Unternehmensverkauf als Teil der privaten Altersvorsorge
Von Dipl.-Kfm. Dr. rer. pol. Ingo Lippmann, BraunschweigDas zunehmende Durchschnittsalter in der deutschen Bevölkerung verändert das Marktgeschehen im Gesundheitssektor gravierend: Die Nachfrage nach medizinischen Leistungen nimmt bei einer stetig älter werdenden Bevölkerung naturgemäß zu. Gleichzeitig trifft die veränderte Altersstruktur auch das Angebot an medizinischen Leistungen: Lag in Deutschland der Anteil der über 59-jährigen niedergelassenen Ärzte im Jahr 1996 noch bei 11 % aller niedergelassenen Ärzte (vgl. Bundesärztekammer (Hrsg.), Ärztliche Versorgung in Deutschland, in: Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 19, 1997, S. 18), so stieg dieser Anteil zum Jahresende 2012 bereits auf über 27 % (vgl. Bundesärztekammer (Hrsg.), Ergebnisse der Ärztestatistik zum 31.12.2012, www.bundesaerztekammer.de, Abruf am 06.10.2013). Auch wenn es unterschiedliche Entwicklungen je nach Fachspezialisierung, Region (Stadt / Land), Klinikärzten oder niedergelassenen Ärzten gibt, so ist bei den niedergelassenen Ärzten der Trend erkennbar, dass in den kommenden Jahren mehr Ärzte ihre Praxis ab- bzw. aufgeben, als potenzielle Nachfolger vorhanden sin (vgl. hierzu und im Folgenden: Schmid-Domin, Horst G.: Bewertung von Arztpraxen und Kaufpreisfindung, 4. Auflage, Berlin 2013)
Für diejenigen niedergelassenen Ärzte, die altersbedingt ihre Praxis veräußern möchten und den Verkaufserlös als Teil ihrer Altersversorgung eingeplant haben, stellt sich dabei die Frage nach einer realistischen Bewertung des mit ihrer Praxis verbundenen „Lebenswerks“. Dieses gilt auch bei der Einbringung einer bisherigen Einzelpraxis in eine Gemeinschaftspraxis durch einen möglichen Nachfolger. Die Erfahrung zeigt, dass für eine erfolgreiche Nachfolgeplanung ein Zeitraum von drei bis fünf Jahren vorzusehen ist und dieser Prozess durch Spezialisten wie Rechtsanwälte, Steuerberater, Bewertungsgutachter und die Sparkasse oder Hausbank professionell begleitet werden sollte. Aufgrund ihrer ausgeprägten regionalen Marktkenntnis sind die vor Ort ansässigen Beratungsspezialisten häufig die erste Wahl.
Grundsätzlich ist zwischen Wertermittlung und Kaufpreis von Arztpraxen zu unterscheiden, denn ein ermittelter Wert ist i. d. R. nicht identisch mit dem Verkaufspreis. Der Verkaufspreis ist das Ergebnis eines Verhandlungsprozesses zwischen Käufer und Verkäufer und damit marktbezogen. Demgegenüber ist die Wertermittlung analytisch, somit diesem Prozess vorgelagert und dient verschiedenen Zwecken, wie z. B. der Bildung von Grenzen für Kaufpreisverhandlungen bei der Praxisabgabe, der Abschätzung von Altersvorsorgeeinkünften bei der individuellen Vorsorgeplanung, der Ermittlung von Zugewinnausgleichsansprüchen bei Ehescheidungen oder der Vermögensermittlungsfunktion bei Erbschaften (vgl.: a. a. O., S. 111). Da die unterschiedlichen Zwecke z. B. über die Annahme der Praxisfortführung oder -aufgabe Auswirkungen auf den Praxiswert haben, werden unterschiedliche Bewertungsverfahren angewendet. Durchgeführt wird die Bewertung i. d. R. von spezialisierten Sachverständigen. Sofern allerdings die Abschätzung der eigenen Altersvorsorge im Vordergrund steht, kann auch die Beratung durch die Sparkasse oder Hausbank eine überaus wertvolle Hilfestellung leisten. Das gilt insbesondere dann, wenn das jeweilige Kreditinstitut über eine speziell auf Ärzte ausgerichtete Beratungseinheit verfügt. Gerade in diesen Fällen können Sparkassen und Hausbanken die Ärzte fachkundig beraten und ihnen z. B. im Rahmen ihrer individuellen Vorsorgeplanung speziell auf ihre Bedürfnisse und Vermögensverhältnisse zugeschnittene Lösungen zur Altersvorsorge und Nachfolgeplanung anbieten (gemäß einer im September 2013 veröffentlichten Studie des Deutschen Instituts für Service-Qualität erreichte die Beratung der Altersvorsorge bei Sparkassen und Banken ein hohes Qualitätsniveau, vgl. Seibel, Karsten, Lichtblick bei der Bankberatung, in: Die Welt vom 18.09.2013). Die Wertermittlung von Arztpraxen ist dabei ein wesentlicher Teil der Vermögensanalyse.
