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Insolvenzan­fechtungsrecht

Von Dr. iur. Marc Ludwig, Hamburg

Stellen Sie sich bitte vor: Ihr Unternehmen beliefert einen Kunden mit Waren. Zu Beginn der langjährigen Geschäftsbeziehung kommt der Kunde seinen Zahlungs­verpflichtungen pünktlich nach. Im Laufe der Zeit verschlechtert sich jedoch die Zahlungsmoral Ihres Kunden. Oft zahlt der Kunde erst nach der ersten, zweiten oder gar dritten Mahnung. Es kommt auch vor, dass sich die Buchhaltung Ihres Kunden bei Ihnen meldet und um Ratenzahlung bittet. Begründet wird das Raten­zahlungs­ersuchen wahlweise damit, dass es Liquiditätsschwierigkeiten gebe oder derzeit mangels Liquidität nicht gezahlt werden könne. Im Laufe der Zeit werden sogar Zwangsvollstreckungsmaßnahmen notwendig. Weil Ihnen das Geschäftsgebaren zu „bunt“ wird, entschließen Sie sich, den Kunden nicht mehr mit Waren zu beliefern. Jahre später erhalten Sie Post vom Insolven­zverwalter des inzwischen insolventen Kunden und werden aufgefordert, ausgewählte Zahlungen Ihres Kunden zu erstatten. Der Insolvenz­verwalter beruft sich darauf, dass Ihr ehemaliger Kunde zum Zeitpunkt der Zahlungen an Sie zumindest drohend zahlungs­unfähig war und Ihnen dies nach den Umständen bekannt war. Müssen Sie der Zahlungs­aufforderung des Insolvenz­verwalters nachkommen?

1. Die Insolvenzanfechtung

Schon die alten Römer hatten die Erfahrung gemacht, dass ein Schuldner (in unserem Beispielfall: der Kunde) Teile seines Vermögens verschenkt oder verschiebt und damit erreichen will, dass seine Gläubiger leer ausgehen. Es entspricht zudem der Erfahrung, dass ein Schuldner im Vorfeld seiner Insolvenz einzelne Gläubiger bevorzugt und damit die Gesamtheit seiner Gläubiger ungleich behandelt wird. Diese Bevorzugung ausgewählter Gläubiger soll durch die Vorschriften der Insolvenzanfechtung unter bestimmten Voraussetzungen rückgängig gemacht werden. Diese Konstellation betrifft den eingangs geschilderten Fall: Der Insolvenz­verwalter fordert Sie zur Rückerstattung der Zahlungen Ihres Kunden auf, weil die Zahlungen des Kunden vom Insolvenz­verwalter als potenzielle Bevorzugung zu Ihren Gunsten und als Benachteiligung zulasten der Gläubiger­gesamt­heit angesehen wird, die rückgängig gemacht werden soll.

Besondere Bedeutung hat das Insolvenz­anfechtungs­recht deswegen, weil es mit dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung (InsO) im Jahr 1999 verschärft wurde und fraglich ist, ob die für dieses Jahr vorgesehene Reform des Insol­venz­anfechtungs­rechts wesentliche Erleichterungen für den Anfechtungs­gegner bringen wird.

2a. Allgemeine Anfechtungs­voraus­setzungen

Stets sind nur solche Rechtshandlungen anfechtbar, die vor Eröffnung des Insolvenz­verfahrens vorgenommen wurden und die die Insolvenz­gläubiger benachteiligen. Auch die angefochtenen Zahlungen an Sie aus unserem Beispielfall sind grundsätzlich gläubiger­benach­teiligend. Der Insolvenz­verwalter argumentiert: Wären die Zahlungen an Sie unterblieben, wären die entsprechenden Geld­beträge in der Insolvenz­masse noch vorhanden und könnten zur Befriedigung der Gläubiger­gesamtheit eingesetzt werden. Eine Gläubiger­benachteiligung liegt nach herrschender Meinung allerdings dann nicht vor, wenn es sich bei dem in Rede stehenden Leistungsaustausch (in unserem Beispielfall: Ware gegen Geld) um ein sog. Bargeschäft handelt. Ein unanfechtbares Bargeschäft liegt vor, wenn es um Leistungen geht, für die der Schuldner „unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung“ (in unserem Beispielfall: die gelieferten Waren an den Kunden) erhält. Allerdings hilft der sog. Bargeschäftseinwand dann nicht weiter, wenn die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO vorliegen.

