Artikel erschienen am 30.10.2014
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Mediation ist mehr …

… als die Verteilung des vorhandenen Kuchens

Von Thomas Markworth, Dessau-Roßlau

Mediation ist heute auch in der Wirtschaft ein grundsätzlich positiv besetzter Begriff. Dennoch ist vielen Unternehmen (noch) weitgehend unklar, was man sich unter diesem Begriff konkret vorzustellen hat. Das ist – schon mangels hinreichender Verbreitung des Verfahrens – genauso verständlich wie auch bedauerlich, wird so doch häufig ein erfolgreiches Konfliktmanagementverfahren unberücksichtigt gelassen.

Einer der häufigsten Irrtümer liegt in der Annahme, die Parteien würden mittels Mediation quasi weichgespült und dann folgerichtig zu einem mehr oder weniger gerechten Kompromiss geführt. Man muss es ja nicht gleich so krass ausdrücken, wie ein GmbH-Gesellschafter, der mir in einer emotional aufgeheizten Gesellschafterversammlung erklärte, er hasse die „neumodische Sch…konsensgesellschaft“, er sei für das offene Austragen des Konflikts“. Gegen letzteres hätte die Mediation an sich nichts. Allerdings strukturiert Mediation den Prozess. Der Mediationsprozess folgt definierten Phasen und Schritten und unterliegt bestimmten Regeln. Bereits bei den alten Griechen und auch noch früher als solches bekannt, fand die Professionalisierung der Mediation vor allem im letzten Jahrhundert in den USA statt und seit Ende der 1980er-Jahre auch in Europa. Als Alternative zum Rechtsweg oder ungeregelten, eskalierenden Formen der Auseinandersetzung werden Mediation oder Elemente der Mediation mittlerweile u. a. in den Feldern Familie/Trennung/Scheidung, Täter-Opfer-Ausgleich, interkulturelle Konflikte sowie bei Auseinandersetzungen bei der Planung und Umsetzung größerer Projekte oder Konzepte im öffentlichen Bereich eingesetzt.

Die Wirtschaftsmediation gewinnt zunehmend an Bedeutung. Hier geht es vor allem um die Vermeidung oder Regelung organisationsinterner Konflikte, die Vermeidung gerichtlicher Auseinandersetzungen mit Kunden, Zulieferern oder anderen Vertragspartnern sowie die Lösung von Erbstreitigkeiten oder Unternehmensnachfolgen.

Nicht selten ist hier schon das Kostenargument ein guter Ratgeber. Dazu muss man aus anwaltlicher Sicht die Einschätzung eines sachsen-anhaltischen Arbeitsrichters nicht unbedingt für richtig halten, dass ein Arbeitnehmer auf anwaltlichen Beistand im Kündigungsschutzprozess getrost verzichten könne, wenn er (nur) eine Abfindung von einem 1/2 Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr begehre. Aus Sicht des Arbeitgebers wird es fast immer teuer: Kosten der Freistellung, Urlaubsabgeltung, Bindung von Ressourcen im Leitungsbereich, Annahmeverzugslohnrisiko bei monate- oder sogar jahrelangem Kündigungsschutzprozess und nicht zuletzt die Anwaltskosten sind hierbei die Reizworte. Nicht selten kommt gerade in Zeiten des Fachkräftemangels hinzu, dass im Konflikt die Trennung von dem (vielleicht sogar besonders qualifizierten) Arbeitnehmer als Ultima Ratio angesehen wird, obgleich echte Alternativen noch nicht ausgelotet, sondern nur ausgetretene Pfade beschritten worden sind. Konflikte zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber können ebenfalls ein ideales Anwendungsfeld für die Mediation sein.

Mediation kann hier viel Zeit und Geld sparen, aber was macht Wirtschaftsmediation da aus? Es wäre auch hier zu kurz gegriffen, würde man als Ziel der Mediation die häufig erwähnte Herbeiführung einer „Win-win-Situation“ definieren. Das mit dem „Win-win“ ist in Verhandlungslösungen ohnehin so eine Sache.

Dass Mediation ein strukturiertes Verfahren ist, wurde bereits erwähnt. Man unterscheidet gängig 6 Phasen:

  1. Vorbereitung und Mediationsvertrag;
  2. Themen und Informationssammlung;
  3. Interessenklärung;
  4. Kreative Ideensuche;
  5. Auswahl und Bewertung von Optio­nen;
  6. Mediationsvereinbarung und Umsetzung.

Zurück zum Win-win: Bei der Bewertung und der Auswahl von Lösungsoptionen (Phase 5) stehen die grundlegenden Ansätze des Verhandelns und Argumentierens im Zentrum der Mediation. Ein distributives Verhandeln konzentriert sich auf die Verteilung einzelner Mittel und Ressourcen. Spieltheoretisch betrachtet handelt es sich um ein Nullsummenspiel: Was der eine gewinnt, verliert der andere. Die Folge ist ein eiferndes Streiten um den größten Anteil am Kuchen. Unter der Annahme eines solchen „begrenzten Kuchens“ bleibt kein Spielraum für kooperative Strategien zur gemeinsamen Nutzenerweiterung. Tatsächlich gehen die Betroffenen häufig auch dann von einer „Win-lose-Situation“ aus, wenn diese notwendig gar nicht besteht. Das Auffinden kreativer Problemlösungen für kooperative (dann im Idealfall auch echte) Win-win-Lösungen ist häufig deshalb so schwierig, weil solche Lösungsansätze oft außerhalb eines angenommenen Verhandlungsrahmens liegen. Diese irrtümliche Annahme über begrenzte Verhandlungsspielräume wird in der Literatur auch als „the most critical barrier to creativ problem solving“ bezeichnet (Bazerman/Neale, Negotiating Rationally, S. 18).

