Insolvenzanfechtungsrecht
Von Dr. iur. Marc Ludwig, Hamburg1. Die Insolvenzanfechtung
Schon die alten Römer hatten die Erfahrung gemacht, dass ein Schuldner (in unserem Beispielfall: der Kunde) Teile seines Vermögens verschenkt oder verschiebt und damit erreichen will, dass seine Gläubiger leer ausgehen. Es entspricht zudem der Erfahrung, dass ein Schuldner im Vorfeld seiner Insolvenz einzelne Gläubiger bevorzugt und damit die Gesamtheit seiner Gläubiger ungleich behandelt wird. Diese Bevorzugung ausgewählter Gläubiger soll durch die Vorschriften der Insolvenzanfechtung unter bestimmten Voraussetzungen rückgängig gemacht werden. Diese Konstellation betrifft den eingangs geschilderten Fall: Der Insolvenzverwalter fordert Sie zur Rückerstattung der Zahlungen Ihres Kunden auf, weil die Zahlungen des Kunden vom Insolvenzverwalter als potenzielle Bevorzugung zu Ihren Gunsten und als Benachteiligung zulasten der Gläubigergesamtheit angesehen wird, die rückgängig gemacht werden soll.
Besondere Bedeutung hat das Insolvenzanfechtungsrecht deswegen, weil es mit dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung (InsO) im Jahr 1999 verschärft wurde und fraglich ist, ob die für dieses Jahr vorgesehene Reform des Insolvenzanfechtungsrechts wesentliche Erleichterungen für den Anfechtungsgegner bringen wird.
2a. Allgemeine Anfechtungsvoraussetzungen
Stets sind nur solche Rechtshandlungen anfechtbar, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden und die die Insolvenzgläubiger benachteiligen. Auch die angefochtenen Zahlungen an Sie aus unserem Beispielfall sind grundsätzlich gläubigerbenachteiligend. Der Insolvenzverwalter argumentiert: Wären die Zahlungen an Sie unterblieben, wären die entsprechenden Geldbeträge in der Insolvenzmasse noch vorhanden und könnten zur Befriedigung der Gläubigergesamtheit eingesetzt werden. Eine Gläubigerbenachteiligung liegt nach herrschender Meinung allerdings dann nicht vor, wenn es sich bei dem in Rede stehenden Leistungsaustausch (in unserem Beispielfall: Ware gegen Geld) um ein sog. Bargeschäft handelt. Ein unanfechtbares Bargeschäft liegt vor, wenn es um Leistungen geht, für die der Schuldner „unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung“ (in unserem Beispielfall: die gelieferten Waren an den Kunden) erhält. Allerdings hilft der sog. Bargeschäftseinwand dann nicht weiter, wenn die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO vorliegen.
2b. Besondere Anfechtungsvoraussetzungen
Steht fest, dass eine gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung aus der Zeit vor Insol-venzeröffnung vorliegt, ist noch nicht gesagt, dass diese Zahlung auch anfechtbar ist. Stets muss ein Anfechtungsgrund hinzukommen. Die in der Praxis wichtigsten Anfechtungsgründe sind die Kongruenzanfechtung (§ 130 InsO), die Inkongruenzanfechtung (§ 131 InsO) und die Vorsatzanfechtung (§ 133 Abs. 1 InsO).
a) Von der sog. Kongruenzanfechtung wird gesprochen, wenn einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht worden ist und wenn der Gläubiger einen Anspruch auf die Sicherung bzw. Befriedigung hatte. Solche kongruenten Rechtshandlungen sind jedoch nur dann anfechtbar, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung zahlungsunfähig war und dem Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit bekannt war. Schließlich sind nur solche kongruenten Rechtshandlungen anfechtbar, die nicht länger als drei Monate vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurden. In unserem Beispielfall haben Sie kongruente Zahlungen erhalten, weil Sie einen Anspruch auf Bezahlung Ihrer Ware hatten; allerdings spricht deswegen nichts für eine Kongruenzanfechtung, weil die Zahlungen nicht innerhalb der Drei-Monats-Frist vor Antragstellung vorgenommen wurden.
b) In Abgrenzung zur Kongruenzanfechtung wird die Anfechtung im Rahmen der sog. Inkongruenzanfechtung erleichtert, wenn dem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht wird, die er so nicht zu beanspruchen hatte. Der Gläubiger hat die angefochtene Deckung bspw. dann nicht zu beanspruchen, wenn ihm der Schuldner statt Zahlung einen Kundencheck überreicht oder eine Forderung abtritt. Auch Zahlungen, die der Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung erhalten hat, sind inkongruent. Es soll sich bei solchen inkongruenten Deckungen um „verdächtige“ Deckungen handeln, die unter geringeren Voraussetzungen anfechtbar sein sollen: Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit des Kunden kannte. Ebenso wie bei der Kongruenzanfechtung sind nur solche inkongruenten Rechtshandlungen anfechtbar, die nicht länger als drei Monate vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurden.
c) Der in der Praxis bedeutsamste Anfechtungsgrund ist die Vorsatzanfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO. Von der Vorsatzanfechtung werden Rechtshandlungen des Schuldners erfasst, mit denen die Insolvenzgläubiger wissentlich oder willentlich benachteiligt werden, wenn der Anfechtungsgegner diesen Vorsatz des Schuldners kannte. Die Vorsatzanfechtung greift dabei sogar für Rechtshandlungen, die bis zu zehn Jahre vor Insolvenzantragstellung zurückliegen.
