Artikel erschienen am 01.12.2013
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Wer hilft im Steuerstrafverfahren?

Steueranwalt oder Strafverteidiger?

Von Werner Siebers, Braunschweig | Dr. iur. Paul-Frank Weise, Braunschweig

Ein Streitgespräch zwischen dem Strafverteidiger Werner Siebers und dem Fachanwalt für Steuerrecht Dr. Paul-Frank Weise.

Dr. Paul-Frank Weise: Herr Kollege, in einem Ihrer Blogs plädieren Sie für die Spezialisierung der Strafverteidiger mit dem Vergleich, dass man mit einem Knochenbruch auch nicht zum Gynäkologen, sondern zum Orthopäden geht. Was versteht denn ein Strafverteidiger vom Steuerrecht, dass er sich erlauben kann, im Steuerstrafrecht zu verteidigen?
Werner Siebers: Im Einzelfall möglicherweise mehr, als der Steuerrechtler ahnt. Im Besteuerungsverfahren muss der Bürger doch immer mitwirken und aufklären … Im Strafverfahren gelten andere Spielregeln.

Dr. Paul-Frank Weise: Also kräftig Krawall machen? Ist das die „Stärke“ des Strafverteidigers?
Werner Siebers: Mag sein, dass der unbedarfte Steuerrechtler dies für seine Aufgabe im Steuerstrafverfahren hält. Der Strafrechtsexperte sieht dies anders. Der Staat muss, wenn jemand zu bestrafen ist, die Tat, den Vorsatz und die Schuld nachweisen. Es kann und darf daher nicht sein, was leider gerade im Steuerstrafverfahren zu beobachten ist, dass der Angeklagte seine Unschuld beweisen muss, sondern umgekehrt, der Staat muss die Schuld nachweisen.

Dr. Paul-Frank Weise: In dem Punkt bin ich bei Ihnen. Sobald im Besteuerungsverfahren geschätzt werden darf, gelten teilweise erschreckend großzügige Befugnisse der Finanzverwaltung zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen. Da muss man aufpassen, dass die im Steuerstrafrecht geltenden höheren Anforderungen an den Nachweis verkürzter Steuern bei der steuerlichen Schätzung der Besteuerungsgrundlagen auch eingehalten werden.
Werner Siebers: Die Strafsenate des Bundesgerichtshofes sagen dazu, es genügt nicht eine „Wahrscheinlichkeit“, sondern es muss die „sichere Überzeugung des Gerichts über die Höhe der geschätzten Besteuerungsgrundlagen“ gefordert werden. Das Schätzungsergebnis muss „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ richtig sein. Strafrechtlich muss folglich eine „eigenständige, eigenverantwortliche Schätzung erfolgen, unter Umständen unter Hinzuziehung von Sachverständigen. Eventuelle Zweifel sind zugunsten des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen“.
Dr. Paul-Frank Weise: Ich wünschte, die Finanzrechtsprechung würde dies beherzigen, wenn sie bei der Beurteilung von Steuerfestsetzungen zugleich die Erfüllung strafrechtlicher Tatbestände mit zu prüfen hat.

Werner Siebers: Muss man sich nicht doch Sorgen machen, wenn ein Steuerrechtler als Verteidiger auftritt?
Dr. Paul-Frank Weise: Mitnichten. Im Gegenteil. Meistens verläuft parallel zum Steuerstrafverfahren auch noch ein Besteuerungsverfahren. Nur wenn die Vertretung in beiden Verfahren einheitlich, zumindest bestmöglich koordiniert wahrgenommen wird, sind negative Überraschungseffekte vermeidbar bzw. Vorteile in der jeweils anderen Verfahrensart nutzbar.

Werner Siebers: Ist das die Begründung dafür, dass Steuerrechtler in Strafverfahren „wildern“?
Dr. Paul-Frank Weise: „Wildern“ kann man nicht sagen. Um bei Ihrem Vergleich zu bleiben: Wenn eine Schwangere mit einem gebrochenen Bein Wehen bekommt, ist wohl doch eher der Gynäkologe als der Orthopäde gefragt?
Werner Siebers: Schon o.k. Und zur Beruhigung der Steuerrechtler: Wenn dank der Verteidigung im Strafverfahren eine Verurteilung abgewendet werden kann und wenn es stattdessen zu einer Einstellung nach § 153 oder § 153a StPO ohne oder mit Geldlauflage kommt, ist damit keine Schuldfeststellung verbunden. Etwaige steuerliche Haftungstatbestände wären damit nicht automatisch erfüllt.

Dr. Paul-Frank Weise: Sie meinen, es wäre damit kein Präjudiz, keine Bindungswirkung für das Besteuerungsverfahren gesetzt?
Werner Siebers: Richtig. Aber selbst im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung trifft das Finanzgericht grundsätzlich seine freie
Entscheidung und ist nicht an die Einschätzung im Strafverfahren gebunden, wie auch das Strafgericht nicht zwingend an die Feststellungen des Finanzgerichts gebunden ist.

Dr. Paul-Frank Weise: Formal gebe ich Ihnen Recht. Aber Sie schränken ja bereits selbst ein, wenn Sie sagen „grundsätzlich“ oder „nicht zwingend“. Wir müssen trotzdem mit einem faktischen Präjudiz, einer indirekten Bindungswirkung rechnen. Wenn der Steuerpflichtige einen Strafbefehl akzeptiert oder gar eine Verurteilung durch das Gericht rechtskräftig geworden ist, kann dies für den Finanzrichter ein gewichtiges Indiz sein, das möglicherweise seine Aufklärungspflicht beschränkt. Hier müssen wir sehr aufpassen.
Werner Siebers: Touché. Auch im Strafverfahren wird es die Verteidigung erheblich erschweren, wenn ein Finanzurteil zulasten des Angeklagten rechtskräftig geworden ist und es um die darin ausgeurteilten Steuern geht.

Dr. Paul-Frank Weise: Würden Sie mir nach dieser Diskussion zustimmen, dass ein Steueranwalt und ein Strafverteidiger fachlich dann doch nicht so weit auseinanderliegen müssen, wie ein Gynäkologe und ein Orthopäde, wenn sie dann ihre Aufgaben ernst nehmen?
Werner Siebers: Vielleicht liegen sie weit auseinander. Für den Betroffenen ist es deshalb ideal, sich in schwierigeren Verfahren von zwei Spezialisten vertreten zu lassen, einem Steuerrechtler und einem Strafrechtler, die beide eng zusammenarbeiten. Und wenn es einmal brennt: Niemals Angaben gegenüber den Ermittlungsbehörden machen, sondern abwarten, bis die Verteidiger Akteneinsicht hatten.

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