Integratives Verhandeln zielt deshalb auf den Ausgleich der Interessen der Parteien durch kreative Lösungen. Strategien eines integrativen Verhandelns kann z. B. die „Erweiterung des Kuchens“ sein (vgl. Pruitt, Dean, Achieving Integrative Agreements): Das Einbringen zusätzlicher Verhandlungsgegenstände vergrößert den „Kuchen“ und damit den Verhandlungsspielraum und die Anzahl möglicher Optionen.

„Unspezifische Kompensationen“: Diese sehen vor, dass eine Partei ihre Interessen durchsetzt und die andere dafür eine Ersatzleistung erhält, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Konfliktfall steht.

„Logrolling“: In komplexen Verhandlungssituationen, bei denen verschiedene Themen abzuhandeln sind, bedeutet „Logrolling“, dass die Parteien jeweils bei einem für sie nachrangigen Thema zugunsten eines besseren Ergebnisses bei einem für sie wichtigeren Thema nachgeben.

„Finanzielle Kompensation“: Durch finanzielle Kompensation können die Kosten (oder allgemeiner: die Nachteile) eines Kompromisses, den eine Partei eingeht, reduziert werden.

„Verbinden von Themen (Bridging)“: „Bridging“ beinhaltet die Entwicklung völlig neuer Optionen, die allen Beteiligten neue Möglichkeiten eröffnen, ihre eigentlichen Interessen zufriedenzustellen. Dazu werden die relevanten Konfliktthemen anhand der zugrunde liegenden Interessen umformuliert und in einen anderen, gemeinsamen Rahmen gestellt.

Die Grenzen von Verhandlungslösungen – das sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt – liegen in einigen praktischen Umsetzungsproblemen sowie einer grundsätzlichen Schwäche. Es liegt in der Verteilungsproblematik von Win-win-Ergebnissen, dass eine Lösung zum absoluten Gewinn für beide Konfliktbeteiligten führt, aber der relative Gewinn sehr unterschiedlich sein kann. Der Kuchen ist zwar erweitert worden, aber nun muss dennoch geteilt werden; allerdings auf einer höheren Ebene, was eine Einigung aufgrund des gemeinsamen Kommunikationshintergrundes und der bereits erzielten Kooperationserfolge wahrscheinlicher werden lässt. Darüber hinaus ist die Verteilung von Gewinn leichter als eine Umverteilung bei reinen Nullsummenspielen.

Integratives Verhandeln soll die verschiedenen beteiligten Interessen der Parteien zufriedenstellen. Mediation als strukturiertes Verfahren muss sich also um die Ermittlung dieser Interessen kümmern (Phase 3). Hier soll es dem Mediator gemeinsam mit den Parteien gelingen, die jeweiligen Interessen und Bedürfnisse hinter den Positionen der Beteiligten zu ermitteln und sichtbar zu machen. Phase 4 der Mediation setzt dann auf diese Erkenntnisse auf. Nun geht es darum, gemeinsam mit den Konfliktbeteiligten kreativ nach möglichst vielen Lösungsoptionen zu suchen und damit eine Vielzahl von Ideen zu produzieren, die für das zu lösende Problem hilfreich sein könnten – nach dem Motto: „Was wäre jetzt alles denkbar?“ Die Mediation bedient sich dabei verschiedener Kreativitätstechniken, um gewohnte Denkmuster zu überwinden und neue Optionen entstehen zu lassen. Eine Beschreibung solcher Kreativitätstechniken an dieser Stelle würde den Rahmen sprengen. Nur so viel: Die Kunst des Mediators besteht dann vor allem darin, diesem kreativen Prozess einen möglichst breiten Raum einnehmen zu lassen und zu vermeiden, dass die Konfliktbeteiligten der Versuchung erliegen, die erstbeste plausibel klingende Lösung als Verhandlungsergebnis anzunehmen. Dabei sollen klassische Denkfehler vermieden werden wie etwa: „Um eine Situation zu verstehen, genügt eine Fotografie des Ist-Zustands.“

Zusammengefasst: Mediation ist sehr viel mehr als etwa kompromissbereites Verhandeln auf der Basis eines festgestellten Ist-Zustandes. Die Funktion eines Mediators unterscheidet sich gravierend von der Funktion eines Moderators oder Schlichters. Die Chancen der Mediation liegen gerade in der Interessenklärung der Parteien, der gemeinsamen kreativen Suche nach Lösungen und dann auch ebenfalls in der gemeinsamen Bewertung solcher Ergebnisoptionen bis hin zu der Wahl einer Option als endgültige Media­tionslösung. Insbesondere nach den Erfahrungen in den USA kann man davon ausgehen, dass auch in Deutschland künftig Mediation weiter zunehmend als Instrument der Konfliktlösung im Wirtschaftsbereich Anwendung erfahren wird.

Randbemerkung

Der Artikel zitiert u. a. aus Aufsätzen der Mediatoren Stefan Kessen und Markus Troja.

Foto: Panthermedia/Alena Dvorakova

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