2b. Besondere Anfechtungs­voraus­setzungen

Steht fest, dass eine gläubiger­benach­teiligende Rechts­handlung aus der Zeit vor Insol-venzeröffnung vorliegt, ist noch nicht gesagt, dass diese Zahlung auch anfechtbar ist. Stets muss ein Anfechtungs­grund hinzukommen. Die in der Praxis wichtigsten Anfechtungs­gründe sind die Kongruenzanfechtung (§ 130 InsO), die Inkongruenzanfechtung (§ 131 InsO) und die Vorsatzanfechtung (§ 133 Abs. 1 InsO).

a) Von der sog. Kongruenzanfechtung wird gesprochen, wenn einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht worden ist und wenn der Gläubiger einen Anspruch auf die Sicherung bzw. Befriedigung hatte. Solche kongruenten Rechtshandlungen sind jedoch nur dann anfechtbar, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung zahlungs­unfähig war und dem Gläubiger die Zahlungs­unfähigkeit bekannt war. Schließlich sind nur solche kongruenten Rechtshandlungen anfechtbar, die nicht länger als drei Monate vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurden. In unserem Beispiel­fall haben Sie kongruente Zahlungen erhalten, weil Sie einen Anspruch auf Bezahlung Ihrer Ware hatten; allerdings spricht deswegen nichts für eine Kongruenzanfechtung, weil die Zahlungen nicht innerhalb der Drei-Monats-Frist vor Antragstellung vorgenommen wurden.

b) In Abgrenzung zur Kongruenzanfechtung wird die Anfechtung im Rahmen der sog. Inkongruenzanfechtung erleichtert, wenn dem Insolvenz­gläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht wird, die er so nicht zu beanspruchen hatte. Der Gläubiger hat die angefochtene Deckung bspw. dann nicht zu beanspruchen, wenn ihm der Schuldner statt Zahlung einen Kundencheck überreicht oder eine Forderung abtritt. Auch Zahlungen, die der Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung erhalten hat, sind inkongruent. Es soll sich bei solchen inkongruenten Deckungen um „verdächtige“ Deckungen handeln, die unter geringeren Voraussetzungen anfechtbar sein sollen: Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob der Gläubiger die Zahlungs­unfähigkeit des Kunden kannte. Ebenso wie bei der Kongruenzanfechtung sind nur solche inkongruenten Rechtshandlungen anfechtbar, die nicht länger als drei Monate vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurden.

c) Der in der Praxis bedeutsamste Anfechtungs­grund ist die Vorsatz­anfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO. Von der Vorsatzanfechtung werden Rechtshandlungen des Schuldners erfasst, mit denen die Insolvenz­gläubiger wissentlich oder willentlich benachteiligt werden, wenn der Anfechtungs­gegner diesen Vorsatz des Schuldners kannte. Die Vorsatzanfechtung greift dabei sogar für Rechtshandlungen, die bis zu zehn Jahre vor Insolvenzantragstellung zurückliegen.

Die Vorsatzanfechtung ist deswegen ein so „scharfes Schwert“ und eine so komplizierte Regelung, weil vom Gesetzgeber sowohl auf-seiten des Schuldners (Gläubiger­benach­teiligungs­vorsatz) als auch aufseiten des Anfechtungs­gegners (Kenntnis vom Gläubiger­benach­teiligungs­vorsatz) subjektive Tatbestandsmerkmale eingeführt wurden, die anhand objektiver Kriterien nachgewiesen werden können. Dabei ist bei einer Kenntnis des Schuldners von seiner bloß drohenden Zahlungs­unfähigkeit regelmäßig von einem Gläubiger­benach­teiligungs­vorsatz auszugehen. Meistens legt der Insolvenz­verwalter dar, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Zahlungen an Sie bereits (drohend) zahlungs­unfähig war und deswegen mit Gläubiger­benach­teiligungs­vorsatz handelte. Allerdings: Die Behauptung, der Schuldner sei (drohend) zahlungs­unfähig gewesen, bietet Verteidigungsmöglichkeiten für den Anfechtungs­gegner.

