Der Firmentarifvertrag
Eine Chance für jedes Unternehmen!
Von Dr. iur. Thies Vogel, Braunschweig
Im Jahre 2009 lag die Anzahl der Verbandstarifverträge und Firmentarifverträge bei ca. 37 000 nahezu identisch gleich hoch. Bei den im Jahr 2009 neu registrierten Tarifverträgen war der Firmentarifvertrag mit 3 762 Abschlüssen weit vor dem Verbandstarifvertrag mit 2 548 Abschlüssen anzutreffen. Hierdurch zeigt sich, dass der Firmentarifvertrag zunehmend an Einfluss gewinnt. Er kann einen wichtigen unternehmerischen Wettbewerbsvorteil darstellen.
Der folgende Beitrag soll kurz skizzieren, welchen Sinn und Zweck Firmentarifverträge haben können und wie eine praktische und gewinnbringende Umsetzung gelingen kann.
I. Typische Ausgangssituationen
Typische Ausgangssituation im Hinblick auf den beabsichtigten Abschluss eines Haustarifvertrages ist ein besonderes Regelungsbedürfnis bei einem Herauswachsen aus dem Geltungsbereich eines Verbandstarifvertrages, aber auch bei tariflichen Vorteilen von Wettbewerbern, bei standortbezogenen Besonderheiten, einer notwendigen bestehenden Umstrukturierung oder einer Post-Merger-Situation. Letztlich hilft ein Firmentarifvertrag auch bei Outsourcing oder Joint-Venture-Situationen oder gar dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband.
II. Konkrete Beispiele für Haustarifverträge:
- Ein mittelständiges Transport- / Logistikunternehmen erwirbt einen ausgegliederten Transport-/ Logistikbereich eines Konzerns. Ziel: Anpassung der Arbeitsbedingungen an die eigene Unternehmensstruktur bzw. Absenkung / Abkopplung des Vergütungsniveaus.
- Bei einem Unternehmenszusammenschluss (Post-Merger-Situation) liegt eine Tarifbindung des erwerbenden Unternehmens (Asset-Deal) bzw. des erworbenen Unternehmens (Share-Deal) vor. Ziel ist hierbei die Ablösung der Verbandstarifverträge bzw. von Haustarifverträgen des Veräußerers.
- Ein Konzern an mehreren Standorten gliedert verschiedene Abteilungen auf eine Joint-Venture-Gesellschaft aus. Ziel ist hier die Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen in der neuen Gesellschaft bzw. die Optimierung von Tarifstrukturen.
- Ein Unternehmen der Metallbranche tritt aus dem Arbeitgeberverband aus. Zukünftig sollen zwar weiterhin tarifvertragliche Regelungen gelten, allerdings teilweise abweichend vom Verbandstarifvertrag und speziell auf die Bedürfnisse des Unternehmens exakt abgestimmt. Ziel ist hier die (teilweise) Ablösung der alten Verbandsregelungen sowie die Einführung neuer, unternehmensspezifischer Regelungen.
- Früher stellte ein Unternehmen vorwiegend Produkte her, die eindeutig dem Metallbereich zuzuordnen waren. Über mehrere Jahre änderte sich der Markt und die Produkte des Unternehmen werden nunmehr überwiegend aus Kunststoffen hergestellt. Ziel ist hier der Abschluss von Überleitungstarifverträgen, der Wechsel zu der zuständigen Gewerkschaft und die Ablösung der bisherigen Verbandstarifverträge.
- Eine tarifgebundene AG stellt Spritzgussmaschinen her und fällt unter den Geltungsbereich der IG-Metall-Verbandstarifverträge. Der unmittelbare Hauptwettbewerber, eine GmbH, ist jedoch nicht tarifgebunden und arbeitet unter wesentlich günstigeren Bedingungen (z. B. 40-Stunden-Woche, untertarifliche Bezahlung etc.). Das Ziel besteht hier in der Sicherung / Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit durch Senkung der Personalkosten.
- Eine AG (1 000 Arbeitnehmer) hat Berechnungen angestellt, wonach die Produktion in Osteuropa um 30 % kostengünstiger erfolgen könnte. Die deutsche Geschäftsleitung will den Standort jedoch durch ein Kosteneinsparungsprogramm halten und eine Betriebsschließung verhindern. Die Ziele bestehen hier in einer Kostensenkung unter Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen.