Die Vorsatzanfechtung ist deswegen ein so „scharfes Schwert“ und eine so komplizierte Regelung, weil vom Gesetzgeber sowohl auf-seiten des Schuldners (Gläubigerbenachteiligungsvorsatz) als auch aufseiten des Anfechtungsgegners (Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz) subjektive Tatbestandsmerkmale eingeführt wurden, die anhand objektiver Kriterien nachgewiesen werden können. Dabei ist bei einer Kenntnis des Schuldners von seiner bloß drohenden Zahlungsunfähigkeit regelmäßig von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz auszugehen. Meistens legt der Insolvenzverwalter dar, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Zahlungen an Sie bereits (drohend) zahlungsunfähig war und deswegen mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelte. Allerdings: Die Behauptung, der Schuldner sei (drohend) zahlungsunfähig gewesen, bietet Verteidigungsmöglichkeiten für den Anfechtungsgegner.
Ähnlich sieht es bei der Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz aus. Kannte der Anfechtungsgegner die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, wird die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners vermutet. In unserem Beispielfall wird der Insolvenzverwalter behaupten, dass Sie wegen der vorangegangenen Mahnungen bzw. wegen der Bitte um Ratenzahlung wussten, dass der Schuldner zumindest drohend zahlungsunfähig war. Der Nachweis der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit ist zwar leichter zu erbringen, als man es gemeinhin für möglich hält. Dennoch gibt es gerade bei der Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners Argumentationsspielraum für den Anfechtungsgegner. So werden bspw. vorangegangene Mahnungen nicht ohne Weiteres den Rückschluss auf die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit zulassen. In unserem Beispielfall wird der Insolvenzverwalter vielmehr die Ratenzahlungsbitte des Schuldners verbunden mit dem Eingeständnis, er könne die Rechnungen nicht bezahlen, als Zahlungseinstellung und damit als Ausdruck der Zahlungsunfähigkeit deuten.
d) Rechtsfolge einer erfolgreichen Anfechtung ist die Rückgewähr desjenigen Vermögens, welches dem Gläubigerzugriff entzogen wurde. In der Regel sind die vereinnahmten Zahlungen zurückzuzahlen. In unserem Beispielfall dürften die Zahlungen nach der Mahnung eher nicht anfechtbar sein. Die Zahlungen nach dem Gespräch mit der Buchhaltung Ihres Kunden und dem Eingeständnis, mangels liquider Mittel nicht zahlen zu können, wären wohl anfechtbar.
3. Zusammenfassung und Ausblick
Das Insolvenzanfechtungsrecht ist fester Bestandteil des Wirtschaftsverkehrs, auf das sich jeder Unternehmer einstellen sollte. In der Verteidigung ist darauf zu achten, dass die Rechtsprechung ein enges Netz von Indizien gespannt hat, das sich der Insolvenzverwalter zunutze machen kann und das regelmäßig nur von ausgewiesenen Insolvenzanfechtungsspezialitäten beherrscht wird. Ob die geplante Insolvenzanfechtungsreform umgesetzt werden wird, steht derzeit noch nicht fest. Der Bundesrat hat im Gesetzgebungsverfahren Bedenken am Regierungsentwurf angemeldet. Die wichtigsten geplanten Änderungen aus dem Regierungsentwurf sind:
Im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Befriedigungen sollen nicht mehr als inkon-gruent anzusehen sein. Freilich können auch bei einer Umsetzung der Reform Zwangsvollstreckungsmaßnahmen unter den Voraussetzungen der Kongruenzanfechtung und Vorsatzanfechtung angefochten werden, sodass die Anfechtungsgefahr von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bei einer Umsetzung der Reform bestehen bleibt.
Im Rahmen der Vorsatzanfechtung sieht die Reform zwar eine Verkürzung des Anfech-tungszeitraums auf vier Jahre vor, sodass hier eine gewisse Erleichterung für den Anfechtungsgegner zu erwarten ist. In der Praxis werden die Auswirkungen jedoch eher gering sein, weil die Erfahrung zeigt, dass die meisten anfechtbaren Rechtshandlungen innerhalb einer Frist von vier bis fünf Jahren vor Insolvenzantragstellung vorgenommen werden. Ebenfalls im Bereich der Vorsatzanfechtung ist eine weitere Neuerung geplant: Bei kongruenten Deckungen soll die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht bereits dann vermutet werden, wenn der Anfechtungsgegner die drohende Zahlungsunfähigkeit kannte. Vielmehr muss der Anfechtungsgegner die eingetretene Zahlungsunfähigkeit gekannt haben. Mit Blick auf die in der Praxis wichtigen Ratenzahlungsbitten soll in § 133 InsO folgender Passus aufgenommen werden: „Hatte der andere Teil (also der Anfechtungsgegner) mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.“ Bei einer Umsetzung der Gesetzesreform ist jedoch kaum zu erwarten, dass Zahlungen auf der Grundlage von Ratenzahlungsvereinbarungen erheblich weniger angefochten werden. Vielmehr wird der Insolvenzverwalter genauere Recherchen anstellen, welche Begleitumstände zum Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung geführt haben. In diesem Sinne dürfte dem Anfechtungsgegner bei Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung dann nicht gedient sein, wenn er aus anderen Umständen weiß, dass sein Geschäftspartner zahlungsunfähig ist.