Ähnlich sieht es bei der Kenntnis des Anfechtungs­gegners vom Gläubiger­benach­teiligungs­vorsatz aus. Kannte der Anfechtungsgegner die (drohende) Zahlungs­unfähigkeit des Schuldners, wird die Kenntnis vom Gläubiger­benach­teiligungs­vorsatz des Schuldners vermutet. In unserem Beispielfall wird der Insolvenz­verwalter behaupten, dass Sie wegen der voran­gegangenen Mahnungen bzw. wegen der Bitte um Ratenzahlung wussten, dass der Schuldner zumindest drohend zahlungs­unfähig war. Der Nachweis der Kenntnis der Zahlungs­unfähigkeit ist zwar leichter zu erbringen, als man es gemeinhin für möglich hält. Dennoch gibt es gerade bei der Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners Argumentationsspielraum für den Anfechtungsgegner. So werden bspw. vorangegangene Mahnungen nicht ohne Weiteres den Rückschluss auf die Kenntnis der Zahlungs­unfähigkeit zulassen. In unserem Beispielfall wird der Insolvenz­verwalter vielmehr die Raten­zahlungs­bitte des Schuldners verbunden mit dem Eingeständnis, er könne die Rechnungen nicht bezahlen, als Zahlungseinstellung und damit als Ausdruck der Zahlungs­unfähigkeit deuten.

d) Rechtsfolge einer erfolgreichen Anfechtung ist die Rückgewähr desjenigen Vermögens, welches dem Gläubiger­zugriff entzogen wurde. In der Regel sind die vereinnahmten Zahlungen zurück­zu­zahlen. In unserem Beispielfall dürften die Zahlungen nach der Mahnung eher nicht anfechtbar sein. Die Zahlungen nach dem Gespräch mit der Buch­haltung Ihres Kunden und dem Eingeständnis, mangels liquider Mittel nicht zahlen zu können, wären wohl anfechtbar.

3. Zusammenfassung und Ausblick

Das Insolvenzanfechtungsrecht ist fester Bestandteil des Wirtschaftsverkehrs, auf das sich jeder Unternehmer einstellen sollte. In der Verteidigung ist darauf zu achten, dass die Rechtsprechung ein enges Netz von Indizien gespannt hat, das sich der Insolvenz­verwalter zunutze machen kann und das regelmäßig nur von ausgewiesenen Insolvenz­anfechtungs­speziali­täten beherrscht wird. Ob die geplante Insolvenz­anfechtungs­reform umgesetzt werden wird, steht derzeit noch nicht fest. Der Bundesrat hat im Gesetz­gebungs­verfahren Bedenken am Regierungs­entwurf angemeldet. Die wichtigsten geplanten Änderungen aus dem Regierungs­entwurf sind:

Im Wege der Zwangs­voll­streckung erlangte Befriedigungen sollen nicht mehr als inkon-gruent anzusehen sein. Freilich können auch bei einer Umsetzung der Reform Zwangs­vollstreckungs­maßnahmen unter den Voraussetzungen der Kongruenzanfechtung und Vorsatz­anfechtung angefochten werden, sodass die Anfechtungsgefahr von Zwangs­vollstreckungs­maßnahmen bei einer Umsetzung der Reform bestehen bleibt.

Im Rahmen der Vorsatzanfechtung sieht die Reform zwar eine Verkürzung des Anfech-tungszeitraums auf vier Jahre vor, sodass hier eine gewisse Erleichterung für den Anfechtungsgegner zu erwarten ist. In der Praxis werden die Auswirkungen jedoch eher gering sein, weil die Erfahrung zeigt, dass die meisten anfechtbaren Rechtshandlungen innerhalb einer Frist von vier bis fünf Jahren vor Insolvenzantragstellung vorgenommen werden. Ebenfalls im Bereich der Vorsatzanfechtung ist eine weitere Neuerung geplant: Bei kongruenten Deckungen soll die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht bereits dann vermutet werden, wenn der Anfechtungsgegner die drohende Zahlungsunfähigkeit kannte. Vielmehr muss der Anfechtungsgegner die eingetretene Zahlungsunfähigkeit gekannt haben. Mit Blick auf die in der Praxis wichtigen Ratenzahlungsbitten soll in § 133 InsO folgender Passus aufgenommen werden: „Hatte der andere Teil (also der Anfechtungsgegner) mit dem Schuldner eine Zahlungs­vereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungs­erleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungs­unfähigkeit des Schuldners nicht kannte.“ Bei einer Umsetzung der Gesetzesreform ist jedoch kaum zu erwarten, dass Zahlungen auf der Grundlage von Raten­zahlungs­vereinbarungen erheblich weniger angefochten werden. Vielmehr wird der Insolvenz­verwalter genauere Recherchen anstellen, welche Begleit­umstände zum Abschluss der Raten­zahlungs­vereinbarung geführt haben. In diesem Sinne dürfte dem Anfechtungs­gegner bei Abschluss einer Raten­zahlungs­vereinbarung dann nicht gedient sein, wenn er aus anderen Umständen weiß, dass sein Geschäftspartner zahlungs­unfähig ist.

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