Artikel erschienen am 23.02.2017
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Verhandeln im roten Bereich

Status- und Machtspiele: Was Sie als Krisenverhandler konkret zum Erfolg bringt

Von Dipl.-Psych. Zorana Dippl, Braunschweig | Dr. phil. Dipl. pol. Thomas Piko, Braunschweig

In Zeiten, in denen das „Win-win-Konzept“ in der Privatwirtschaft zunehmend und auch bewusst verletzt wird, gewinnen Methoden der Krisenverhandlungen stark an Bedeutung. Der Umgang mit schwierigen Verhandlungspartnern verlangt mehr als nur instinktive Reaktionen, Selbstwert schützende Schlagfertigkeit oder das Delegieren der Verantwortung an einen Mediator.

Wenn Diplomaten mit terroristischen „Unterhändlern“ verhandeln, haben sie es ebenso wenig mit Verhandlungs-„partnern“ zu tun, wie Polizeispezialisten, die mit Geiselnehmern und Erpressern verhandeln. Vielmehr stehen sich in diesen Lagen auf der einen Seite Druck ausübende bis hoch aggressive „Powerplayer“, auf der anderen Seite Verhandlungspartner, die trotz dieser Gegnerschaft in einer deeskalierenden Form kooperative Optionen etablieren müssen, gegenüber. Die angelsächsischen Strafverfolgungsbehörden nennen diese Form der kommunikativen Deeskalation CN, für „Crisis Negotiation“ bzw. Krisenverhandlungen.

Was ist eine Krisenverhandlung und was nicht?

Eine Krise ist eine Situation, in der Menschen eines nur bedingt können: lösungsorientiert zu handeln. Ein Grund dafür kann hostiles (lat.: feindliches) Verhalten von „Mitmenschen“ sein, was auf der eigenen Seite natürliche und evolutionsbedingte Flucht- und/oder Kampfverhaltensmuster aktiviert, die immer mit kognitiven Einschränkungen – z. B. dem Tunnelblick oder Blackout – verbunden sind. Verantwortlich dafür sind u. a. biochemische Prozesse im Hirn bzw. dem gesamten neuronalen System.

Eine Verhandlung ist immer gekennzeichnet durch mindestens zwei Parteien mit konkurrierenden oder gegensätzlichen Interessen, die jedoch nur in Abhängigkeit der jeweils anderen Seite realisiert oder teilrealisiert werden können – unabhängig vom realen oder wahrgenommenen Machtgefälle. Abhängigkeiten oder Interessen bestehen aber auch fast immer intern. Nicht selten ist z. B. das Verhandlungsmandat selbst das Ergebnis einer internen Verhandlung oder es müssen anstehende Verhandlungssequenzen mit Entscheidungsträgern im Hintergrund „ausgehandelt“ werden.

Das heißt: Meist besteht ein Geflecht aus mehrdimensionalen Verhandlungen. Allen beteiligten Seiten entstehen mittel- und unmittelbare Kosten (neben Geld- auch Zeit- und Materialverlust oder auch der Verlust psychischer Energie oder sogar der Gesundheit usw.), wenn sie nicht im Kontext dieser Vernetzungen sowie den damit verbundenen Neben- und Fernwir-kungen kooperieren und verhandeln.

Eine Krisenverhandlung ist demnach eine Verhandlung, in der eine Partei oder auch alle beteiligten Parteien nicht – oder nur suboptimal – über die Fähigkeit verfügen, lösungsorientiert zu „(ver-)handeln“. Dabei werden die o. g. gegenseitigen Abhängigkeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso wenig wahrgenommen, wie die damit verbundenen vernetzten Interessen und Lösungsmöglichkeiten. Gründe dafür sind nicht selten feindliche Verhaltensmuster. Dabei kennzeichnen diese feindlichen Muster nicht nur aktive Aggressivitäten, wie Drohungen oder Beleidigungen. Auch sog. passive Aggressivitäten – wie Verschleppungen, Unterlassungen, provokante Verweigerungen etc. – gelten in diesem Sinne als feindlich. Entsprechende Krisenverhandlungskonzepte versuchen, diese feindlich aufgeladenen Zustände durch gezielte Kriseninterventionen zu relativieren – zugunsten eines konstruktiveren und lösungsorientierteren Interessensausgleichs, konkret mit einer integrativen Verhandlungsoption.

Insofern gilt die Formel:
Krisenverhandlung =
Krisenintervention + integrative Verhandlung

Verhandeln im „grünen Bereich“

Dabei geht es weniger um rasche, direkte oder gar spektakuläre Hebelwirkungen am gegnerischen Verhalten. Krisenverhandlungen sind eher durch prozessuale, subtile und mittelbare bzw. eher unspektakuläre Veränderungen des gegnerischen Verhaltens geprägt. Der Gegner wird weniger hart gezwungen als vielmehr weich, aber hartnäckig geführt.

Diese eher beiläufige und mittelbare Vorgehensweise der Deeskalation wurde im Kontext der italienischen Renaissance unter dem Begriff „Sprezzatura“ (ursprünglich im italienischen für „federnd“) bekannt und galt als Inbegriff der konfliktvermeidenden Höflichkeit. Im wahrsten Sinne von „Hof“-fähig war eine derartige Kompetenz damals nicht ganz unwichtig; konnten doch ehrverletzende Verhaltensweisen in diesem historischen Abschnitt der Zivilisationsentwicklung schnell „bei Hofe“ eskalieren. Und dann war das Duell nicht selten die mildeste Stufe der „Konfliktregelung“. Für den Kooperationsexperten Richard Sennett kennzeichnet „Sprezzatura“ heute eine durch moderne Wirtschaftskulturen verdrängte, aber fundamentale Kooperationskompetenz.

