Artikel erschienen am 01.11.2012
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Die Bedeutung der Finanzierungsseite für mittelständische Unternehmen

Von Dr. rer. pol. Jürgen Fox, Halle (Saale

Der Mittelstand und seine Bedeutung für die deutsche Wirtschaft

Die deutsche Wirtschaft, das sind 3,7 Mio. Unternehmen, davon sind 3,1 Mio. umsatzsteuerpflichtig. Es gibt in Deutschland 4,2 Mio. wirtschaftlich Selbständige. Die Wirtschaftsnachrichten werden von den großen Unternehmen bestimmt. Dieses Bild stellt aber die tatsächlichen Verhältnisse nicht ganz zutreffend dar. Tatsächlich bildet der Mittelstand unverändert das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Das verdeutlichen auch die folgenden Zahlen:

  • Von den knapp 3,1 Mio. umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen in Deutschland sind rund 2,95 Mio. in Familienhand und werden auch von den Eigentümerfamilien selbst geleitet.
  • Auf die Familienunternehmen entfallen 41,1 % aller Umsätze und 61,2 % aller sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigten.

Finanzierungsquellen der mittelständischen Unternehmen

Der unmittelbare Zugang zu den Finanzmärkten in Form von Eigen- oder Fremdkapitalbeschaffung über Börsen steht im Regelfall nur den großen und börsennotierten Unternehmen offen. Der Mittelstand ist in Bezug auf das Eigenkapital stattdessen meist darauf angewiesen, dass die Eigentümer dieses selbst einbringen. Die Beschaffung von Fremdkapital läuft hingegen regelmäßig über Banken. Weil das so ist, besteht gerade in Zeiten mit großen Turbulenzen im Finanzsektor eine wichtige Aufgabe der Regierung und aller für die Finanzmärkte und das Bankensystem verantwortlichen Institutionen (wie z. B. die Bundesbank und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) darin, die Funktionsweise der Finanzmärkte und des Bankensystems auch weiter so stabil zu halten, dass die Kreditversorgung insbesondere des deutschen Mittelstandes gewährleistet ist.

Der Handlungsrahmen für mittelständische Unternehmen wird finanzierungsseitig durch die Ausstattung mit Eigenkapital festgelegt. Die bedeutendste Kennzahl im Rahmen der Finanzierung von Unternehmen ist die Eigenkapitalquote. Sie drückt den Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme aus. Eine sehr niedrige Eigenkapitalquote war in Deutschland in früheren Jahren oft ein beschränkender Faktor für die Aktivitäten mittelständischer Unternehmen.

Die folgende Abbildung stellt die Entwicklung in den letzten Jahren dar:

Deutlich wird hieran, dass sich die Eigenkapitalausstattung der mittelständischen Unternehmen in den letzten Jahren erfreulicherweise sehr deutlich verbessern konnte. Zugleich ist aber auch erkennbar, dass die Großunternehmen hier unverändert über deutliche Vorteile in Bezug auf die Eigenkapitalausstattung verfügen.

Aussagegehalt von Finanzkennzahlen

Neben der Eigenkapitalquote gibt es verschiedene andere Finanzkennzahlen, die ein Bild von der Finanzsituation eines Unternehmens vermitteln und deren Bedeutung auch dadurch entsteht, dass sowohl potenzielle Eigen- als auch Fremdkapitalgeber sich anhand dieser Kennzahlen ein Bild vom Unternehmen verschaffen (siehe auch Zantow / Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, 3. Auflage, 2011, S. 529-539).

Wie schon erwähnt ist die Eigenkapitalquote (= wirtschaftliches Eigenkapital /Bilanzsumme × 100) die im Mittelpunkt stehende Kennzahl. Ihr werden folgende Informationsaspekte zugemessen:

  • Je höher die EK-Quote, desto höher die finanzielle Stabilität des Unternehmens.
  • Eine hohe EK-Quote verringert die Abhängigkeit von Fremdkapitalgebern und schützt vor den Auswirkungen steigender Zinssätze.
  • Eine hohe EK-Ausstattung stärkt die Fähigkeit, Verluste aufzufangen, begrenzt somit die Insolvenzgefahr und damit einhergehend die Risiken für Fremdkapitalgeber.
  • Die EK-Ausstattung zeigt an, in welchem Umfang der Eigentümer unmittelbar in der Haftung steht.