Die Besonderheiten bei der Anwendung von Bewertungsverfahren
Die Bewertung von Arztpraxen wird durch die Charakteristika im Gesundheitswesen maßgeblich beeinflusst wie z. B. durch die
- hohe Personengebundenheit der erbrachten Leistungen durch den Arzt sowie durch das hohe Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten,
- sektorspezifischen Zulassungsregeln gem. Versorgungsstrukturgesetz (VStG 2012) und unterschiedliche Praxisarten gem. GKV-Modernisierungsgesetz (GMG 2004) und gem. Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG 2007): z. B. Einzelpraxis, Gemeinschaftspraxis, Allgemeinmedizin- oder Facharztpraxis, Eingebundenheit in Kooperationsformen wie z. B. Medizinische Versorgungszentren etc.,
- gesetzlichen Vergütungsbeschränkungen und -formen (Zulassungsart, Fallpauschalen, Einbindung in die Integrierte Versorgung bzw. in die Hausarztzentrierte Versorgung, Zulassung zu Disease-Management-Programmen, Ausmaß an angebotenen Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), evtl. gewerbesteuerpflichtige Leistungen etc.),
- begrenzt vergütbaren Leistungsvolumina (Regelleistungsvolumina),
- sehr hohe Regulierungsdichte und -änderungsfrequenz im Gesundheitswesen.
Aus diesen Gründen lassen sich die im produzierenden Gewerbe üblichen Discounted-Cashflow-Bewertungsverfahren kaum bzw. nur modifiziert auf die Bewertung von Arztpraxen übertragen. So bewirken beispielsweise die Personengebundenheit und das enge Vertrauensverhältnis, dass der Wert einer Praxis maßgeblich von dem guten Ruf des praktizierenden Arztes abhängt, der sich schnell verflüchtigen kann, wenn der Arzt seine Praxis verkauft. Auch die Bindung an Fallpauschalen sowie die Festlegung von Regelleistungsvolumina beschränken die freie Ausweitung des Praxisumsatzes, wie dieses bei gewerblichen Betrieben möglich wäre. Aufgrund dieser Restriktionen haben sich kombinierte Bewertungsmethoden durchgesetzt, die den Wert einer Arztpraxis als Summe aus seinem Substanzwert und seinem immateriellen Wert („Goodwill“) bestimmen. Im Durchschnitt aller Praxisbewertungen übersteigt der Goodwill den Substanzwert deutlich (vgl. Abb.). Dabei sind beide Werte sehr stark abhängig von der Fachrichtung, der Kapitalintensität und der Lage der jeweiligen Arztpraxis. Doch wie werden z. B. im Rahmen der Altersvorsorgeplanung der Substanzwert und der Goodwill von Einzelpraxen ermittelt?
