Artikel erschienen am 27.02.2018
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Verfahrensdokumentation bei digitalen Prozessen

Der zukünftige Freibrief der Finanzverwaltung?

Von Claas-Tido Risse, LL.M., Düsseldorf

Seit Veröffentlichung des GoBD-Erlasses des Bundesfinanzministeriums (BMF) vom 14.11.2014 ist eine umfangreiche Verfahrensdokumentation für alle digitalen Prozesse der Unternehmung zwingend erforderlich. Zudem fordert sogar die Politik in ihrem Verwaltungsschreiben vom 28.07.2015 die Betriebsprüfung auf, diese Verfahrensdoku­mentation in jedem Fall zukünftig zu prüfen.

Unsere Erfahrungen aus Gesprächen mit Unternehmern zeigen, dass solche Verfahrensdokumentationen im Rahmen von digitalen Prozessen in den Unternehmen i. d. R. nicht vorliegen. Bei fehlender Verfahrensdokumentation erwächst die Gefahr einer Verwerfung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung mit der Folge einer formellen Schätzungsbefugnis der Finanzverwaltung. Sollte dies geschehen, ist mit nennenswerten finanziellen Belastungen zu rechnen.

Es besteht also dringender Handlungsbedarf, da ergänzend zu den bereits vorhandenen Instrumenten der Steuerkontrolle (z. B. eine steuerliche Betriebsprüfung) als neues Instrument eine Kassen-Nachschau mit Wirkung zum 01.01.2018 gesetzlich kodifiziert wurde, die ebenfalls eine Verfahrensdokumentation notwendig macht. Die Kassen-Nachschau ist keine steuerliche Betriebsprüfung im Sinne des § 193 AO, sondern ein eigenständiges Verfahren zur zeitnahen Aufklärung steuererheblicher Sachverhalte unter anderem im Zusammenhang mit der ordnungsgemäßen Erfassung von Geschäftsvorfällen mittels elektronischer Aufzeichnungssysteme. Für diese Zwecke hat der § 146b AO Eingang in die Abgabenordnung gefunden.

Zur Sanktionierung von Verstößen gegen diese Dokumentationspflichten wurde der Steuergefährdungstatbestand des § 379 Abs. 1 AO ergänzt. Dies wird notwendig, um den neuen gesetzlichen Verpflichtungen des § 146a AO Rechnung zu tragen. Darüber hinaus können die Ordnungswidrigkeiten des § 379 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 bis 6 AO mit einer Geldbuße bis zu 25 000 Euro pro Verstoß geahndet werden.

Für welche Prozesse ist eine Verfahrensdokumentation notwendig?

Gemäß dem BMF-Schreiben vom 24.11.2014 bezieht sich die Ordnungsmäßigkeit neben den elektronischen Büchern und sonst erforderlichen Aufzeichnungen auch auf die damit in Zusammenhang stehenden Verfahren und Bereiche des DV-Systems. Damit muss für jedes DV-System eine übersichtlich gegliederte Verfahrensdokumentation vorhanden sein!

Demnach sind dies alle digitalen Prozesse des Unternehmens im Rahmen einer elektronischen Erstellung und eines elektronischen Empfangs von Belegen sowie die Umwandlung von Papierbelegen in elektronische Belege. Beispielhaft seien hier genannt:

  • PC- und Registrierkassensysteme
  • Zahlungsverkehrssysteme
  • elektronische Waagen
  • ERP-Systeme der Material- und Warenwirtschaft
  • MS-Office inkl. Mailing(s)
  • Zeiterfassungssysteme
  • DMS- und Archivsysteme
  • Berechnungen von Rückstellungen, Bestandsveränderungen, Darlehen, Eigenverbrauch
    etc.

Was ist zu tun?

Diese längst nicht abschließende Aufstellung zeigt schon, dass sich die Dokumentationspflichten i. d. R. auf alle Prozesse eines Unternehmens beziehen. Zu Beginn der Erstellung der Verfahrensdokumentation ist es daher eine zwingende Voraussetzung, eine Bestandsaufnahme aller digitalen, steuerlich relevanten Unterlagen und Prozesse vorzunehmen – auch aus vorgelagerten Systemen!

