Artikel erschienen am 03.08.2016
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Möglichkeiten, Kompromisse und Grenzen der Zahnerhaltung

Von Dr. med. dent. Angela Fischer, Braunschweig

Zahnerhalt oder Extraktion?

Diese Frage stellt sich tagtäglich jedem Zahnarzt. Auch wenn Zahnersatz durch Implantate ein segensreicher, mittlerweile fest integrierter Bestandteil der Zahnmedizin ist, ist die Therapieentscheidung im parodontal kompromittierten Gebiss nicht leichter geworden.

Erlauben moderne Therapiemöglichkeiten der Endodontie, Parodontologie und Chirurgie nicht doch den längerfristigen Erhalt auch stark geschädigter Zähne?

Ja, da geht noch was!

Das Thema Zahnerhalt beschäftigt Arbeitsgruppen und füllt Kongresse wie z. B. die European Federation of Periodontologie (EFP) oder die Neue Arbeitsgruppe Parodontologie (N Ag P). Der Erhalt der natürlichen Zähne ist und bleibt – auch in Zeiten eines Implantatbooms – die wichtigste Herausforderung der Zahnmedizin.

Entscheidungsfindung

Mögliche Behandlungsalternativen zur Zahnentfernung, deren Risiken, Grenzen, Erfolgsaussichten, auch zeitliche und ästhetische Kompromisse sollten im Vorfeld besprochen werden. Die Patientenmitarbeit, Aufklärung und Mitbestimmung sind hier gefragt.

Jedoch: Bei vielen hier aufgezeigten Therapiewegen muss im Vorfeld auf die wirtschaftlich (und zweckmäßigen) einschränkenden Richtlinien der gesetzlichen Krankenkassen hingewiesen werden. Vieles ist nicht Inhalt des gesetzlichen Leistungssprektrums und muss privat erbracht werden.

Grenzen und Rahmenbedingungen

Allgemeinzustand des Patienten, systemische Erkrankungen (Diabetes) und Medikation (Biphosphonate, Immunsupressiva), Alter und manuelle Fähigkeit zur Mundhygiene, individuelle Risiken wie Alkohol und Rauchen, genetisch bedingte Entzündungsantworten sind wichtige, den Therapieerfolg begrenzende Faktoren.

Wo aber liegen die Möglichkeiten?

Zunächst einmal geht nichts ohne die Mitarbeit des Patienten, seine Einsicht, dies und jenes (Pflege, Ernährungs- und Konsumgewohnheiten) verlässlich durchzuführen. Es geht um die Eigenverantwortung sowie die Bereitschaft zur kontinuierlichen (lebenslangen) Teilnahme an der parodontalen Erhaltungstherapie (PZR/UPT) entsprechend des individuellen Risikoprofils – das heißt: einmal, zweimal, dreimal, viermal pro Jahr!

Fortschritte in der Endodontie

Weiterentwickelte maschinelle Wurzelkanalaufbereitungstechniken, ausgefeilte Desinfektionsprotokolle und Wurzelkanalabdichtungen versprechen bis zu 90 % Erfolg. Diese tolle Prognose sinkt bei vereiterten, beherdeten Zähnen auf 80 % und noch weiter bei WK-Revisionen, wenn hier ein röntgenologischer Entzündungsbefund vorliegt.

Erhaltungseinschränkungen ergeben sich auch durch Obliterationen, Wurzelresorptionen, Verkalkungen, Pulpensteine und Instrumentenbrüche. Auch wenn vieles gelingt, komplizierte Kanalanatomien wie Seitenkanäle, nicht auffindbare Zusatzkanäle, Deltaaufzweigungen innerhalb und am Ende der Wurzel schränken die Therapiemöglichkeiten ein.

Hier kann trotz Laser und ausgefeilter Spül- und Medikamentenapplikation eine nicht beherrschbare Restverkeimung bestehen bleiben. Diese lässt dann die Entzündung nicht ausheilen. Nicht immer ist dann eine Wurzelspitzenresektion erfolgreich, und diese sollte, falls möglich, nicht ohne eine vorherige WF-Revision erfolgen (Richtlinie der DGZMK).

Anderen limitierenden Faktoren– wie starker Restzahnsubstanzverlust – kann durch chirurgische Kronenverlängerung oder durch KFO-Extrusionsbewegungen begegnet werden. Nur dadurch kann der wurzelbehandelte Zahn mit einer Krone versorgt werden, da diese den Wurzelstumpf ca. 1,5 – 2 mm umfassen muss und einen Mindestabstand zum Knochenrand haben sollte (biologische Breite).