Der Substanzwert einer Arztpraxis
Der Substanzwert einer Arztpraxis stellt den Wert dar, der heute aufgewendet werden müsste, um diese Praxis mit gleicher Leistungsfähigkeit wieder einzurichten. Der Wert orientiert sich an den Wiederbeschaffungskosten der Vermögensgegenstände, wobei deren Zeitwert auf Basis ihrer Nutzungsdauer ermittelt wird. Meist wird dabei von der Fortführung der Praxis ausgegangen. Die Wiederbeschaffungspreise je Vermögensgegenstand werden bei der Restwertmethode dadurch bestimmt, dass alle Gegenstände jahresspezifisch unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Nutzungsdauer bewertet werden. Alternativ wird die Indizes-Methode verwendet, wobei die Zeitwerte der Gegenstände über veröffentlichte Indizes ermittelt werden. Alle Verfahren lassen deutliche Ermessensspielräume zu, um individuelle Besonderheiten der Praxis zu berücksichtigen. Erfahrung und Kompetenz der Bewerter sind daher entscheidend für die Ermittlung eines realistischen Substanzwertes.
Der Goodwill einer Arztpraxis
Der Wert einer Praxis wird maßgeblich von der Höhe des Goodwills geprägt. Einen bedeutenden Einfluss hat die Person des bisher praktizierenden Arztes, der sich in seinem sog. „guten Ruf“ widerspiegelt. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich dieser Teil des Goodwills nach ca. drei bis fünf Jahren nach Ausscheiden des bisherigen Arztes auf Null reduziert hat (vgl. hierzu und im Folgenden: Schmid-Domin, Horst G.: Bewertung von Arztpraxen und Kaufpreisfindung, 4. Auflage Berlin 2013, S. 125 ff.). Entscheidend ist also, ob ein übernehmender Arzt es schafft, den Patientenstamm zu halten bzw. durch seinen eigenen Ruf noch aufzubauen. Bei Gemeinschaftspraxen wird von einer geringeren auf den jeweiligen Arzt bezogenen Patientenfluktuation ausgegangen. Auch die Aufteilung des Patientenstammes in Kassen- und Privatpatienten, das angebotene Leistungsspektrum, die Lage und Erreichbarkeit der Praxis mit öffentlichen Verkehrsmitteln und die Erfahrung sowie der Kundenkontakt der angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben einen Einfluss auf den Wert des Goodwills.
Die Berechnungsmethoden
Der Maßstab für die Ermittlung des Goodwills sind oft der Umsatz oder der Gewinn der Arztpraxis, wobei für diese Größen jeweils der Durchschnittswert der vergangenen drei bis fünf Jahre ermittelt und um außerordentliche Einflussfaktoren bereinigt wird, um einen nachhaltig erwirtschaftbaren Wert zu erhalten. Dieser Wert wird anschließend mit einem nach Fachrichtung der Arztpraxis spezifischen Goodwill-Faktor multipliziert, der mit Zu- und Abschlägen versehen werden kann, um individuellen Praxisgegebenheiten Rechnung zu tragen.
Bei der 2008 überarbeiteten Bundesärztekammermethode wird z. B. der um außerordentliche Größen bereinigte Durchschnittsgewinn der letzten Jahre um ein kalkulatorisches Arztgehalt vermindert, das – nach Umsatzgrößen gestaffelt – dem TVÖD-Gehalt eines verheirateten Oberarztes entspricht. Zur Ermittlung des Goodwills wird dieser so ermittelte nachhaltig erzielbare Praxisgewinn anschließend bei Einzelpraxen mit dem Faktor 2,0 multipliziert (für Gemeinschaftspraxen wird ein Multiplikator von 2,5 verwendet; vgl. a.a.O. S. 143.), wobei Zu- und Abschläge auf den Faktor möglich sind. Diese Zu- und Abschläge sollen z. B. die Patientenstruktur, die Lage der Praxis, die Arztdichte im Einzugsgebiet, den Spezialisierungsgrad des abgebenden Arztes, den Bindungsgrad der Patienten an die Person des abgebenden Arztes etc. berücksichtigen.