Insofern kennzeichnen Krisenverhandlungen subtile Kollaborationen – eingeleitete Kooperationen mit der gegnerischen Seite.

Der Schlüssel bei Krisenverhandlungen: Selbststeuerung

Ein schwieriger Verhandlungsgegner verhandelt mit Ihnen zwar in einer unangenehmen bis unausstehlichen Art und Weise, aber er verhandelt; auch wenn diese Form nicht Ihren Vorstellungen einer Verhandlung entspricht. Er verhandelt deswegen, weil er verhandeln muss und so besser gestellt ist; sonst würde er anders, d. h. noch feindlicher und noch mehr zu Ihren Lasten handeln, statt zu verhandeln.

Das weiß er aber oft nicht oder er weiß es, und zeigt es Ihnen nicht. Er muss diese Wahrnehmung vermeiden – nicht nur bei Ihnen, sondern nicht selten auch vor sich selbst oder/und seinen Mitstreitern – da sonst die meist übersteigerten Machtphantasien Ihnen gegenüber verloren gehen. Dieses z. T. nur empfundene Machtpotenzial darf nicht unterschätzt werden. Es wirkt auch als reale Macht; allerdings nur mit einer Voraussetzung: Sie nehmen dieses Verhalten an. Sie „spielen“ mit, und zwar als gelähmtes, flüchtendes bzw. in die Ecke gedrängtes – oder als provoziertes und angreifendes „Opfer“, das dann selbst zum „Täter“ wird.

Dieses Phänomen ist neuropsychologisch erklärbar und hat sich unter dem Fachbegriff „hijacked amygdala“ etabliert. Gemeint ist eine unangemessene emotionale Reaktion auf eine wahrgenommene Bedrohung, weil die Amygdala das emotionale Zentrum des menschlichen Gehirns ist und in Sekundenbruchteilen Antworten erstellt, wenn ein Mensch sich bedroht fühlt.

Was tun, um nicht „in den Ring zu steigen“?

Speziell für die Krisenverhandlungen wird hier die Diskriminierungstechnik relevant: Sie können das Aggressor-Opfer-Spiel sanft verweigern bzw. diskriminieren und sich stattdessen alternativ verhalten, was allein schon die Machtempfindungen auf der anderen Seite mindestens irritiert. Statt in Form von Flucht oder Angriff mitzuspielen, enttäuschen Sie die gegnerische Seite und bieten stattdessen „federnd“ in unnatürlicher Weise und permanent eine deeskalierende und sachbezogene sowie hartnäckige Auseinandersetzung an.

Oder: Sie agieren mit dem „Thatcherisieren“ im Falle einer permanenten Verweigerung der Kooperation. Dabei drohen Sie keine Sanktion an, sondern führen diese in kleinen aber spürbaren Dosierungen steigernd und am Anfang unangekündigt durch, lassen die andere Seite aber explizit wissen, was diese tun kann, um Sie selbst zum Stoppen der Sanktion zu bewegen. Der Terminus geht auf das Verhalten der Thatcherregierung gegenüber dem Gegner Argentinien im Falklandkrieg zurück.

In beiden Fällen, dem Ausweichen sowie dem „Thatcherisieren“ agieren Sie uneingeschränkt mit konstruktiven Lösungsangeboten.

Mit diesem Vorgehen demonstrieren Sie auch eigene Stärke. Stärke, die sich daraus speist, dass Sie resilient, also widerstandsfähig einen Unterschied etablieren; d. h.: dass Sie ein Konzept haben und entsprechend handeln, statt auf das feindliche Konzept des Gegners zu reagieren.

Sobald diese Krisenintervention greift, gehen Sie zur eigentlichen Verhandlung auf der nun versachlichten Ebene über – mit entsprechenden Kooperationsoptionen „auf Augenhöhe“.

Der umgedrehte Spieß: Was passiert konkret auf der gegnerischen Seite?

Als Resultat dieser Anwendung – und nach einigen gegnerischen Versuchen, das feindliche Spiel mit erhöhten Dosierungen wieder einzuleiten – wird beim Gegenüber der psychische Zustand der sog. „kognitiven Dissonanz“ wirksam – es entsteht ein Spannungszustand, den die betroffene Person durch Veränderung des Verhaltens, der inneren Einstellung oder der Umwelt zu entrinnen versucht. Hierbei konkurrieren zwei Vorstellungen im Bewusstsein der anderen Seite: Weiter feindlich zu verhandeln, was zunehmend schwieriger, d. h. konkret: Ineffizienter und ineffektiver bis unmöglich zu werden droht; oder aber konstruktiv zu verhandeln; was zwar nicht beabsichtigt war, nun aber permanent von der Krisenverhandlungspartei auf der anderen Seite angeboten wird, und sich zunehmend als ein möglicher Weg hin zu mehr Effizienz und Effektivität darstellen lässt. Der frustrierende Spannungszustand ist somit Ihre Ausgangsbasis zu einer Überleitung in die Richtung einer konstruktiven Verhandlung.

Bild: Fotolia/Björn Wylezich

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