Für die Fremdkapitalgeber hat die EK-Ausstattung eine solche Bedeutung, dass sie einerseits eine ausschlaggebende Größe dafür ist, ob überhaupt eine Kreditzusage zustande kommt. Andererseits ist die EK-Quote wegen ihrer Bedeutung auch mit einem hohen Gewicht in den bankinternen Ratingverfahren versehen und hat somit einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Höhe der Kreditzinsen.

Eine weitere Finanzkennzahl ist die Fremdkapitalstruktur (= Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen + Bankverbindlichkeiten)/(Fremdkapital – erhaltene Anzahlungen) × 100. Sie drückt den Grad der Fremdfinanzierung des operativen Geschäftes aus und zeigt den Anteil des Fremdkapitals, der in Form von Liquiditätsabflüssen an außen stehende Gläubiger (Kreditinstitute und Lieferanten) abfließen wird.

Die Kapitalbindung errechnet sich wie folgt: (kurzfristige Bankverbindlichkeiten + kurzfristige Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen + kurzfristige sonstige Verbindlichkeiten)/Gesamtleistung ∗ 100. Diese
Kennzahl misst den kurzfristig zur Tilgung anstehenden Teil der Verbindlichkeiten an der wertmäßigen Produktionsleistung. Je höher dieser Wert ausfällt, desto größer ist die durch das kurzfristige Fremdkapital verursachte Kapitalbindung, was isoliert betrachtet zunehmend negativ zu beurteilen ist.

Um die Liquidität auszudrücken, gibt es verschiedene Möglichkeiten der Kennzahlenberechnung. Ein Weg besteht darin, die flüssigen Mittel auf das Gesamtvermögen zu beziehen. Hier gilt dann, dass ein hoher Wert isoliert betrachtet positiv beurteilt wird. Eine andere Möglichkeit der Kennzahlenberechnung besteht darin, den Überschuss in Relation zu den Zinsen zu setzen. Die so ermittelte Kennzahl gibt an, inwieweit das Betriebsergebnis ausreicht, die Zinsaufwendungen innerhalb einer Periode zu decken. Der Wert muss deutlich größer als "O" sein, da neben Zinsen auch Tilgungen, Steuern, Entnahmen etc. erwirtschaftet werden müssen.

Eine weitere Finanzkennzahl ist die Cash-flow-Kennzahl (= Cash-flow / kurzfristiges Fremdkapital × 100). Der Cash-flow wird hierbei wie folgt ermittelt: Cash-flow = Betriebsergebnis + planmäßige Abschreibungen auf Sachanlagen bzw. immaterielle Anlagen + Erhöhung langfristiger Rückstellungen. Das kurzfristige Fremd-kapital ergibt sich als Summe der Verbindlichkeiten mit Restlaufzeit < 1 Jahr + kurzfristige Rückstellungen. Die Cash-flow-Kennzahl zeigt die Entschuldungskraft eines Unternehmens in Bezug auf dessen kurzfristige Verschuldung. Zugleich misst sie die Fähigkeit des Unternehmens, seine kurzfristige Verschuldung aus erwirtschaftetem Zahlungsmittelüberschuss abzudecken. Je höher dieser Wert ausfällt, desto positiver wird das beurteilt.

Die Bedeutung der Finanzierung in Unternehmenskrisen

Das nachfolgende Schaubild zeigt die Zahl der Insolvenzen nach Umsatzgrößenklassen im Jahr 2010:

Anhand dieser Zahlen wird deutlich, dass kleine und mittelständische Unternehmen hier weit zahlreicher vertreten sind als große Unternehmen. Ein Grund für das Scheitern liegt in vielen Fällen in der Finanzierungsseite, hier wiederum häufig in einer schwachen Eigenkapitalausstattung der Unternehmen, begründet. In Bezug auf das Ausmaß der Existenzgefährdung bei einer Krise als potenzieller Vorläufer einer Insolvenz des Unternehmens können folgende Differenzierungen vorgenommen werden:

  1. die nicht existenzbedrohende Krise (meist bezogen auf einzelne strategische Aspekte, leichte Ergebniskrise);
  2. die existenzbedrohende Krise (ausgeprägte strukturelle und Erfolgskrise, Anzeichen von Liquiditätsengpässen);
  3. die existenzvernichtende Krise (schwerwiegende Erfolgskrise gekoppelt mit Liquiditätskrise).