Im Anschluss an die Bestandsaufnahme beginnt der Erstellungsprozess der Verfahrensdokumentationen. Hier macht eine Priorisierung nach Umfang und Relevanz des einzelnen DV-Systems sicherlich Sinn.

Was muss eine Verfahrensdokumentation beinhalten?

Ist die Bestandaufnahme abgeschlossen, sind gem. des o. g. BMF-Schreibens die folgenden Anforderungen an jedes DV-System im Rahmen der Verfahrensaufnahme getrennt voneinander entsprechend zu dokumentieren:

  • Grundsatz der Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit
  • Grundsätze der Wahrheit, Klarheit und fortlaufenden Aufzeichnung
  • Vollständigkeit
  • Richtigkeit
  • zeitgerechte Buchungen und Aufzeichnungen
  • Ordnung
  • Unveränderbarkeit.

Hier gilt es zu beachten, dass diese Grundsätze nicht nur während des Einsatzes der einzelnen DV-Systeme nachweisbar und belegbar sein müssen, sondern während der gesamten Dauer der Aufbewahrungsfrist vorzuhalten sind. Diese beträgt i. d. R. 10 Jahre!
Dass dieses Thema zukünftig eine enorm hohe Praxisrelevanz haben wird, zeigt sich nicht zuletzt an dem Umstand, dass sich bereits im Jahr 2014 der Deutsche Steuerberaterverband e. V. (DStV) als Beteiligter an der Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung e. V. an der Erstellung einer Musterverfahrensdokumentation eingebracht hat. Das Thema dieser Musterverfahrensdokumentation war bzw. ist ein Megatrend unserer Zeit, nämlich die „Digitalisierung und elektronische Aufbewahrung von Belegen inkl. Vernichtung der zugehörigen Papierbelege“. Diese Muster-Verfahrens­dokumention steht immer noch auf der Internetseite des DStV zum Download bereit und gibt einen ersten groben Überblick, wie der Aufbau und der Inhalt einer Verfahrensdokumentation im Kern auszusehen hat.

Wer ist der richtige Ansprechpartner?

Die in der Verfahrensdokumentation zu behandelnden Themen machen es erforderlich, dass die Leistungen der Wirtschaftsprüfung, mit ihrem klassischen Know-how aus der Prozessaufnahme einer IKS-Prüfung, mit den modernen Methoden der IT-Prüfung mit ihrem Know-how aus der Prüfung von DV-Systemen geschickt und ziel­orientiert verbunden werden müssen. Nicht zuletzt bedarf es dabei auch der Einbindung der zuständigen Steuerberater, da diese im Fall der Fälle die Verfahrensdokumentationen im Rahmen der zukünftigen Prüfungen durch die Finanzverwaltungen zu „verteidigen“ haben.

Die digitalen Prozesse sind nicht nur bei unseren Mandaten, sondern bei allen Steuerpflichtigen sehr individuell gestaltet. Je nach Komplexität, Belegvolumen und IT-Einsatz kommt es z. B. zu sehr unterschiedlichen Anforderungen an die Gestaltung der Belegablage und den Umfang ihrer Dokumentation. Ein Patentrezept für die eigene Verfahrensdokumentation gibt es daher nicht. Um nicht einen fast unbeherrschbaren bürokratischen internen Prozess, schlechtestenfalls noch anhand von frei verfügbaren Musterdokumentationen anzustoßen – und damit ggfs. einen zahnlosen Papiertiger zu schaffen –, ist es ratsam, sich bei der Erstellung dieser Verfahrensdokumentationen professionell unterstützen zu lassen. Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, die eine ausgewiesene IT-Kompetenz im Hause haben, sind hier sicherlich die richtigen Ansprechpartner, um zukünftig gegen die neuen Prüfungsgrundsätze der Finanzverwaltung, nicht zuletzt beginnend mit der Möglichkeit einer Kassen-Nachschau ab 01.01.2018, gut gewappnet zu sein.

Bild: Fotolia/Craitza

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