Artikel erschienen am 01.04.2014
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Neues Reisekostenrecht

Die zentrale Bedeutung der ersten Tätigkeitsstätte

Von Anika Reckmann, Hannover

„Wenn einer eine Reise tut ...“ – nicht nur Literaten (wie Matthias Claudius) haben sich schon immer intensiv mit dem Reisen beschäftigt, auch das Steuerrecht hat sich diesen Lebensbereich zu eigen gemacht und legt fest, wer überhaupt „reist“ und wie solche Reisen bei beruflicher Veranlassung steuerlich zu berücksichtigen sind.

In der Vergangenheit kam es bei der steuerlichen Beurteilung von Reisekosten immer wieder zu Rechtsunsicherheiten. Es gab kaum gesetzliche Normierungen. Rechtsprechung und Finanzverwaltung haben häufig unterschiedliche Auslegungen der bestehenden Richtlinien vorgenommen. Der Gesetzgeber hat daher nun reagiert und mit Wirkung zum 01.01.2014 steuerliche Neuregelungen zum Reisekostenrecht geschaffen, die im Ergebnis Rechtsklarheit und deutliche Vereinfachungen herbeiführen sollen. Auch die Finanzverwaltung hat ihre Interpretation der Vorschriften zeitnah in einem ausführlichen BMF-Schreiben erläutert, um den Anwendern den Einstieg in die Neuregelungen zu erleichtern.

Kern dieser Neuregelungen im Reisekostenrecht ist die gesetzliche Definition des zentralen Begriffs „erste Tätigkeitsstätte“, welcher den bisherigen durch Finanzverwaltung und Rechtsprechung fortentwickelten Begriff der „regelmäßigen Arbeitsstätte“ ersetzt. Eine Reise, die sog. Auswärtstätigkeit, liegt immer nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb der eigenen Wohnung sowie außerhalb seiner ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig wird. Nur unter dieser Voraussetzung greifen die Rechtsfolgen des Reisekostenrechts zu Verpflegungsmehraufwendungen, Mahlzeitengestellung, Fahrt- und Übernachtungskosten. Da bei Anwendung des Reisekostenrechts in der Regel durch den Arbeitnehmer höhere Aufwendungen geltend gemacht werden können bzw. ein steuerfreier Ersatz durch den Arbeitgeber gezahlt werden kann, ist die Frage nach der ersten Tätigkeitsstätte für Arbeitnehmer und Arbeitgeber von zentraler Bedeutung.

Die erste Tätigkeitsstätte wird definiert als „die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist“. Wesentlich sind somit die Merkmale der „ortsfesten betrieblichen Einrichtung“ sowie der „dauerhaften Zuordnung“, welche im Folgenden betrachtet werden. Zukünftig kann nur noch eine einzige erste Tätigkeitsstätte oder ggf. auch gar keine erste Tätigkeitsstätte je Arbeitsverhältnis vorliegen. Liegt keine erste Tätigkeitsstätte vor, stellen grundsätzlich alle Tätigkeiten außerhalb der Wohnung eine Auswärtstätigkeit (Reise) dar.

Fahrzeuge, Schiffe oder Flugzeuge können nie eine erste Tätigkeitsstätte begründen, da keine ortsfeste betriebliche Einrichtung vorliegt. Gleiches wird regelmäßig für Tätigkeiten in weiträumigen Gebieten, wie z. B. Häfen oder Wälder, gelten. Wer daher in einem solchen Gebiet tätig ist, „reist“ also im steuerlichen Sinne fast immer. Ebenso ist ein häusliches Arbeitszimmer zwar ortsfest, aber keine betriebliche Einrichtung und somit nie erste Tätigkeitsstätte.

Die ortsfeste betriebliche Einrichtung kann sich neuerdings auch bei einem anderen als dem (lohnsteuerlichen) Arbeitgeber befinden, wie beispielsweise bei verbundenen Unternehmen des Arbeitgebers oder auch bei Dritten, wie dem Kunden oder einem Entleiher bei Leiharbeitsverhältnissen. Damit wird eine bisher bestehende gegensätzliche Auffassung zwischen Rechtsprechung und Finanzverwaltung beseitigt. Insbesondere im Bereich der Leiharbeitsverhältnisse führt dies zu einer Neuerung. Wo beispielsweise bislang beim Entleiher in der Regel keine regelmäßige Arbeitsstätte bestehen konnte und somit das günstigere Reisekostenrecht anwendbar war, kann es nun ab 2014 zu einer ersten Tätigkeitsstätte kommen. Somit können dort auch steuerlich vorteilhaftere Reisekostenerstattungen wegfallen.

Für die dauerhafte Zuordnung gibt der Gesetzgeber ein zweistufiges Prüfungsschema vor:
Im ersten Prüfungsschritt ist die Entscheidung des Arbeitgebers hinsichtlich der dauerhaften Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer Tätigkeitsstätte vorrangig maßgeblich (sog. Direktionsrecht des Arbeitgebers). Erst im zweiten Prüfungsschritt nimmt der Gesetzgeber selber eine Zuordnung vor, wenn der Arbeitgeber dies unterlässt.