Das zunehmende Wissen um Ursache, Vermeidung und erweiterte Therapieoptionen in der Parodontologie
Der positive Einfluss antiinfektiöser Erhaltungstherapien (UPT) erlaubt uns heute, Grenzen zu erweitern – und fragliche Zähne doch noch zu erhalten. „Da geht doch noch was!?“ Das zahnärztliche Ziel sollte, gerade im parodontal geschädigten Gebiss, der Erhalt einer geschlossenen Zahnreihe sein – möglichst ohne großen Prothetikaufwand.

Warum das?

  • Weil vielleicht teilgelockerte Zähne als Stützpfeiler zu schwach sind. Eine sichere prothetische Lösung bedeutet, häufig mehr fragliche Zähne zu entfernen, um eine längerfristige Prognose zu gewährleisten.
  • Was tun bei schwachen Ankerzähnen? Brücken oder doch lieber herausnehmbare Modellguss­prothese? Nein, jeder Zahn, jede Wurzel zählt.

Wie erreichen wir das?

  • Es ist durchaus zielführend, wenn eine Nische (z. B. Wurzelaufzweigung) nicht instrumentiert (gesäubert) werden kann, z. B. bei einem dreiwurzeligen Oberkiefermolaren, nur eine Wurzel zu entfernen; die verbleibenden zwei reichen zum Erhalt (Amputation).
  • Auch ein tief in die Wurzelaufzweigung reichender Knochenverlust muss nicht immer Zahnverlust bedeuten. Unter bestimmten anatomischen Voraussetzungen kann die Hälfte des Zahnes erhalten werden (Hemisektion) oder man macht aus einem großen zwei kleine Zähne, indem man ihn durchtrennt (Prämolarisierung).
  • Auch kann die Furkation/Wurzelaufteilung durch Tunnelierung hygienefähig gestaltet werden. Individuelle Risikoabschätzung und Hygienemöglichkeiten beeinflussen den Weg.
  • Eine Regeneration von mehrwändigen Knochentaschen mit Schmelzmatrixproteinen (Emdogain) und Knochenersatz, unterstützende Medikamentenapplikation in Zahnfleischtaschen (Perio-Chip, Ligosan, Arestin), Laser-PAD sowie Medikamententrägerschienen und Pulver-Wasserstrahl-Reinigung (Glycerin) helfen Zähne zu erhalten. Eine unterstützende Antibiotikatherapie ist bei manchen Parodontalerkrankungen angesagt.
  • Wie ist bei einer stark geschwächten Oberkiefer-/Unterkiefer-Frontsituation zu verfahren? Der physiologische Knochenverlust nach Zahnentfernung bedingt eine ästhetische Einschränkung. Für eine Brücke von Eckzahn zu Eckzahn sind die Pfeilerzähne oft zu schwach. Nicht für jeden ist ein Knochenaufbau mit Implantation möglich (aufgrund der Kostenfrage) und eine konventionelle Modellgussprothese, abgestützt auf geschwächten Zähnen, ist keine langfristig haltbare Lösung.

Optional wären abnehmbare Teleskopversorgungen (Doppelkronen). Sie sind bei Pfeilerverlust pro­blemloser zu erweitern und stabilisieren parodontal geschädigte Zähne durch Kraftverteilung und Verblockung. Jedoch entstehen auch hier hohe zahntechnische Kosten.

Was tun? Jeder Zahn zählt!

Ist die Entzündung (durch PA-Therapie, UPT und PAD) beherrschbar – keine Blutung auf Sondierung, Taschen ≤ 4 mm – können auch Zähne erhalten werden, deren Knochenabbau bis ins untere Wurzeldrittel fortgeschritten ist. Es gilt: Nach Möglichkeit soll die geschlossene Zahnreihe erhalten werden.
Auch im Seitenzahnbereich unterstützen geklebte Schienungen den Heilungsverlauf und den Zahnerhalt durch Kraftverteilung.

Regenerative chirurgische Maßnahmen, Zahn- und Knochenmodellationen (Odonto- und Osseoplastik) zur Verbesserung der Hygienefähigkeit sind weitere Therapieoptionen, um Zähne zu erhalten.

Einschränkungen

Im kompromittierten Lückengebiss sind jedoch hier und da strengere Anforderungen bezüglich des Zahnerhaltes zu stellen, besonders wenn für den Zahnersatz strategisch wichtige Zähne als sehr kritisch einzustufen sind. Hier ist die Entfernung dieser Zähne und eine anschließende Implantation dann doch die bessere Alternative.

Fazit

Alle Mittel der Parodontologie, Endodontie und Chirurgie sollten ausgeschöpft werden, um den Zahnerhalt zu versuchen. Auch wenn es ein Riesenerfolg ist, durch die Implantologie verloren gegangene Zähne zu ersetzen, sollten Alternativen für den Erhalt bedacht werden.

Fotos: Dr. med. dent. Angela Fischer

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