Seite, im Gegenzug sind diese Verfahren aber auch regelmäßig mit einem verringerten Aufwand und niedrigeren Anforderungen durchführbar als im EU-weiten Bereich. Zu beachten ist, dass ab dem Erkennen möglicher Vergaberechtsverstöße Fristen zu laufen beginnen, innerhalb derer das Verfahren gerügt und ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden kann. Wegen der Komplexität des Vergaberechts und dieser Fristen ist es zu empfehlen, mögliche Vergabeverstöße durch einen Rechtsanwalt überprüfen zu lassen.

Vermeintliche Argumente gegen öffentliche Aufträge

Von Unternehmern werden häufig Argumente vorgebracht, die gegen die Beteiligung an öffentlichen Vergabeverfahren sprechen. Hierzu zählen:

  • Die Erstellung der Angebotsunterlagen sei viel zu komplex und langwierig und stehe daher in keinem Verhältnis zu der geringen Chance, den Auftrag zu erhalten.
  • Auf den Verlauf des Vergabeverfahrens könnte zu wenig Einfluss genommen werden.
  • Die öffentlichen Auftraggeber würden am Ende doch einfach den nehmen, den sie wollen.

Aus Sicht von Vergaberechtsexperten lassen sich diese Argumente nahezu vollständig widerlegen

Die Chance auf den Zuschlag und damit die Entscheidung zur Teilnahme am Verfahren lässt sich grundsätzlich anhand der Vergabeunterlagen abschätzen, sodass auch unnötiger Aufwand vermieden werden kann. Die erste Teilnahme an einem öffentlichen Verfahren ist zwar mit einem höheren Aufwand verbunden, durch das stark formalisierte und gesetzlich geregelte Verfahren verringert sich dieser aber drastisch mit der Anzahl der dann folgenden Verfahren. Ist ein Angebotsentwurf erst einmal als Basis entwickelt, sind es häufig nur einige Detailanpassungen, die vorgenommen werden müssen. Die Angaben zur Eignungsprüfung sind oft identisch und Änderungen ergeben sich nur in Hinblick auf den eigentlichen Leistungsgegenstand. Bei der ersten Zusammenstellung und später zur Qualitätssicherung ist es empfehlenswert, Vergaberechtsspezialisten hinzuzuziehen, um unnötige Formfehler zu vermeiden und Möglichkeiten, wie die Zueigenmachung fremder Referenzen im Wege einer sog. Eignungsleihe von Partnerunternehmen, voll auszunutzen.

In jedem Verfahren kann zumindest durch Bieterfragen Einfluss genommen werden. Bei allen Unklarheiten und Widersprüchen sollte in professioneller, höflicher und dennoch bestimmter Form nachgefragt werden. Auf diese Weise kann bspw. eine unzulässige Produktvorgabe hinterfragt werden oder einfach nur ein bis dahin unerkannter Fehler in den Vergabeunterlagen aufgedeckt werden. Die Erstellung der Vergabeunterlagen ist je nach Größe der öffentlichen Stelle und des dort vorhandenen Vergaberechts-Know-hows ein schwieriges Unterfangen. Insofern ist die Vergabestelle oft dankbar, wenn durch Bieterfragen und Antworten Missverständnisse und unbewusst aufgestellte ungünstige oder gar falsche Vorgaben noch innerhalb der Angebotsfrist korrigiert werden können. Auch hier kann die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts von Vorteil sein, weil dieser mit dem nötigen Augenmaß über die Quantität und Qualität der zu stellenden Fragen entscheiden kann.