1. Dauerhafte Zuordnung durch Prognoseentscheidung des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber trifft seine Zuordnungsentscheidung vorrangig durch eine eindeutige Festlegung einer ersten Tätigkeitsstätte in den dienst- oder arbeitsvertraglichen Regelungen. Möglich sind schriftliche oder auch mündliche Vereinbarungen, soweit diese nachvollziehbar dokumentiert sind. Denkbar ist neben dem Arbeitsvertrag auch eine Dokumentation in Tarifverträgen, anderen dienstrechtlichen Verfügungen, Einsatzplänen, Reisekostenrichtlinien und -abrechnungen sowie ggf. Protokollnotizen. Es empfiehlt sich aber immer, eine eindeutige schriftliche Zuordnung im Arbeitsvertrag bzw. in Nebenabreden vorzunehmen, um einen hohen Grad an Rechtssicherheit zu erlangen.

Die Zuordnung des Arbeitgebers muss darüber hinaus nicht nur eindeutig, sondern insbesondere auch dauerhaft sein. Unter Dauerhaftigkeit wird die Zuordnung eines Arbeitnehmers für

  • einen unbefristeten Zeitraum („bis auf Weiteres“) oder
  • die Dauer des Dienstverhältnisses oder
  • einen Zeitraum von mehr als 48 Monaten

verstanden.

Das Kriterium der Dauerhaftigkeit ist als Prognose jeweils zu Beginn der Tätigkeit zu beurteilen und nicht im Rahmen einer Ex-post-Betrachtung. Demzufolge ist zu Beginn eine realistische Einschätzung über den geplanten Einsatz der Arbeitnehmer zu treffen, welche dann maßgeblich ist. Sollten sich die Verhältnisse im Zeitablauf wesentlich ändern (z. B. Wechsel vom Außen- in den Innendienst), ist ab diesem Zeitpunkt eine neue Prognose zu treffen. Die alte Prognose und die daraus ggf. resultierende Festlegung der ersten Tätigkeitsstätte bleiben für den davor liegenden Zeitraum unverändert bestehen.

Der Umfang der Tätigkeit des Arbeitnehmers an seiner ersten Tätigkeitsstätte ist für die Zuordnung durch den Arbeitgeber unerheblich. So genügt es, wenn er dort nur in ganz geringem Umfang tätig werden soll. Auch Tätigkeiten von untergeordneter Bedeutung, wie z. B. Hilfs- oder Nebentätigkeiten (Auftragsbestätigungen abgeben/abholen, Stundenzettel einreichen etc.) sind ausreichend. Lediglich wenn der Arbeitnehmer an der festgelegten Tätigkeitsstätte gar keine Tätigkeit ausübt und die Zuordnung nur „formal“ aus tarif- bzw. mitbestimmungsrechtlichen oder organisatorischen Gründen erfolgt, ist diese Zuordnung unerheblich und es liegt dort keine erste Tätigkeitsstätte vor.

2. Dauerhafte Zuordnung anhand quantitativer Kriterien des Gesetzgebers

Erst wenn der Arbeitgeber keine eindeutige Zuordnungsentscheidung trifft oder diese nicht das Kriterium der Dauerhaftigkeit erfüllt, greifen im zweiten Schritt die „Ersatzkriterien“ des Gesetzgebers. Demnach liegt eine erste Tätigkeitsstätte immer dann vor, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit

  • mindestens zu 1/3 seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit oder
  • 2 volle Arbeitsstage in der Woche oder
  • typischerweise arbeitstäglich

an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung ausübt.

Auch diese gesetzlich vorgegebene quantitative Zuordnung ist anhand einer Prognose zu Beginn des Arbeitsverhältnisses zu beurteilen. Diese ist ebenfalls nur anzupassen, wenn sich die Verhältnisse maßgebend ändern.

Im Gegensatz zur Arbeitgeberzuordnung sind hier Hilfs- und Nebentätigkeiten nicht ausreichend, um die quantitativen Kriterien einer Tätigkeitsstätte zu erfüllen. Die an der Tätigkeitsstätte auszuübende Arbeit muss Haupttätigkeiten des Arbeitnehmers umfassen.Treffen die quantitativen Kriterien bei einem Arbeitnehmer auf mehrere Tätigkeitsstätten zu, kann der Arbeitgeber wiederum eine davon als erste Tätigkeitsstätte bestimmen. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob hier der überwiegende Teil der Arbeit verrichtet wird. Macht der Arbeitgeber von diesem Bestimmungsrecht keinen Gebrauch, wird diejenige zur ersten Tätigkeitsstätte bestimmt, die der Wohnung des Arbeitnehmers am nächsten liegt.

Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber seinem Ziel der Vereinfachung und der Schaffung anwendungsfreundlicher Regelungen sehr nahe gekommen ist. Der Arbeitgeber hat nunmehr die Möglichkeit, in eigener Entscheidung eine klare und eindeutige Zuordnung der ersten Tätigkeitsstätte vorzunehmen bzw. die Verhältnisse nach den „Ersatz“-Kriterien des Gesetzgebers zu beurteilen. Insbesondere durch die in die Zukunft gerichtete Prognoseentscheidung wird für Arbeitgeber und Arbeitnehmer Planungssicherheit geschaffen. Auch die Finanzverwaltung erkennt die Maßgeblichkeit der Arbeitgeberzuordnung unabhängig vom qualitativen und quantitativen Schwerpunkt der Tätigkeit an. Sie verweist aber auch hier auf die Grenzen des § 42 AO, der missbräuchliche Gestaltungen beanstandet und mahnt die Fremdüblichkeit von Vereinbarungen insbesondere bei Gesellschafter-Geschäftsführern, Arbeitnehmer-Ehegatten und mitarbeitenden Familienangehörigen an.

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