Praxisübernahmen: Entwicklung und Zusammensetzung der Kaufpreise (Durchschnittswerte Einzelpraxen aller Fachrichtungen in Westdeutschland)
Dem Verkehrswert recht nahe kommen auch gemischte Multiplikatormethoden aus Umsatz und Gewinn (vgl. a. a. O., S. 148). Bei diesen setzt sich der Goodwill z. B. aus der gewichteten Summe des Produkts aus Umsatz mit Umsatzmultiplikator und dem Produkt aus Gewinn mit Gewinnmultiplikator zusammen. Auch hier sind entsprechende Zu- und Abschläge auf die jeweiligen Multiplikatoren zu berücksichtigen, um Spezifika der zu bewertenden Praxis zu berücksichtigen. Letztendlich ist allerdings festzuhalten, dass alle diese Methoden stark von vergangenheitsorientierten Größen geprägt sind und dass künftige Erträge nicht oder allenfalls nur über Zu- und Abschläge auf den Multiplikator berücksichtigt werden. Dieses zeigt, wie bedeutend die Erfahrung des jeweiligen Bewerters hinsichtlich der Branchenkenntnis und in Bezug auf die lokale Marktkenntnis ist.
Die Berücksichtigung künftiger Erträge bei der Wertermittlung von Arztpraxen ist über die modifizierte Ertragswertmethode möglich (weitere Bewertungsmethoden, wie z. B. die Methode des Übernahmevorteils oder der Übergewinnverrentung bzw. Übergewinnkapitalisierung werden hier nicht berücksichtigt. Vgl. hierzu a. a. O. S. 159–165). Dabei wird die klassische Ertragswertmethode gem. IDW S 111 für die Bewertung von Arztpraxen hinsichtlich der Laufzeit der zu diskontierenden Erträge modifiziert. Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass der vom bisherigen Goodwill maßgeblich beeinflusste Ertrag unendlich lange zur Verfügung steht, wird eine begrenzte Laufzeit unterstellt. Auch der Funktionalwert als Substanzwert zum Zeitpunkt der Bewertung wird mit berücksichtigt. Bei der Anwendung dieser Methode sind ebenfalls die Fachkenntnis und die Erfahrung der Bewerter von maßgeblicher Bedeutung. Über zahlreiche Einflussgrößen, wie z. B. über das anzusetzende kalkulatorische Arztgehalt, über die aufgrund der hohen Regulierungsfrequenz schwer abzuschätzenden künftigen Erträge, über den festzulegenden Abzinsungszeitraum und über die Höhe des Kalkulationszinsfußes samt den auf ihn anzuwendenden Zu- und Abschlägen, können erhebliche Ergebnisunterschiede eintreten.
Im Ergebnis liefern alle Verfahren nur einen Näherungswert für das Bewertungsziel. Bei der Abschätzung des Praxiswertes im Rahmen der Altersvorsorgeplanung durch die Sparkasse oder Hausbank ist es daher ratsam, verschiedene Methoden anzuwenden. Deren Ergebnisse bilden letztendlich eine Spanne, zwischen denen der Wert der Arztpraxis einzusortieren ist.
Nicht nur bei der eigenen Vorsorgeplanung der Ärzte ist diese Vermögensanalyse von entscheidender Bedeutung. Auch bei der Nachfolgeplanung für die eigene Arztpraxis zeigt die Erfahrung, dass eine rechtzeitige Beschäftigung mit diesem Thema die künftigen Erfolgsaussichten maßgeblich steigert. Die frühzeitige Beratung durch Spezialisten kann hier erheblich unterstützen. Die auf Betreuung von Ärzten spezialisierten Mitarbeiter der Sparkasse oder Hausbank können hier wertvolle Hilfestellung leisten und z. B. rund um die Altersvorsorge, die Vermögens- und die Nachfolgeplanung kompetent beraten.
Foto: panthermedia/Boris Zerwann
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