Fazit: Haustarifverträge sind ein wirksames Instrument zur Bewältigung von unternehmensbezogenen Herausforderungen.
III. Typische Regelungen in Haustarifverträgen
In Haustarifverträgen finden sich grundsätzlich Regelungen zur Arbeitszeit, z. B. zur Erhöhung der Dauer der Wochenarbeitszeit, Regelungen für Teilzeitarbeitnehmer, zur Flexibilisierung der Lage der Arbeitszeit, zu Arbeitszeitkonten, zur Aufhebung tarifvertraglicher Beschränkungen usw.
Ferner werden oftmals bestimmte Aspekte zum Arbeitsentgelt geregelt, wie die Abkopplung von den Entwicklungen der Verbandstarifverträge („Einfrierung“), vorübergehende Absenkung der laufenden Vergütung und Regelungen zum Urlaubs-/Weihnachtsgeld, z. B. über eine Koppelung an das Unternehmensergebnis oder an die persönliche Leistung.
Beispielhaft für Haustarifverträge sind aber auch Investitionszusagen, z. B., der Arbeitgeber verpflichtet sich, einen bestimmten Betrag am Standort zu investieren bzw. bestimmte Güter anzuschaffen. Hier ist bei langfristigen Investitionszusagen jedoch Vorsicht geboten.
Möglich sind im Gegenzug auch Beschäftigungssicherungszusagen oder aber der Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen während der Laufzeit, der Ausschluss von Outsourcing-Maßnahmen oder eine (befristete) Standortsicherungszusage.
IV. Besonderheit: Rechtliche Nachwirkung
Vom Grundsatz her wirken Haustarifverträge gem. § 4 Abs. 5 Tarifvertragsgesetz (TVG) nach, d. h., bei einer Befristung oder aber einer Kündigungsmöglichkeit ist daran zu denken, dass die Nachwirkung für bestimmte oder jede einzelne Regelung geprüft und ggf. ausdrücklich ausgeschlossen werden muss. Typische Fallstricke einer Nachwirkung sind ein etwaiger Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, Standortzusagen oder zusätzliche Leistungen in den Haustarifverträgen.
V. „Für und Wider“ des Haustarifvertrages
Nur noch 50 % der Beschäftigen fallen unter die Geltung von Flächen- bzw. Verbandstarifverträgen. Diese standen immer für eine Einheitlichkeit, hatten Ordnungsfunktion und Planbarkeit. Sie führten zur Friedenspflicht und zum Verbandsschutz und zu einer Entlastung für die betroffenen Unternehmer. Unter Umständen waren die Bedingungen aber fremdbestimmt, pauschal, teuer und unflexibel. Der (internationale) Wettbewerbsdruck hat jedoch zugenommen. Der Firmentarifvertrag ist dagegen unternehmensspezifisch und wettbewerbsaffin. Er ist situationsangepasst und führt zu zeitnahen flexiblen Lösungen. Voraussetzung für einen Firmentarifvertrag sind aber entsprechendes Know-how und eine rechtssichere Umsetzung.
VI. Abschluss
Die Parteien des Haustarifvertrages sind der Arbeitgeber und die Gewerkschaft. Der Arbeitgeber hat dabei Tariffähigkeit nach § 2 Abs. 1 TVG unabhängig von der Größe, Mächtigkeit oder sonstigen Stärke. Es ist Schriftform erforderlich (§ 1 Abs. 2 TVG). Rechtlich kann ein Firmentarifvertrag trotz Verbandsmitgliedschaft abgeschlossen werden, da diese Wirkung nach außen durch die Verbandssatzung nicht ausgeschlossen werden kann. Im Innenverhältnis stellt der Abschluss eines Firmentarifvertrages trotz Verbandsmitgliedschaft jedoch einen Verstoß gegen die Verbandspflichten dar.
Eine Besonderheit stellt ferner ein Wechsel in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung – sog. OT-Mitgliedschaft – dar, für die wiederum besondere Regelungen zu beachten sind.
VII. Fazit
Sofern man die vorbezeichneten Ziele, Interessen und Gestaltungsmöglichkeiten beachtet, stellt sich ein Firmentarifvertrag als ein wertvolles Instrument zur nachhaltigen Sicherung des unternehmerischen Erfolges dar. Es lohnt sich, über die mit dem Abschluss eines Firmentarifvertrages notwendigen rechtlichen Aspekte und wirtschaftlichen Effekte einmal nachzudenken.
Foto: Panthermedia
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