Selbstverständlich können im Einzelfall die unterschiedlichsten Ursachen für das Scheitern eines Unternehmens verantwortlich sein. Gleichwohl kann man feststellen, dass die „harten“ Finanzaspekte im Regelfall diejenigen sind, die die größte Bedeutung für den Fortbestand eines Unternehmens haben, und dass sich jede Krise im Endeffekt auch in den Finanzzahlen niederschlägt.
Daher sollen einzelne Aspekte von Krisensituationen beleuchtet werden.

Zu den Merkmalen einer Ergebniskrise zählen u. a.

  • Umsatzrückgang,
  • zu hohe Kosten,
  • Verschlechterung der Kostenstrukturen wegen Fixkostenlastigkeit,
  • unausgelastete Kapazitäten,
  • verstärkte Rabattaktionen zur Absatzsicherung,
  • verschlechterte Einkaufskonditionen.

Die Folgen einer Ergebniskrise können sein:

  • Verschlechterung des Ratings und damit der Kreditkonditionen,
  • Verschlechterung der Möglichkeit, weiteres Kapital aufnehmen zu können,
  • Rückgang bei den Investitionen,
  • suboptimaler Einkauf (unvorteilhafte Lieferbedingungen, Verschlechterung der Kooperationsbeziehungen)
  • Kündigung Kreditversicherungen/Lieferung nur gegen Vorkasse.

Deutlich wird an diesen Ausführungen, dass aus einer Ergebniskrise leicht ein sich verstärkender Negativkreislauf entstehen kann.

Die Merkmale und Folgen einer Liquiditätskrise lassen sich wie folgt beschreiben:

  • verstärkte Störungen in der Kooperationskette mit Lieferanten, schlechtere Einkaufskonditionen,
  • Zahlungsstockungen bis zur Zahlungsunfähigkeit, in der Folge: Imageverluste,
  • finanzwirtschaftlich suboptimale Entscheidungen (z. B. Notverkäufe),
  • keine Investitionen, kein Geld für Werbung oder Produktweiterentwicklungen,
  • Kundenverluste und
  • Abwandern von guten Mitarbeitern.

Auch die Liquiditätskrise ist somit durch eine sich selbst verschärfende Entwicklung gekennzeichnet.

Zwar ist ein Unternehmenswachstum grundsätzlich zunächst positiv zu beurteilen. Aber auch hier können sich die folgenden, eine Wachstumskrise kennzeichnenden Entwicklungen einstellen:

  • zunehmender und ungeplanter Finanzbedarf,
  • Finanzierung von Investitionen aus dem Kontokorrent-Kredit bzw. erhöhte Kontokorrent-Inanspruchnahme,
  • Investitionen nicht richtig ausgelastet,
  • keine Finanzplanung, keine Controllingunterlagen,
  • Vorrang des Strebens nach Umsatzwachstum vor der Rentabilitätsorientierung,
  • wegen fehlender Transparenz werden Verlustursachen nicht oder zu spät ersichtlich und
  • Verluste aus nicht ausreichendem Risikomanagement (Debitoren, Bestände).

Mittelständische Unternehmen sind für Krisen regelmäßig anfälliger als größere Unternehmen bzw. bei mittelständischen Unternehmen nehmen Krisen tendenziell häufiger existenzbedrohende Ausmaße an. Der Grund hierfür besteht in der schon erwähnten geringeren Eigenkapitalausstattung. Eigenkapital stellt nämlich das Potenzial dar, Verluste aus dem Unternehmen heraus auszugleichen. Bei Unternehmen mit geringerer Eigenkapitalausstattung können somit die sich im Ergebnis niederschlagenden Krisencharakteristika nur bedingt durch Eigenkapitalverzehr aufgefangen werden.