Gerade bei Oberschwellenverfahren erreichen die gesetzlichen Vorgaben oft ihr Ziel, indem sie eine Vergabe zwingend im Wettbewerb voraussetzen und eine willkürliche Vergabe von Aufträgen vermeiden. Sollte sich dennoch der Eindruck aufdrängen, die Vergabestelle behandele die Bieter – bewusst oder unbewusst – nicht gleich oder gestalte das Verfahren intransparent, kann zunächst in Form von Bieterfragen um eine Korrektur gebeten werden. Bleibt dies erfolglos, kann weiter in Form einer Rüge der Rechtsverstoß gegenüber der ausschreibenden Stelle geltend gemacht werden. Bei Nichtabhilfe kann anschließend ein Nachprüfungsverfahren bei der Vergabekammer durchgeführt werden.

Häufige Fehler bei der Erstellung der Angebote

Die häufigsten Fehler betreffen die Form. Hier führen oft vermeintlich kleine Unachtsamkeiten, wie eine fehlende Unterschrift, zu dem Ausschluss des Angebots aus dem Verfahren. Auch wird vielfach im Bereich der Eignungsnachweise, vor allem Referenzen, zu wenig Zeit investiert, um wirklich passende Referenzen heranzuziehen. In diesem Fall kann auch immer erwogen werden, mit einem Partner in Bietergemeinschaft oder Nachunternehmerschaft anzubieten, um sich dessen Eignung zunutze zu machen (Eignungsleihe). Außerdem ist auffallend, dass viele Bieter sich zu wenig mit der Gewichtung der einzelnen Anforderungen in den Leistungsbeschreibungen beschäftigen. Die einzelnen Gewichtungen der Fragen müssen in den Vergabeunterlagen mitgeteilt werden. Daher sollte darauf geachtet werden, bzgl. einzelner Anforderungen nur dann eine aufwendige und damit teure Leistung anzubieten, wenn hierfür relativ viele Punkte vergeben werden.

Viele dieser Fehler lassen sich schlicht mit Checklisten in den Griff bekommen, die durch den Bieter selbst oder in Zusammenarbeit mit einem das Verfahren begleitenden Rechtsanwalt entwickelt werden können. Dies kann ebenso in einem separaten oder einem verfahrenbegleitenden Workshop geschehen, in welchem auch Angebotsstrategien erörtert werden können, die sich z. B. auf eine Kooperation mit einem Geschäftspartner oder Vorlieferanten beziehen, um bestimmte Eignungsanforderungen zu erfüllen.

Fazit

Insgesamt ist festzuhalten, dass öffentliche Aufträge ein sehr großes Potenzial für Unternehmen bieten. Durch die Veröffentlichungspflicht bestehen gute Möglichkeiten, von diesen Verfahren zu erfahren. Durch die starke gesetzlich vorgegebene Formalisierung nimmt der zu investierende Zeitaufwand von Verfahren zu Verfahren ab. Zumindest durch Bieterfragen können die Unternehmen Einfluss auf das Verfahren nehmen und frühzeitig auf ungünstige oder gar falsche Regelungen und Vorgaben in den Vergabeunterlagen hinweisen. Reagiert eine Ver­gabestelle nicht auf solche Bitten und Anregungen, kann ein Vergabeverstoß gerügt und anschließend ein Nachprüfungsverfahren beantragt werden. In jedem Verfahrensstadium hat der Bieter einen mehr oder weniger großen Gestaltungsspielraum, den es auszuloten gilt. Die Hinzuziehung eines auf das Vergaberecht spezialisierten Rechtsanwalts kann hier in vielfacher Hinsicht von Vorteil sein. So kann dieser erhebliche vergebliche Angebotserstellungskosten verhindern, wenn eine Prüfung ergibt, dass die Beteiligung an einem Verfahren nicht sinnvoll ist. Andererseits können mit anwaltlicher Unterstützung auch die Weichen in Hinblick auf einen Zuschlag gestellt werden.

Fußnoten

1WirtschaftsWoche: Die besten Anwälte für Vergaberecht
2 So die Begrifflichkeit in EU-weiten Vergabeverfahren. Im Unterschwellenbereich bzw. nationalen Verfahren werden diese als öffentliche und beschränkte Ausschreibungen bezeichnet.

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