Einführung eines innerbetrieblichen Risikomanagements als Instrument der Krisenvermeidung oder -bewältigung

Ein innerbetriebliches Risikomanagement dient der ganzheitlichen Vermeidung bzw. Verminderung von internen und externen Risiken sowie der Begrenzung der resultierenden Auswirkungen in Einklang mit der Unternehmensstrategie. Für Aktiengesellschaften ergibt sich die Anforderung aus § 91 Abs. 2 AktG: „Der Vorstand hat geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.“ Was hier gefordert wird, lässt sich – natürlich auf einem der Unternehmensgröße adäquaten Niveau – ebenso als Empfehlung für kleinere und mittelständische Unternehmen formulieren. Ein sowohl auf die Risken

  • Markt- und Wettbewerbsrisiken,
  • Finanzrisiken,
  • unternehmensinterne (organisatorische, methodische und technische) Risiken und
  • rechtliche Risiken

ausgelegtes Risikomanagement kann zwar nicht jede Krise vermeiden, es kann aber doch die eine oder andere Krisengefahr frühzeitig zu identifizieren sowie Gegensteuerungsmaßnahmen einzuleiten helfen. Zudem kann es dazu beitragen, die Planungssicherheit sowie die gerade im Krisenfall erforderliche Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen.

Möglichkeiten zur Beseitigung von Liquiditätsengpässen

Generell gilt, dass natürlich eine Situation, in der zahlungswirksame Einnahmen die Ausgaben deutlich übersteigen, eine Gewähr dafür bildet, dass Liquiditäts-engpässe abgebaut werden oder gar nicht erst entstehen.

Außerdem gibt es noch die Möglichkeiten, liquide Mittel aus der Umwandlung von Umlaufvermögen in Umsatz oder aus dem Verkauf von Anlagevermögen zu gewinnen.

Finanzierungsseitig bestehen grundsätzlich verschiedene Ansätze, durch eine Umstrukturierung der Finanzierungen (z. B. Erhöhung der Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, Veränderung der Fristigkeitsstruktur der bestehenden Verbindlichkeiten, Erhö-hung der nachrangigen Verbindlichkeiten, der Rückstellungen oder des Eigenkapitals) die Liquiditätssituation des Unternehmens positiv zu beeinflussen.

Wie hier konkret vorzugehen ist, kann nicht pauschal empfohlen werden, sondern bedarf der Würdigung der konkreten Situation im Einzelfall.

Schlussfolgerungen aus den vorstehenden Ausführungen über die Bedeutung der Finanzierungsseite für mittelständische Unternehmen

1. Ein funktionierendes Bankensystem, in dem die Kreditvergabe an kleine und mittelständische Unternehmen keinerlei Benachteiligung unterliegt, ist wichtig, um die Verfügbarkeit von Finanzierungs-mitteln dieser für die deutsche Wirtschaft so immens wichtigen Unternehmen sicherzustellen.

2. Unter allen Finanzkennzahlen hat die Eigenkapitalquote eine herausgehobene Bedeutung.

3. Wenngleich in den letzten Jahren die Eigenkapitalausstattung kleiner und mittelständischer Unternehmen verbessert werden konnte, bleibt sie doch noch deutlich hinter der der größeren Unternehmen zurück.

4. Eine geringe Eigenkapitalausstattung bedeutet ein geringeres Potenzial, Verluste auszugleichen. Krisen nehmen daher bei Unternehmen mit geringerer Eigenkapitalquote schneller existenzbedrohende Dimensionen an als bei solchen mit einer hohen Eigenkapitalquote.

5. Im Mittelpunkt des unternehmerischen Handelns in kleinen und mittelständischen Unternehmen sollte die Vermeidung eines Liquiditätsengpasses stehen.

6. Es gilt, besonderes Augenmerk auf den Kapitalbedarf und die Kapitalstruktur zu legen:

  • Prüfung aller internen Möglichkeiten, den Kapital-bedarf so gering wie möglich zu halten,
  • Verbesserung der EK-Ausstattung als Voraussetzung für günstige und nachhaltige FK-Bereitstellung,
  • Fristigkeitsstruktur der FK-Mittel beachten (Ziel: fristenkongruente Refinanzierung).

7. Wo möglich, wird grundsätzlich die Einführung eines innerbetrieblichen Risikomanagements empfohlen, das der Vermeidung bzw. Verminderung von internen und externen Risiken sowie der Begrenzung der resultierenden Auswirkungen dient.

Foto: Panthermedia/Sergio Hayashi

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